Reise durch Deutschland:Auf Bauhaus-Tour

Die Künstlerschule wird 2019 hundert Jahre alt. Zu diesem Anlass entstehen derzeit aufwendige Museumsprojekte. Die Ideale der Bauhäusler kann man an sehr unterschiedlichen Orten kennenlernen.

Von Stephanie Schmidt

Für etliche Zeitgenossen waren die Kreationen der Bauhaus-Künstler ein Schock. Nach den üppig dekorierten Fassaden der Jugendstilzeit und dem Expressionismus lautete das oberste Gebot für die Architektur: Es lebe die Schlichtheit. Heute dagegen gilt als genial, wie das Bauhaus das Praktische mit dem Ästhetischen verband. Von seinen Experimenten profitieren viele noch immer. Mancher hat einen Teppich im Wohnzimmer, der nach Mustern der Bauhaus-Textilkünstlerin Gunta Stölzl gewebt wurde. Andere schaukeln ihr Baby in einer Neuauflage von Peter Kelers Bauhaus-Wiege. Oder wohnen in einem weißen Kubus mit farbig umrahmten Balkonen - typische Merkmale des Neuen Bauens von einst.

2019 ist es 100 Jahre her, dass der Architekt Walter Gropius in Weimar das "Staatliche Bauhaus" gründete. Die Vorbereitungen für das Jubiläum laufen. Doch warum warten? Für alle, die ab sofort tiefer in die Materie einsteigen und dem Massentourismus an den Bauhausstätten zuvorkommen wollen, haben die Kunsthistoriker Christian Welzbacher und Susanne Knorr sowie der Kulturjournalist und ehemalige Sprecher der Stiftung Bauhaus Dessau, Ingolf Kern, einen ungewöhnlichen Architekturführer herausgegeben. Das "Bauhaus Reisebuch" stellt circa 70 Bauhaus-Orte ganz unterschiedlicher Art in Deutschland vor. Das sind von Bauhäuslern gestaltete Gebäude, aber auch Bauten, in denen man die Gestaltungsschule oder einzelne Künstler besser kennenlernen kann. Obwohl sie nur von 1919 bis 1933 existierte, waren die Mitglieder dieser bedeutenden Ideenschmiede für Architektur, Kunst, Design und Pädagogik sehr produktiv. Mühelos lässt sich ein Programm für eine mehrwöchige Bauhaus-Reise durch die Republik erstellen.

Die drei wichtigsten Wirkungsstätten des Bauhauses in Deutschland - Weimar, Dessau und Berlin, jeweils mit ihrer Umgebung - geben die Kapitelstruktur des Architektur- und Design-Führers vor. Mit dem "Bauhaus Reisebuch" in der Tasche flaniert man zu öffentlichen Gebäuden wie zu Wohnsiedlungen und frei stehenden Häusern, deren Geschichte und heutige Nutzung das Autorenteam in kurzen Porträts vorstellt. Bereits 1919 hatte Walter Gropius im Manifest zur Bauhaus-Gründung die höchste Intention seiner Schule verkündet: "Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau!" Wer wissen will, wie er selbst und Bauhaus-Lehrmeister und -Künstler, darunter Wassily Kandinsky, Lyonel Feininger, Oskar Schlemmer oder László Moholy-Nagy lebten, fährt zu der nach Gropius' Entwürfen erbauten Unesco-Welterbe-Siedlung - den Meisterhäusern in Dessau.

Erster Sitz der Gestaltungsschule war Weimar. Im Bauhaus-Museum kann man anhand von circa 200 charakteristischen Exponaten sehr gut nachvollziehen, wie das Zusammenspiel verschiedener Künste, zu der auch die Fotografie gehört, mit Handwerk und Technik am Bauhaus funktionierte. Für einen Besuch bleibt aber nur noch Zeit bis einschließlich 7. Januar, dann schließt das Haus. Der Hintergrund: Derzeit entsteht ein neues Bauhaus-Museum, das angemessene Präsentationsmöglichkeiten für die circa 13 000 Objekte umfassende Sammlung der Klassik-Stiftung Weimar bietet. Die Eröffnung ist für das Frühjahr 2019 geplant. Im neuen Museum werden Besucher erleben können, wie das künstlerische Netzwerk in Weimar daran arbeitete, den Alltag des Menschen, auch der kleinen Leute, zu verschönern.

Das Jubiläum zum hundertjährigen Bestehen bildet den Anlass für weitere große Projekte: In Dessau-Roßlau entsteht ein neues Bauhaus-Museum. Die Fertigstellung ist für 2019 anvisiert. Das Museum soll erstmals die gut 40 000 Exponate umfassende Sammlung der Stiftung Bauhaus Dessau der Öffentlichkeit zugänglich machen.

Die weltweit umfangreichste Sammlung zur Geschichte der Gestaltungsschule - zu ihr gehören unter anderem mehr als 700 000 Dokumente, über 10 000 Designobjekte und Möbel sowie verschiedene Teilnachlässe und eine umfangreiche Bibliothek - beherbergt das Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung in Berlin. Auch diese Institution wird künftig erheblich bessere Möglichkeiten haben, ihre Exponate, darunter auch Architekturmodelle und Fotografien, zu präsentieren. Das Baudenkmal wird von Mai 2018 an saniert und um einen Museums-Neubau nach einem Entwurf des Architekten Volker Staab erweitert werden: Staab sieht einen fünfstöckigen gläsernen Turm für Bildungsangebote vor. Er dient zugleich als Eingang zu den unterirdisch gelegenen Ausstellungsräumen. Die Kosten des Projekts belaufen sich auf insgesamt gut 56 Millionen Euro - Bund und Länder steuern jeweils die Hälfte der Summe bei. Die Eröffnung des neuen Museums ist für 2022 geplant.

Nach Ende der Ausstellung im Bauhaus-Archiv zum Thema New Bauhaus in Chicago, die bis 5. März 2018 läuft, erwartet Besucher eine Besonderheit: "Von Mitte März bis Ende April kommenden Jahres wird das Gebäude von Walter Gropius annähernd im Originalzustand von 1979 erlebbar sein", sagt Ulrich Weigand, Leiter Kommunikation des Bauhaus-Archivs, "das heißt, man kann Architektur pur erleben, ein leeres Gebäude mit den Sichtachsen, so wie Gropius sie vorgesehen hatte." Nach der Sanierung wird das Bauhaus-Archiv als Forschungs- und Wissenschaftszentrum dienen.

Reizvoll an einer solchen Reise ist aber auch, Bauhaus-Orte anzusteuern, die nicht jeder kennt. Dazu gehören etwa das Ausflugsrestaurant Kornhaus in Dessau-Roßlau oder die romanische Dorfkirche von Gelmeroda, Vorlage für Lyonel Feiningers Titelblatt für das Manifest des Staatlichen Bauhauses, oder die Bauhaus-Töpferei Dornburg. Auch zum Wohn- und Atelierhaus der Textilkünstlerin und Bauhaus-Studentin Margaretha Reichardt nach Erfurt lotsen einen die Autoren.

In die einzelnen Kapitel haben die Experten Essays mit Hintergrundwissen eingebettet. Ein Essay beschäftigt sich mit der seinerzeit für das Bauhaus schwierigen politischen Situation: Von rechtsgerichteten Politikern vertrieben, zog es 1925 nach Dessau um; die kurze Berliner Phase von 1932 bis 1933 endete damit, dass sich die Schule auf Druck der Nazis auflösen musste. Ein anderer Essay skizziert, wie sich das Bauhaus unter seinen drei Direktoren - Walter Gropius, Hannes Meyer und Ludwig Mies van der Rohe - gewandelt hat. Ein weiterer widmet sich dem Schaffen des Berliner Architekten Winfried Brenne, der sich seit Jahrzehnten um den Erhalt und die behutsame Sanierung von Siedlungen der klassischen Moderne, insbesondere des Stadtplaners und Sozialreformers Bruno Taut, verdient gemacht hat.

Reise durch Deutschland: Walter Gropius (1883-1969) gründete das Bauhaus.

Walter Gropius (1883-1969) gründete das Bauhaus.

(Foto: Klassik Stiftung Weimar Fotothek)

Unter Leitung Brennes und seines Büropartners, des Architekten Franz Jaschke, ist die Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in Bernau (Brandenburg) denkmalgerecht saniert worden. Seit Mitte dieses Jahres gehört der Schulkomplex, den die Handwerkskammer Berlin heute als Seminarhotel nutzt, zum Unesco-Welterbe Bauhaus. Errichtet wurde er in den Jahren 1928 bis 1930 nach Entwürfen des zweiten Bauhaus-Direktors, Hannes Meyer. Das aus verschiedenen Häusern bestehende Ensemble prägt ein ausgeklügeltes Farb- und Wohnkonzept für Schüler und Lehrer. Das aber war lange Zeit nicht erkennbar: Brenne Architekten mussten die zu DDR-Zeiten völlig verbaute Schule erst einmal freilegen. Winfried Brenne erklärt, inwiefern sich hier pädagogische und soziale Ideale vorbildlich in der Architektur spiegeln: "Vor dem Hintergrund von Johann Heinrich Pestalozzis Reformpädagogik ging Hannes Meyer sowohl auf das soziale Miteinander der Schüler als auch auf das Individuum ein, was sich auch in der farbigen ,Verortung' der einzelnen Schülerhäuser niederschlägt." Bei den Gebäuden des Schulkomplexes sei es Meyer wichtig gewesen, das Thema "Begegnungsraum" zu verwirklichen. Eine Besonderheit stellen laut Brenne auch die Blickbeziehungen zur umgebenden Natur dar. Nachhaltige, robuste Materialien waren zu jener Zeit beliebt: So besteht die unverputzte Fassade der Bundesschule aus gelben Ziegeln. Unter der Ägide Meyers bevorzugten die Bauhäusler für die Einrichtung Holzmöbel gegenüber eleganten und teureren Stahlrohrmöbeln. Denn der gestalterische Anspruch des Bauhauses in jener Phase lautete: "Volksbedarf statt Luxusbedarf."

Doch die Hauptstadt bietet Bauhaus-Liebhabern noch viel mehr. Verschiedene Stile innerhalb der Avantgarde vereint die Großsiedlung Siemensstadt, an der verschiedene Architekten und Stadtplaner mitwirkten, darunter Martin Wagner, Hans Scharoun, Walter Gropius und Otto Bartning. Je tiefer das Interesse am Bauhaus, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass man sich auf Nebenpfade begibt und zum Beispiel die Villa des Berliner Archäologen Theodor Wiegand besucht oder die Halle der AEG-Turbinenfabrik, ein Schlüsselwerk moderner Industriearchitektur. Beide Berliner Bauwerke gehen auf Entwürfe des Industriedesigners Peter Behrens zurück, Bauhaus-Vorreiter und Lehrer von Walter Gropius.

Die nach Behrens' Plänen Anfang der Dreißigerjahre errichtete, ehemalige Tabakfabrik in Linz ist zu einem architektonischen Aushängeschild der österreichischen Stadt geworden: Das am Donauufer gelegene Industriedenkmal im Stil der Neuen Sachlichkeit transformiert sich peu à peu für die moderne Zeit: Handwerker, Wissenschaftler, Künstler, Medienleute und Gastronomen arbeiten auf dem circa 80 000 Quadratmeter großen Fabrikgelände. Anfang November ist dort ein internationales Forschungszentrum für Medien- und Performance-Kunst eröffnet worden.

Vielleicht hat der eine oder andere nach einer Bauhaus-Tour im deutschsprachigen Raum Lust auf mehr. Dann plant man vielleicht eine Auslandsreise auf den Spuren der Bauhäusler im Exil. Sie könnte in die USA, aber auch nach Israel oder in die Sowjetunion führen. Dort werden Reisende erleben, wie sich die gestalterischen Ideen des Bauhauses weiterentwickelt haben.

Informationen: Das Bauhaus Reisebuch, erschienen 2017 im Prestel Verlag mit Sitz in München, widmet sich auf 304 Seiten Bauten unterschiedlicher Funktionen. Es kostet 19,95 Euro. Zu jedem Kapitel gehört ein Service-Teil, der die Möglichkeiten zur Besichtigung nennt und erklärt, mit welchen Verkehrsmitteln die einzelnen Orte zu erreichen sind. Das Berliner Bauhaus-Archiv veranstaltet ab April 2018 wieder Bauhaus-Touren in Berlin und Umgebung; Näheres unter dem Link https://www.bauhaus.de/de/vermittlung/31_bauhaus_touren/

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: