Rentenreform:Wenn die Rente zum Hungerlohn verkommt

Millionen Rentner drohen in die Armut abzurutschen, der Generationenvertrag ist in Gefahr. Ministerin von der Leyen hat das verstanden, doch ihre geplante "Zuschuss-Rente" ist ein rein kosmetisches Reförmchen, das möglichst wenig kosten soll. Selbständige kommen in ihrem Konzept gar nicht erst vor. Dabei liegt eigentlich auf der Hand, was Deutschland jetzt wirklich braucht.

Thomas Öchsner

Die Deutschen jammern gern über ihre Rente. Bei den Jüngeren wachsen die Zweifel, ob es sich überhaupt lohnt, in die Rentenversicherung einzuzahlen. Bei den Ruheständlern sind viele Klagen zu hören, weil sich ihr Altersgeld in den vergangenen Jahren oft gar nicht oder nur minimal erhöht hat. Dabei haben sich gerade in der Finanzmarktkrise die Vorteile einer gesetzlichen Altersvorsorge gezeigt, die nicht abhängig ist von dem Auf und Ab der Aktienkurse an den Börsen, sondern bei der das Geld der Beitragszahler direkt für die Renten ausgegeben wird. Dafür wurde Deutschland noch zur Jahrtausendwende belächelt. Jetzt zeigt sich, dass dieses System stabil und besser als sein Ruf ist. Doch das wird ohne neue Reformen nicht so bleiben.

Noch geht es der großen Mehrheit der Rentner gut. Schon in zehn bis 15 Jahren droht aber Millionen, in die Armut abzurutschen. Das liegt vor allem am Boom der Billig-Jobs. Viele Arbeitnehmer schaffen es nicht mehr, über Jahrzehnte Sozialabgaben zu zahlen und dabei so viel zu verdienen, dass ihr Alterseinkommen nicht zum Hungerlohn verkommt. Geringverdiener, Arbeitslose und viele Solo-Selbständige steuern auf die Mini-Rente zu, auch weil das Rentenniveau ohnehin sinkt.

Viele Brüche im Berufsleben

Es ist gut, dass Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen dagegen etwas tun will. Ihre Vorschläge gehen aber über kosmetische Korrekturen nicht hinaus. Die CDU-Politikerin hat ein Reförmchen präsentiert, das vor allem möglichst wenig kosten soll. Von einer neuen "Mindestrente" zu reden, wie dies jetzt manche tun, ist Unsinn.

Die geplante "Zuschuss-Rente" sieht vor, das Altersgeld von Kleinrentnern bis zu einer Höhe von 850 Euro im Monat aufzustocken. Bezahlen soll das der Steuerzahler. Profitieren werden davon zumindest in den nächsten Jahren nur ein paar zehntausend Ruheständler. Der Kreis der Zuschussempfänger ist zu eng gefasst, wenn den Aufschlag nur diejenigen erhalten sollen, die 45 Jahre in der Rentenversicherung sind, 30 bis 35 Jahre Beiträge einbezahlt und einen Riester-Vertrag oder eine Betriebsrente abgeschlossen haben. Das schaffen gerade die Geringverdiener nicht, deren Berufsleben oft viele Brüche hat.

Bei den Renten für Menschen, die wegen eines Unfalls, einer Krankheit oder wegen einer Behinderung nicht mehr oder vermindert erwerbsfähig sind, bietet von der Leyen ebenfalls viel Symbolik. Was dabei herauskommt, sind zunächst ein paar Euro mehr im Monat. Und die Selbständigen, die man stufenweise in eine Rentenversicherung einbeziehen könnte, kommen in dem Reformkonzept erst gar nicht vor.

Es gibt viel zu besprechen beim Rentendialog

Trotzdem verdient die Ministerin Lob. Sie hält an dem Prinzip fest, das zur Legitimation der Rentenversicherung maßgeblich beiträgt: Ein- und Auszahlungen hängen in der Rentenkasse zusammen. Wer lange einzahlt und wenig herausbekommt, soll Hilfe erhalten. Wer dies nicht getan hat, geht leer aus.

Auch verspricht von der Leyen keine Wohltaten, von denen sie nicht weiß, wie sie sich in Zeiten knapper Staatskassen finanzieren lassen. SPD, Grüne, Linke und Sozialverbände übertreffen sich gerade darin, nach irgendeiner Mindestrente zu rufen. Wie viele Milliarden das kostet und woher die kommen sollen, sagen sie nicht.

Der Vorschlag der Gewerkschaften, für Reformen auf Beitragssenkungen zu verzichten, ist ebenso riskant. Wer jetzt neue teure Leistungen aus der Rentenkasse verspricht, kann später nicht mehr garantieren, dass die Beiträge für die Kinder der heutigen Einzahler nur geringfügig steigen. Auf Dauer gefährdet dies den Generationenvertrag, der das Rentensystem für die Zeit rüsten soll, in der aus der Bevölkerungspyramide ein Pilz mit vielen Alten und viel zu wenig jungen Beitragszahlern wird.

Bleibt es beim Reförmchen von der Leyens, ist das Problem aber nur aufgeschoben. Beim "Rentendialog", den die Bundesregierung nun mit Fachleuten und Verbänden begonnen hat, gäbe es deshalb noch viel zu besprechen. Man könnte darüber reden, dass es in anderen europäischen Ländern längst verschiedene Modelle von (steuerfinanzierten) Grundrenten gibt und was davon für Deutschland langfristig finanziell in Frage kommt. Nötig sind mehr sozialversicherungspflichtige, ordentlich bezahlte Vollzeitjobs, weil sie der beste Schutz gegen Armut im Alter sind. Ein gesetzlicher Mindestlohn könnte dabei helfen. Wer 45 Jahre 8,50 Euro brutto die Stunde verdient, käme auf eine Rente von 722 Euro. Das liegt in vielen Fällen über der staatlichen Grundsicherung, die sich zwischen 580 und 740 Euro bewegt.

Es wäre eine Aufgabe des Staates, für bessere und kostengünstigere Angebote zur zusätzlichen Altersvorsorge zu sorgen. Eine Erwerbsminderung ist darin oft gar nicht oder nur unzureichend abgesichert. In Schweden können die Bürger Geld in einem staatlichen Fonds zurücklegen - für eine Minigebühr von 0,3 Prozent der verwalteten Summe. In Deutschland sind staatlich geförderte Riester-Produkte teilweise 50 Mal so teuer. Die Hälfte der Geringverdiener hat keinen Riester-Vertrag und verzichtet damit auf die staatlichen Zulagen, obwohl sie schon mit fünf Euro Beitrag im Monat sparen könnten. Auch darauf fehlt bislang eine Antwort der Politik.

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