Reden wir über Geld: Wolfgang Franz:"Unsere Prognosen können morgen schon falsch sein"

Sein Job sind Konjunkturprognosen, doch nun vergleicht sie ausgerechnet der oberste Wirtschaftsweise Wolfgang Franz mit dem Wetterbericht. Dem vertraue ja auch niemand blind.

M. Balser und S. Boehringer

Konjunkturprognosen werden völlig überbewertet, meint ausgerechnet der oberste unabhängige Politikberater Deutschlands. Als Chef des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung geht Wolfgang Franz, 66, bei der Bundesregierung ein und aus. Wenn sein Team der "Fünf Weisen", wie der Rat im Volksmund heißt, einmal im Jahr sein Gutachten zur Wirtschaftslage vorlegt, horcht die Republik auf. Doch verlassen sollte man sich auf die Vorhersagen genauso wenig wie auf den Wetterbericht, meint Franz, der seine ganze Karriere in der ökonomischen Lehre und Forschung verbracht hat. Dabei wollte der Professor für Volkswirtschaftslehre eigentlich Krämer werden. Waren verkaufen, die es nach dem Krieg nicht gab - und Geld verdienen für "Mohrenköpfe", die er so liebte.

"Konjunkturprognosen sind nicht zu trauen", sagt Chef der Wirtschaftsweisen, Wolfgang Franz.

"Konjunkturprognosen werden völlig überbewertet", sagt Chef der Wirtschaftsweisen, Wolfgang Franz.

(Foto: ddp)

SZ: Herr Franz, reden wir über Geld. In der Wirtschaftskrise ruinierten viele Ökonomen ihren Ruf. Selbst führende deutsche Forscher lagen mit Konjunkturprognosen völlig daneben.

Wolfgang Franz: Wem sagen Sie das!

SZ: Ihre Zunft sagte nach Ausbruch der Krise eine Stagnation vorher, mitten in der Krise dann einen Einbruch von minus sieben Prozent. Am Ende stimmte beides nicht. Warum sollten wir Konjunkturforschern wie Ihnen noch glauben?

Franz: Von minus sieben Prozent war bei uns nicht die Rede. Und trotz einiger Irrtümer sind die Prognosen des Sachverständigenrates und der meisten Wirtschaftsforschungsinstitute immer noch das Beste, was es am Markt gibt. Um es hier mal ganz deutlich zu sagen: Wir wissen, dass es unmöglich ist, die Zukunft vorherzusehen. Wir können jeweils nur Momentaufnahmen machen und auf dieser Basis vorhersagen. Das kann morgen schon falsch sein. Kriege, politische Eingriffe in die Wirtschaft, Naturkatastrophen oder Terrordrohungen, all das beeinflusst die Wirtschaft, ist aber nicht vorhersehbar.

SZ: Sie sind Chef der Sachverständigen, der Könige der Politikberatung in Deutschland - und sagen gerade, dass Ihr Job unerfüllbar ist.

Franz: Mein Job besteht ja nur zu einem geringen Teil aus der Prognosetätigkeit. Trotzdem: Ich kann jedem nur raten, Konjunkturprognosen nicht blind zu vertrauen. Beim Wetterbericht tun Sie das ja auch nicht.

SZ: Beim Wetter sind die Folgen von Fehleinschätzungen geringer. Nach Konjunkturprognosen planen Firmen die Zukunft und die Regierung den Etat. Hört die Bundeskanzlerin Ihnen noch zu?

Franz: Warum sollte sie das nicht tun? Ein Großteil unserer Arbeit ist wirtschaftspolitische Beratung und das können wir ganz gut. Die Medien reduzieren uns gerne auf Zahlen - und dann auch noch auf problematische.

SZ: Wie meinen Sie das?

Franz: Die Wirtschaft, auch die Medien, verlangen Punktprognosen. Wenn man für die Prognose aber sinnvollerweise einen Korridor angibt - sagen wir zwischen 1,5 und zwei Prozent Wachstum -, was machen Ihre Kollegen dann daraus? 1,75 Prozent! Zwei Stellen hinter dem Komma, das suggeriert eine noch höhere Genauigkeit.

SZ: Was kostet das Jahresgutachten des Sachverständigenrates?

Franz: Das lässt sich schwer sagen, da wir neben dem Gutachten noch Expertisen im Auftrag der Regierung erstellen. Der Jahresetat des Sachverständigenrates beläuft sich auf 2,2 Millionen Euro.

"Die Medien reduzieren uns gerne auf problematische Zahlen"

SZ: Analysten verdienen oft gemäß ihrer Trefferquote. Wie wäre es mit einer erfolgsabhängigen Bezahlung für Sie?

Franz: Damit habe ich grundsätzlich kein Problem. Nur: Woran wollen Sie den Erfolg messen? Unsere Hauptaufgabe ist die wirtschaftspolitische Beratung, nicht die Prognose.

SZ: Verdienen Sie als Chef des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) mehr oder weniger als Ihre Kollegen in anderen Konjunkturinstituten?

Franz: Ich weiß nicht, was die Kollegen verdienen.

SZ: Wie legt einer der führenden Ökonomen im Land sein Geld an?

Franz: Ich kümmere mich selbst darum, nach der Regel: Nicht alle Eier in einen Korb, also breit gestreut.

SZ: Gemäß der jüngsten Prognose des Sachverständigenrates wächst Deutschland mit 3,7 Prozent in diesem Jahr, 2011 immerhin noch mit 2,2 Prozent. Das sind Werte, von denen selbst Optimisten vor der jüngsten Krise nur träumen konnten. Setzen Sie auf steigende Börsen?

Franz: Ich gebe keine verklausulierten Anlagetipps ab, das bringe ich mich in meiner Position in Teufels Küche.

SZ: Die Aktienmärkte haben seit Frühjahr ja eine ordentliche Rally hingelegt, und damit einen Teil des Konjunkturaufschwungs vorweggenommen. Während Deutschland sich im Exportboom sonnt, kämpfen klamme Länder wie Griechenland und Irland ums blanke Überleben. Droht dem Euro der Zerfall?

Franz: Nein, ich sehe keine Existenzkrise. Richtig ist: Einige Länder in Europa verzeichnen bedrohliche Ungleichgewichte. Dafür gibt es den Rettungsschirm. Aber die Währungsunion muss reformiert werden. Wir müssen den Euro auf ein sicheres Fundament stellen.

SZ: Wie sieht das aus?

Franz: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt darf nicht länger ein Papiertiger sein und wir brauchen einen dauerhaften Krisenmechanismus für die Zeit nach Auslaufen des Rettungsschirms. Wir müssen dafür sorgen, dass finanzpolitisches Fehlverhalten mit Sanktionen bestraft wird. Bislang war das zu selten der Fall.

SZ: Warum versagten die Mechanismen bisher?

Franz: Weil in Brüssel potentielle Sünder über tatsächliche geurteilt haben. So mancher Finanzminister mag gedacht haben: Vielleicht bin ich der nächste, also will gnädig sein. Ein Fortschritt wäre es schon, wenn die EU-Kommission Sanktionen vorschlägt und Regierungschefs darüber befinden müssen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Sanktionen dann tatsächlich verhängt werden. Auf jeden Fall müssen die öffentlichen Haushalte konsolidiert werden, das heißt die Neuverschuldung und die Schuldenquote müssen sinken.

"Kollegen investieren in griechische Staatsanleihen"

SZ: Die Schulden einiger Länder sind so hoch, dass manche Experten nicht glauben, dass sie rückzahlbar sind. Viele Anleger flüchten aus Angst vor Inflation in Immobilien oder Gold. Staatsanleihen gelten nicht mehr durchweg als sichere Sache. Sie auch?

Franz: Ich kenne Kollegen, die in griechische Staatsanleihen investieren. Sie halten das für eine sichere Wette, solange der Rettungsschirm da ist. Vermutlich liegen sie richtig - mir ist das zu riskant.

SZ: Liegen Ökonomen mit ihrer Geldanlage besser als andere Investoren?

Franz: Kaum. Ich kenne etwa Fachleute für Wechselkursfragen, die auf bestimmte Devisenschwankungen spekulierten und völlig daneben lagen. Wechselkurse kann man kurzfristig nicht fundiert prognostizieren.

SZ: Geben Sie gerne mal Geld aus?

Franz: Ich habe gar keine Zeit, Geld auszugeben.

SZ: Wir geben Ihnen tausend Euro. Was machen Sie damit?

Franz: Vielen Dank. Ich gehe in eine Buchhandlung, dann kaufe ich mir noch ein paar schöne CDs. Anschließend gehe ich ein paarmal schick essen und trinken und ins Nationaltheater in Mannheim - danach ist nichts mehr übrig. (lacht)

SZ: Solche Konsumenten braucht das Land. Wo fängt für Sie Verschwendung an?

Franz: Wenn man etwas wegschmeißt, was andere Menschen noch gut gebrauchen können. Das mache ich nicht gerne. Lieber nutze ich den Sperrmüll, da kann es sich jemand nehmen, der es benötigt.

SZ: Sie sind einer der wichtigsten Ratgeber der Republik. Wer sind denn Ihre eigenen besten Ratgeber?

Franz: Freunde aus allen möglichen Bereichen. Ich lege in meiner Freizeit besonderen Wert darauf, mich mit Menschen zu unterhalten, die etwas völlig anderes machen als ich. Was allerdings zur Folge hat, dass sie mich bei einigen Themen durchaus heftig kritisieren.

"Mindestlöhne vernichten Jobs"

SZ: Bei was denn zum Beispiel?

Franz: Etwa wegen meiner Ablehnung von Mindestlöhnen, die nach meiner festen Überzeugung Jobs vernichten. Oder meiner Einstellung zum Lohnabstandsgebot: Ich halte es für sehr wichtig, dass arbeitende Menschen finanziell besser dastehen als Hartz-IV-Empfänger.

SZ: Haben Sie schon einmal versucht, mit dem Regelsatz des Arbeitslosengeldes II auszukommen? Was würde Ihnen überhaupt zustehen?

Franz: Ich bin alleinstehend, also würden mir momentan 359 Euro im Monat zustehen, hinzu kommen Leistungen für Unterkunft und Heizung. Das ist hart, aber diese Erfahrung musste ich zum Glück in meinem Leben nicht machen. Als Wissenschaftler arbeite ich dafür, dass Menschen, denen dieses Schicksal widerfährt, wieder in den Arbeitsprozess integriert werden können.

SZ: Wie zum Beispiel?

Franz: Indem ich mich für einen Niedriglohnsektor mit aufstockendem Arbeitslosengeld II, aber ohne Mindestlohn einsetze. Das bietet gerade für viele Langzeitarbeitslose die Chance, wieder eine reguläre Stelle zu finden.

SZ: Als Schuhputzer oder Tütenpacker.

Franz: Man sollte nicht abfällig über solche Stellen reden. Jede ehrliche Arbeit verdient Respekt! Außerdem gab es früher noch weitere nützliche Tätigkeiten, wie beispielsweise als Tankwart oder morgendlicher Austräger von Milch und Brötchen vor die Haustür.

SZ: Die es in Ihrer Jugend alle noch gab. Sie sind 66 Jahre alt und haben Ihre ganze Karriere mit ökonomischer Forschung und Lehre verbracht. Wollten Sie schon immer Volkswirt werden?

Franz: Überhaupt nicht. Meine Mutter war Arzthelferin, mein Vater Maschinenbau-Ingenieur. Da lag Volkswirtschaft zunächst nicht so nahe. Ich träumte in früher Jugend eher davon, einen Tante-Emma-Laden zu betreiben.

"Für eine Kofferfuhre habe ich eine Mark bekommen"

SZ: Sie wollten Krämer werden?

Franz: Zumindest berichteten meine Eltern, dass ich ihnen ordentlich auf den Geist gegangen bin mit meinem Spielzeug-Kaufladen. Meine Mutter und andere Kinder mussten dauernd bei mir einkaufen.

SZ: Sie sind 1944 geboren und haben Ihre Kindheit in der kargen Nachkriegszeit verbracht. Waren Sie arm?

Franz: Nein. Wir hatten nach meiner Erinnerung genug zu essen. Gut, Spielzeug gab es nicht, zum Entsetzen unserer Eltern haben wir stattdessen in Trümmern gespielt.

SZ: Wann haben Sie Ihr erstes eigenes Geld verdient?

Franz: Als kleiner Steppke bin ich oft mit dem Fahrrad zum Bahnhof gefahren und habe die Ankömmlinge gefragt, ob ich für Sie ihre schweren Koffer nach Hause fahren darf. Meine Mutter und ich sind ohnehin öfters zum Bahnhof gegangen, wenn Kriegsgefangene aus Russland zurückkamen, in der Hoffnung, dass mein Vater dabei war. Einmal habe ich für eine Kofferfuhre eine Mark bekommen. Das war sensationell.

SZ: Was haben Sie damit gemacht?

Franz: Zum Leidwesen meiner Mutter habe ich davon "Mohrenköpfe" gekauft, heute sagt man ja Schokoküsse dazu. Später, als ich mir sie hätte kiloweise leisten können, mochte ich sie nicht mehr.

SZ: Kam Ihr Vater zurück aus Russland?

Franz: Ja, 1949 kam er zurück - ich war fünf Jahre alt und da war plötzlich einer, der anfing, mich strenger zu erziehen. Das war anfangs etwas gewöhnungsbedürftig.

SZ: Was planen Sie in Ihrem Leben noch?

Franz: 2013, nach Ablauf meiner Verträge, möchte ich die Welt nur zum Vergnügen noch einmal sehen. Ich möchte überall dorthin reisen, wo ich beruflich war, aber keine Zeit hatte, mir die Gegend etwas genauer anzusehen.

SZ: Wo trifft man Sie dann?

Franz: Auf dem Kreuzfahrtschiff.

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