Süddeutsche Zeitung

Reden wir über Geld:"Zahnarzthelferin, das war mein Traum"

Eine abgeschobene Afrikanerin über ihre Sehnsucht nach Deutschland und darüber, wie sie mit 20 Euro im Monat überlebt.

A. Mühlauer u. H. Wilhelm

Celestine Kpakou war sieben Jahre alt, als sie mit ihrer Familie aus Togo nach Deutschland flüchtete. Hier lebte sie 13 Jahre, bis sie 2006 abgeschoben wurde. Heute wohnt sie mit zwei Geschwistern in Lomé, der Hauptstadt Togos, und macht eine Ausbildung zur Schneiderin. Französisch, die Amtssprache in Togo, hat sie nie gelernt. Deutsch hingegen spricht sie gut - mit hessischem Akzent. Ein Gespräch über Geld, Wut und Träume im Leben einer 22-Jährigen.

SZ: Celestine Kpakou, reden wir über Geld. In Togo nennt man Sie eine "Weggeworfene". Was bedeutet das?

Celestine Kpakou: Deutschland hat mich abgeschoben. Weggeworfen. Das versteht hier unten niemand. Mich will in Afrika keiner haben. Ich habe ja nichts. Kein Geld, kein Auto. Hier unten meinen sie, ich hätte es in Deutschland nicht geschafft. Manchmal traue ich mich gar nicht zu sagen, dass ich von dort komme.

SZ: Sie wurden doch gegen Ihren Willen abgeschoben.

Kpakou: Das interessiert hier unten keinen. Die haben eher Angst, dass ich ihnen ihre Sachen wegesse.

SZ: Sie arbeiten doch, oder?

Kpakou: Ja, aber das bringt kein Geld. Das ist echt der Hammer hier unten. Ich mache eine Ausbildung als Schneiderin und muss dafür auch noch bezahlen.

SZ: Wie viel denn?

Kpakou: Für drei Jahre 150 Euro.

SZ: Das ist viel. Der durchschnittliche Monatslohn in Togo beträgt nur 40 Euro.

Kpakou: Das ist verdammt viel. Einmal habe ich das Thema angesprochen und gesagt, dass ich es nicht verstehe, warum ich für meine Arbeit zahlen soll. Da haben sie mich angeschrien und gesagt, ich soll bloß den Mund halten. Das sei doch selbstverständlich.

SZ: Liegt es auch daran, dass Sie so gut wie kein Französisch sprechen?

Kpakou: Sicher. Ich gelte als jemand, der nie zur Schule gegangen ist. Mein Chef sagt: Wie kannst du in Deutschland zur Schule gegangen sein und jetzt hier arbeiten? Das macht mich wütend. Aber es geht halt nicht anders, jetzt lerne ich eben Schneiderin, damit ich in zwei Jahren meinen Abschluss habe. Hauptsache, ich habe irgendwas.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie der Arbeitsalltag von Celestine Kpakou in Togo aussieht - und warum sie Deutschland vermisst.

SZ: Wie sieht Ihr Arbeitstag aus?

Kpakou: Um 7.30 Uhr fange ich an und arbeite bis 20 Uhr. Eine halbe Stunde habe ich Mittagspause. Ich arbeite sechs Tage die Woche. Nur am Sonntag nicht. Wenn der Chef aber sagt, am Sonntag ist Arbeit, dann komme ich eben.

SZ: Welche Rolle spielt Geld in Togo?

Kpakou: Hier unten spielt Geld eine Riesenrolle. Wer zum Arzt geht, muss schon vorher bezahlen, sonst wird man nicht behandelt. Sie wollen nur das Geld sehen, sonst rühren sie keinen Finger. Das ist echt schlimm.

SZ: Alles eine Frage des Geldes?

Kpakou: Ja, alles. Das fängt schon morgens an, wenn ich Wasser hole. Am Brunnen steht eine Frau und kassiert. Weil sie Angst hat, dass man später nicht zahlen kann.

SZ: Wie viel Geld brauchen Sie?

Kpakou: Ich brauche so 20 Euro pro Monat zum Überleben. Ich kaufe mir nur die wichtigsten Sachen, so wie Seife. Ich kann nicht mehr nach Lust und Laune einkaufen wie in Deutschland.

SZ: Woher bekommen Sie das Geld?

Kpakou: Aus Deutschland. Von Freunden aus Cölbe in Hessen, wo wir gewohnt haben. Manchmal habe ich das Gefühl, ich ziehe den Leuten das Geld aus der Tasche.

SZ: Warum das?

Kpakou: Weil ich ja unverdientes Geld annehme. Ich ärgere mich, dass ich nicht unabhängig leben kann. Aber natürlich bin ich sehr dankbar für die Unterstützung. Ich danke Gott, dass es Menschen gibt, die mir helfen.

SZ: Was vermissen Sie?

Kpakou: Die Deutschen fühlen mehr mit den anderen mit. Hier unten heißt es: Wenn du nicht an dich denkst, wer denkt dann schon an dich? Ganz anders als in Deutschland. Dort hatte ich immer jemanden, mit dem ich über meine Probleme sprechen konnte.

SZ: Wie lebten Sie in Deutschland?

Kpakou: Wir sind neun Geschwister und haben uns die Zimmer geteilt. Ich bin auf die Realschule gegangen und wollte danach Zahnarzthelferin werden, das war mein großer Traum.

SZ: Was machten Sie in Ihrer Freizeit?

Kpakou: Ich habe mit meiner Schwester Zeitungen ausgetragen. Mit dem Geld konnten wir shoppen oder mit Freunden ausgehen. Am Wochenende sind wir in die Großstadt gefahren. Nach Frankfurt oder Gießen. Das war zwar für mich verboten, aber was soll's?

SZ: Wieso verboten?

Kpakou: Ich durfte meinen Landkreis nicht verlassen. Aber ich wollte mit meinen Freunden was machen, das war mir das Wichtigste.

SZ: Fühlten Sie sich manchmal als Fremde?

Kpakou: Eigentlich nicht. Das Schlimmste war, dass wir nie wegfahren durften. Meine Freunde haben mir immer von ihren Reisen erzählt. Australien, Italien, Amerika. Das habe ich vermisst. Ich wollte erfahren, was da draußen passiert. Bei der Klassenfahrt durfte ich nie mitfahren. Ich fühlte mich eingesperrt.

Lesen Sie im dritten Teil, wie die Abschiebung von Celestine Kpakou ablief - und wovon sie heute träumt.

SZ: Hatten Sie in Deutschland Angst vor der Abschiebung?

Kpakou: Die Angst war immer da. Man bekam immer Briefe von Behörden. Ich habe von Abschiebungen in unserer Gegend gehört. Aber ich habe nie gedacht, dass sie eine Familie mit neun Kindern loswerden wollen.

SZ: Am 18. September 2006 kam die Abschiebung. Woran erinnern Sie sich?

Kpakou: Früh morgens um fünf Uhr klingelte es an der Haustür. Wir haben uns schon gewundert, wer das ist. Dann standen da voll viele Polizisten. Einer sagte: "So, jetzt geht's ab in die Heimat." Es war ein Albtraum. Ich wusste gar nicht, was mit mir geschieht. Meine ältere Schwester hat ein paar Sachen für mich eingepackt. Ich selbst war einfach nur schockiert.

SZ: Was hat Ihre Schwester denn eingepackt?

Kpakou: Komischerweise vor allem Pullover. Aber die kann ich hier unten nicht anziehen, es ist viel zu heiß. Aber wir wussten ja nichts von Afrika; wir wussten nur, dass es da unten warm ist, mehr nicht.

SZ: Was war das Wichtigste, was Sie vergessen haben?

Kpakou: Mein Schulzeug hab ich nicht eingepackt, Zeugnisse, Praktikumsbestätigungen. Ich hab in dem Moment einfach nicht dran gedacht.

SZ: Wo sind die Sachen jetzt?

Kpakou: Bei unserem Nachbarn in Cölbe. Er bewahrt unsere Dinge auf, im Keller, und hofft, dass wir irgendwann wiederkommen, um sie abzuholen.

SZ: Wie verlief die Abschiebung?

Kpakou: Meine Mutter wurde separat mit meinem kleinen Bruder von Frankfurt abgeschoben, meine Schwestern und ich von Hamburg. Am Flughafen haben sie uns kontrolliert. Wir mussten uns ausziehen. Die Beamten wollten schauen, ob wir Drogen dabei haben. Meine Schwester, 17, haben sie abgetastet. Es war einfach entwürdigend.

SZ: Haben Sie geweint?

Kpakou: Meine Schwester hat geweint und sich auf dem Boden gewälzt. Ich hab nicht geweint, es hätte ja nichts geholfen.

SZ: Wie hat Ihr Vater reagiert?

Kpakou: Der hat ganz plötzlich Bluthochdruckprobleme bekommen. Die Beamten haben zu uns gesagt, er werde jetzt kurz untersucht. Nach fünf Minuten kamen sie zu uns und sagten, mein Vater wäre schon im Flugzeug und . . . (zögert). Aber er war nicht im Flugzeug.

SZ: Sondern?

Kpakou: Er lebt bis heute in Deutschland, weil er so krank ist, dass er nicht abgeschoben werden darf. Wir haben geweint, aber keiner hat uns zugehört. Wir sind dann losgeflogen. In Togo angekommen, saßen wir stundenlang am Flughafen. Irgendwann hat uns ein Typ abgeholt, der sagte, er sei unser Onkel. Wir kannten ihn nicht. Er hat gesagt, unser Vater hätte ihn angerufen und ihn gebeten, uns abzuholen. Wir konnten unseren Vater aber nicht erreichen. Wir sind dann mit dem Onkel-Typen mit. Es blieb uns ja nichts anderes übrig. Der hat uns dann in ein Zimmer gesteckt. Es war einfach schlimm zu sehen, wie die dort leben.

SZ: Wie denn?

Kpakou: Das Dach war nicht dicht, Schimmel war an den Wänden, das Klo zur Hälfte abgebrochen. Meine Güte, war das unordentlich.

SZ: Wie haben Sie überlebt?

Kpakou: Wir haben Geld aus Deutschland geschickt bekommen. So konnten wir uns eine eigene Wohnung nehmen. Anders hätten wir es nie geschafft.

SZ: Was ist Ihr größter Traum?

Kpakou: Dass ich wieder zurück nach Deutschland komme. Ich will dort nicht vom Sozialamt leben, sondern mein eigenes Leben leben und dafür arbeiten. Die Hoffnung ist ganz groß. Aber politisch ist es wohl unmöglich.

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Quelle:
SZ vom 27.03.2009/tob
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