Ringen um Rettung Griechenlands:Troika-Bericht treibt Finanzminister zur Verzweiflung

Die Euro-Finanzminister sind schockiert: In ihrem Bericht rechnet die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds damit, dass Griechenland bis 2020 Finanzhilfen von 252 Milliarden Euro benötigen wird - im schlimmsten Fall noch viel mehr. Dann würde auch kein Rettungsschirm mehr helfen. Alle Hebel-Modelle wären Makulatur.

Cerstin Gammelin, Brüssel

Die Zahlen, die die Troika am Freitagabend zur Schuldenlage in Griechenland vorgelegt hat, haben die Tagesordnung der Euro-Finanzminister komplett verändert. Eigentlich wollten die Ressortchefs darüber beraten, ob sie die privaten Gläubiger des Landes überzeugen müssen, einen größeren Abschlag auf die von ihnen gehaltenen Anleihen zu vereinbaren, als die bisher vorgesehenen 21 Prozent.

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Einem vertraulichen Bericht zufolge benötigt Griechenland weitaus mehr finanzielle Hilfe, als bisher bekannt.

(Foto: dpa)

Doch aus dem "ob" wurde unversehens ein "wie hoch?". Denn die Inspektoren der griechischen Kreditgeber beschreiben in ihrem "Schuldentragfähigkeitsbericht" ein Szenario, das alle Befürchtungen weit übertrifft. Das Land braucht schon unter "normalen" Bedingungen, also wenn alles so läuft wie geplant mit dem Reformieren und Sparen, mindestens 252 Milliarden Euro, um bis 2020 wieder auf die Beine zu kommen.

Falls die Wirtschaft weiter einbricht, Staatsunternehmen nicht wie erhofft privatisiert werden können und die Reformen nicht greifen, sind sogar 444 Milliarden Euro nötig, schreiben die Inspektoren. Damit ist schlagartig klar: Der Euro-Rettungsfonds EFSF reicht kaum aus, um weitere Länder zu retten, und sein Nachfolger, der spätestens ab 2013 einsatzfähige ESM, wohl ebenfalls nicht.

Der gerade erweiterte EFSF kann maximal 440 Milliarden Euro an Krediten vergeben. Gut die Hälfte ist nach Angaben des Fonds noch verfügbar. Müssten die Euro-Länder demnächst 252 Milliarden Euro für Athen einplanen, wäre der Fonds praktisch leer - und jede Überlegung über eine Ausweitung des Fonds geriete zu einer reinen Theorieübung.

Das gleiche gilt auch für den ESM. Der soll 500 Milliarden umfassen, im schlimmsten Fall müsste ein Großteil des Geldes schon heute für Griechenland reserviert werden. Für weitere klamme Länder wäre kaum Geld da, andere Rettungsaktionen wahrscheinlich nicht möglich. Ganz davon abgesehen, dass die europäischen Steuerzahler einen solchen Griff in ihre Taschen nicht zulassen dürften.

Die Inspektoren empfehlen deshalb, die privaten Gläubiger von einem Abschlag zu überzeugen, der mindestens bei 50 oder 60 Prozent liegt. In diesem Fall würden sich die zusätzlichen öffentlich getragenen Hilfen auf 113 bzw. 109 Milliarden Euro reduzieren. Doch ob das gelingt, war am Samstagabend offen.

Nach der Schrecksekunde am Freitagmittag tagten die Finanzminister der Euroländer beinahe ununterbrochen, um einen Ausweg zu finden. Sämtliche Pressekonferenz wurden abgesagt. Am Samstagabend sollten Bundeskanzlerin Angela Merkel, Staatspräsident Nicolas Sarkozy sowie weitere Regierungschefs informiert werden.

Sie alle müssen einen Weg finden, um die Banken zu überzeugen, den nötigen Abschlag freiwillig zu übernehmen - und dafür zu sorgen, dass sie ihr Eigenkapital so weit erhöhen, dass sie die Abschläge aus dem griechischen Schuldenschnitt verkraften können.

"Wir haben genug von kurzfristigen Maßnahmen"

Problematisch dabei: Selbst die Troika ist sich uneins darüber, ob den Banken derart hohe Einbußen auferlegt werden sollen. Eine Fußnote sagt deutlich, dass die Europäische Zentralbank, selbst Mitglied der Troika, mit der geplanten Höhe des Schuldenschnitts nicht einverstanden ist.

"Es ist offensichtlich, dass ein substanzieller Schuldenschnitt notwendig ist", sagte hingegen Schwedens Finanzminister Anders Borg. Nach Angaben der Wiener Ressortchefin Maria Fekter wurden schon konkrete Mandate ausformuliert. Mit denen soll der Chef des EU-Wirtschafts- und Finanzausschusses, Vittorio Grilli, die Verhandlungen mit den Banken starten. Einigen sich die EU-Finanzminister auf einen Schuldenschnitt in Höhe von 50 bis 60 Prozent, wird der EU-Gipfel am kommenden Mittwoch den Auftrag dazu erteilen.

Der britische Finanzminister George Osborne übte scharfe Kritik am Vorgehen der Euro-Partner: "Die Krise in der Euro-Zone bewirkt große Schäden in vielen europäischen Volkswirtschaften, darunter Großbritannien", schimpfte er in Brüssel, und fügte hinzu: "Wir haben genug von kurzfristigen Maßnahmen, genug davon, Pflaster draufzukleben, die uns nur durch die nächsten paar Wochen bringen." Europa müsse die Ursachen für die Krise angehen. Gebraucht werde eine umfassende und dauerhafte Lösung für die Krise, damit das Wachstum in Europa wieder anspringen könne.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hat angesichts der Entwicklungen eine Änderung der EU-Verträge verlangt. Die EU und der Internationale Währungsfonds sollten notfalls das Recht erhalten, direkt in nationale Haushalte von Staaten einzugreifen, die ihre Budgetziele nicht einhielten, sagte er in Brüssel. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn kündigte umgehend Widerstand an. "Wir brauchen jetzt Entspannung und keine Einpeitscher", sagte er.

Eine stärkere wirtschaftspolitische Zusammenarbeit sei auch auf Grundlage der bestehenden Verträge möglich. "Es ist wichtig, dass wir keine weitere Front aufmachen", sagte Asselborn. "Es kann nicht sein, dass die innenpolitischen Erwägungen auch des größten Landes alles überwiegen."

Mit Material von dapd und AFP.

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