Rentenpläne der großen Koalition:Klientelpolitik auf Kosten der Jungen

Rentenangleichung Ost/West

Die künftigen Koalitionäre setzen mit dem teuersten rentenpolitischen Vorhaben seit Jahren die Stabilität des Systems aufs Spiel

(Foto: dpa)

Die große Koalition will die teuerste Rentenreform seit Jahren umsetzen: Allein die Mütterrente kostet unglaublich viel Geld, ohne viel zu helfen. Union und SPD setzen für reine Klientelpolitik die Zukunft des Systems aufs Spiel.

Ein Kommentar von Thomas Öchsner

Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel über Leitbilder in ihrer Politik spricht, erwähnt sie gerne mal die schwäbische Hausfrau. Die wisse, sagt sie, dass man auf Dauer nicht über seine Verhältnisse leben könne. Angenommen, diese schwäbische Hausfrau hat eisern für einen Wintergarten gespart, nur leider ist bei ihrem Eigenheim eine Dachsanierung nötig. Was würde sie tun? Sie bestellt den Dachdecker und träumt weiter von ihrem Wintergarten. Bei der Rente planen Union und SPD leider gerade das Gegenteil: Sie tun so, als ob es nie Rezessionen und Finanzkrisen gegeben hätte und es gottgegeben wäre, dass in Deutschland immer die Wirtschaft brummt, die Rentenkasse überquillt und das Geld wie im Schlaraffenland auf den Bäumen wächst.

Ist das wirklich alles schon wieder vergessen? Jahrzehntelang haben diverse Regierungen am Rentensystem herumgedoktert. Dann wurde die Rente mit 67 eingeführt, die Frührente gestrichen und vor allem das Rentenniveau gesenkt. Der Preis dafür ist hoch: In 10, 15 Jahren sind Millionen von der Altersarmut bedroht. Die Politiker haben aber so das Vorsorgesystem für eine alternde Gesellschaft stabil gemacht. Die Beiträge für die Jüngeren bleiben bezahlbar, das System kollabiert nicht.

Dies setzen die künftigen Koalitionäre nun mit den teuersten rentenpolitischen Vorhaben seit Jahren aufs Spiel. Es geht dabei um reine Klientelpolitik: Was 2009 für die FDP das Steuerprivileg für Hotels war, ist 2013 für die SPD die abschlagsfreie Rente mit 63 für langjährig Versicherte und für die Union die Mütterrente.

Sicher ist es ungerecht, dass acht Millionen Mütter von Kindern, die vor 1992 geboren wurden, weniger Rentenansprüche erwerben als solche mit jüngerem Nachwuchs. Erst recht, weil diese Frauen weniger Möglichkeiten hatten zu arbeiten und vorzusorgen. Trotzdem wurde diese Zweiklassengesellschaft akzeptiert. Es war nicht genug Geld für die bessere Mütterrente da. Und weil sich daran nichts geändert hat, sollte es auch so bleiben.

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Die Mütterrente kostet mit 6,5 Milliarden Euro im Jahr unglaublich viel Geld, ohne viel zu helfen: Profitieren würden vor allem Frauen, die im Alter noch relativ gut versorgt sind, vor allem wenn sie nicht alleine leben. Die monatlich 28 Euro brutto, die sie etwa im Westen mehr erhalten würden, tragen daher kaum dazu bei, die Altersarmut zu bekämpfen.

Skandalös an diesem Wahlgeschenk ist aber vor allem der Griff in die Rentenkasse. Das Aufwerten von Renten fürs Erziehen von Kindern ist eindeutig eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die alle Steuerzahler, also auch Beamte und Selbständige, aufkommen müssten. Stattdessen ist vorgesehen, den Rentenbeitrag nicht zu senken und die Rentenversicherung anzuzapfen. Es rächt sich nun, dass die Union jede Form von Steuererhöhungen ausgeschlossen hat. Die Rentenbeiträge dürften deshalb schon in ein paar Jahren schneller steigen als geplant. Die Reserven in der Rentenkasse werden schnell verfrühstückt sein.

Nicht viel besser ist die abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren. Davon profitieren vor allem männliche Facharbeiter mit vergleichsweise guter Rente. Den Frauen, die kürzer gearbeitet haben, den Dauerarbeitslosen, den Geringverdienern, den Selbständigen mit spärlichem Verdienst, also denjenigen, die wegen ihrer Minirente im Ruhestand womöglich beim Sozialamt anklopfen müssen - denen hilft dies nicht. Die Rente mit 63 ist ein falsches Signal in einer Zeit, in der Unternehmen zunehmend Fachkräfte suchen und Ältere länger arbeiten sollen.

Union und SPD sollten lieber die wenigen Mittel auf ein anderes Vorhaben konzentrieren: Es ist richtig, dass sie den 1,6 Millionen Erwerbsminderungsrentnern, die wegen einer Krankheit vorzeitig mit dem Arbeiten aufhören mussten, künftig die Bezüge erhöhen wollen. Zehn Prozent von ihnen liegen mit ihrem Einkommen schon jetzt unter dem Existenzminimum. Auch der Plan, kleine Renten von langjährig Versicherten bis auf fast 850 Euro aufzustocken, klingt gut. Nur ändert es nichts am größten Problem des Rentensystems: Die Leistungseinschnitte sind weit gegangen. Viele Menschen, die ein Leben lang gearbeitet und Beiträge gezahlt haben, werden in Zukunft von ihrer Netto-Rente kaum leben können.

Die Plünderung der Rentenkasse, auf die sich Union und SPD im Koalitionsvertrag verständigt haben, macht alles noch schlimmer. Sie geht auf Kosten der Jüngeren, die ohnehin schon mit einer niedrigeren Rente als ihre Eltern rechnen müssen und nun auch noch höhere Beiträge zahlen müssen. Merkels schwäbische Hausfrau wäre nie auf die Idee gekommen, so einen Raubzug zu unternehmen.

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