Reden wir über Geld:"Rein ins Geschäft, Beute erlegen und wieder raus"

Handelsprofessor Willy Schneider erklärt, warum Menschen Dinge anschaffen, die sie nicht brauchen - und wie er sich beim Shoppen mit seiner Frau entzweit.

Hans von der Hagen

Einkaufen ist anstrengend. Und teuer, weil fast immer zu viel gekauft wird. Muss das so sein? Willy Schneider, 47, Professor in Mannheim, kennt die Strategien der Handelskonzerne. Er weiß, wie Kunden im Geschäft gnadenlos ausgetrickst werden - und willig alles mit sich geschehen lassen. Der Informationsüberfluss raubt den Menschen ihre Urteilskraft.

Reden wir über Geld: Früher wurde die Rationalität der Kunden hoch eingeschätzt. Doch die Forschung machte immer deutlicher, dass wir vor allem hormon- und triebgesteuert sind.

Früher wurde die Rationalität der Kunden hoch eingeschätzt. Doch die Forschung machte immer deutlicher, dass wir vor allem hormon- und triebgesteuert sind.

SZ: Herr Schneider, reden wir über Geld - und über das, was die Menschen damit jeden Tag machen: Einkaufen. Viele finden Shoppen mühsam, Sie aber beschäftigen sich jeden Tag damit. Warum?

Willy Schneider: Mein Vater war Großhändler für Boschprodukte - Zündkerzen, Keilriemen, Küchen. Ich sollte das Geschäft übernehmen, aber jetzt setze ich sein Thema als Wissenschaftler fort.

SZ: Und Ihr Vater fand das in Ordnung, als Sie ihm mitteilten, dass Sie das Geschäft nicht übernehmen?

Schneider: Nein, überhaupt nicht. Aber mich interessierte, warum man bestimmte Dinge macht. Wenn ich im Betrieb nachfragte, hieß es nur: Wir machen das so, weil wir es immer schon so gemacht haben.

SZ: Macht mit einem Professoren-Einkommen das Einkaufen schon Spaß - oder tut es noch weh?

Schneider: Als Hochschullehrer bekomme ich in meinem Alter rund 6000 Euro brutto. Auf der Ausgabenseite spielt Geld für mich darum nicht die entscheidende Rolle.

SZ: Kaufen Sie gerne ein? Für Sie muss es im doppelten Sinne Marktforschung sein.

Schneider: Es ist interessant, was sich in den Geschäften tut und welche Themen jeweils in den Vordergrund rücken: Jetzt ist es gerade die Regionalität. Supermärkte bieten also vermehrt Produkte aus dem eigenen Umfeld an und stacheln damit den Konsumpatriotismus an.

SZ: Wann haben Sie sich zuletzt über einen Einkauf geärgert?

Schneider: Das passiert mir ständig, weil ich Sachen kaufe, die ich eigentlich nicht brauche. Das gilt besonders für Hemden und Krawatten. Wenn da bei einem Händler Aktionsangebote liegen, schlage ich zu. Jetzt habe ich sie im Schrank - ungeöffnet.

SZ: Warum ist Einkaufen so schwierig, zumindest danach zu Hause?

Schneider: Wir überschätzen unsere Rationalität. Die Menschen werden stark durch Eindrücke gesteuert und sind darum weniger kontrolliert als sie glauben. Das führt dazu, dass Kaufentscheidungen zu wenig geprüft werden.

Zwischen Dominanz und Stimulanz

SZ: Einkäufer sind demnach wehrlos?

Schneider: Wir werden zumindest immer wieder Opfer unserer Natur. Die Entscheidungen werden weniger in dem Teil unseres Gehirns gefällt, der das rationale Denken steuert als vielmehr in jenem Teil, der sich um die Grundbedürfnisse kümmert. Das ist das sogenannte Reptilienhirn, der älteste Teil unseres Hirns.

SZ: Welche Grundbedürfnisse zwingen den Menschen zum ungewollten Geldausgeben?

Schneider: Die Forschung geht von drei Grundbedürfnissen aus: Dominanz - man will anderen überlegen sein; Stimulanz - der Wunsch nach Neuem und Aufregendem; und die Balance - das Streben nach Ausgeglichenheit und Sicherheit.

SZ: Was folgt daraus konkret?

Schneider: Jüngere Männer werden stark vom Dominanzmotiv geleitet, darum kaufen sie gerne Marken wie BMW, die ein dominantes und relativ aggressives männliches Image haben. Beim Einkauf verhalten sich Männer auch gerne wie Jäger: Schnell ins Geschäft reingehen, Beute erlegen und wieder raus. Übersetzt heißt das: Sie greifen sich die erstbeste Jeans. Wenn sie passt, wird sie gekauft. Und immer gilt: Sex sells. Wenn die Verkäuferin hübsch genug ist, setzt die Rationalität beim Mann aus.

SZ: Gilt das umgekehrt auch?

Schneider: Nicht ganz. Frauen werden sicher durch gut aussehende Männer angeregt, sie kaufen aber insgesamt mehr stimulanzgesteuert. Sie probieren viel aus, nehmen Dinge in die Hand und kaufen öfters spontan ein. Menschheitsgeschichtlich ist die Frau eher die Sammlerin. Im Alter überwiegt übrigens bei beiden Geschlechtern das Balancemotiv: Man sucht immer die gleichen Geschäfte auf und wählt immer die gleichen Produkte. Das gibt Sicherheit.

SZ: Was ist das mächtigste Instrument der Handelskonzerne? Der Rabatt?

Schneider: Der Rabatt hat eine herausragende Signalwirkung auf die Verbraucher, und das nicht nur aufgrund knapper Budgets. Wir sehen in den Geschäften entsprechende Hinweise - und schon wird das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert. Zugleich werden die anderen Kontrollinstrumente im Gehirn ausgeschaltet. Schon rote Preisschilder genügen, um das Belohnungszentrum zu aktivieren, selbst wenn es gar keinen Rabatt gibt oder die Preise sogar höher sind als bei Produkten mit weißem Preisschild.

SZ: Wie hat sich die Strategie der Handelskonzerne in den letzten Jahrzehnten geändert?

Schneider: Früher wurde die Rationalität der Kunden hoch eingeschätzt. Doch die Forschung machte immer deutlicher, dass wir vor allem hormon- und triebgesteuert sind. Darum sprechen die Konzerne mittlerweile weit mehr die Sinne an: Das Sehen, das Hören aber auch den Tastsinn oder - mit speziellen Verduftungsstrategien - das Riechen.

SZ: Die Kunden sind durchs Internet so gut informiert wie nie zuvor. Und Sie sagen: Sie handeln triebgesteuert?

Schneider: Es gibt die Informationsarmut im Informationsüberfluss. Es wird immer schwieriger, die vielen Informationen auf ein Urteil zu verdichten. Was passiert? Irgendwann gibt man auf - und lässt das Bauchgefühl sprechen. Da zählt dann plötzlich Vertrauen in Marken und Anbieter. Neuere Untersuchungen zeigen, dass die sogenannten "Bauchentscheidungen" nicht schlechter sind als die vermeintlich rationalen Entscheidungen. Der Anbieter kann beispielsweise auch ein bestimmter Supermarkt sein, dessen Angebot ich insgesamt vertraue. Da entwickelt sich eine soziale Beziehung zum Geschäft.

SZ: Wie beeinflusst das die Kaufentscheidungen?

Schneider: Die meisten Kaufentscheidungen werden heute in den Verkaufsräumen getroffen. Das bedeutet: Die klassische Werbung etwa über das Fernsehen verliert an Bedeutung, zumindest bei Produkten für den täglichen Bedarf. Dafür ist die Beeinflussung im Geschäft viel wichtiger geworden.

SZ: Wie reagieren die Konzerne darauf?

Schneider: Das Wichtigste ist: Die Kunden im Geschäft auszubremsen - wie ein Flugzeug auf der Landebahn. Wer vom Parkplatz in den Laden eilt, ist zu schnell unterwegs. Darum öffnen sich die Türen nur gemächlich und im Eingangsbereich werden die Kunden gleich mit Aktionsware konfrontiert, die nur hier zu finden ist; dahinter die Obst- und Gemüseabteilung, wo auch die meisten Kunden halt machen. Nichts steht einfach nur so da: Die Anordnung der Produkte in den Regalen - oben, unten, links oder rechts, wo wie beim Lesen das Auge am längsten verharrt - alles ist geplant. Auch der Einkaufswagen ist nicht nur groß, sondern noch angeschrägt. So rutschten die Waren aus dem Blickfeld des Einkäufers und er denkt: Da fehlt noch etwas.

Das Gummibärchen-Beispiel

SZ: Und immer werden die Kunden linksherum geführt?

Schneider: Fast immer. Der Mensch geht gerne im Gegenuhrzeigersinn. Warum, ist unklar. Menschen gehen auch nicht gern in die Innengänge des Supermarkts, vor allem wenn sie schmal sind. Dahinter steckt das Fluchtmotiv: Enge macht Angst. In engen Gängen geht ein Mensch unwillkürlich schneller als in breiten - und hat weniger Zeit, die Ware zu betrachten.

SZ: Wie beeinflussen uns die Farben?

Schneider: Da gibt es das Gummibärchen-Beispiel. Viele denken, sie könnten Gummibärchen im Blindtest am Geschmack erkennen. Können sie aber nicht, weil die Menschen umgekehrt von der Farbe auf den Geschmack schließen. Farbstrategien ziehen sich darum durch den ganzen Supermarkt, das gilt nicht nur für Frischeprodukte, sondern auch für die Farbe von Verpackungen. Kosmetika etwa sind überwiegend in Blau und Weiß verpackt, was Ruhe und Hygiene signalisiert. In der Psychologie nennt man das den Irradiationseffekt, wir schließen von einer Eigenschaft - in dem Fall der Farbe - auf das gesamte Produkt. Solche Vereinfachungsstrategien machen Entscheidungen leichter, aber sie werden eben auch ausgenutzt.

SZ: Was raten Sie jenen, die das Gefühl haben, immer wieder zu viel einzukaufen?

Schneider: Das einfachste Mittel ist, Einkäufe zu planen, sprich: mit der guten, alten Einkaufsliste zu arbeiten. Sinnvoll ist es außerdem, allein einzukaufen - je mehr Leute dabei sind, desto voller wird der Wagen. Und, ebenfalls ganz primitiv: Nicht hungrig einkaufen zu gehen. Außerdem hilft es, bar zu zahlen, das tut weh. Buchstäblich übrigens, weil bei der Herausgabe von Bargeld - weit mehr als bei Kartenzahlung - das Schmerzzentrum im Gehirn aktiviert wird.

SZ: Menschen, die zu viel über eine Sache wissen, können unerträglich werden. Kauft Ihre Partnerin noch mit Ihnen ein?

Schneider: Das schon, aber es gibt natürlich Spannungen. Meine Frau achtet sehr auf Qualität - und weniger auf den Preis. Bei mir steht hingegen der Preis im Vordergrund. Oder sie kauft gerne kleine Einheiten von Süßigkeiten, damit sie weniger zum Konsumieren hat. Bei mir kann es gar nicht groß genug sein - auch aus preislichen Gründen. Zugleich ist interessant, meine Frau beim Einkaufen zu beobachten: Sie kommt aus den neuen Bundesländern und ist noch zu DDR-Zeiten mit dem Mangelangebot groß geworden. Bei ihr merke ich ganz extrem, dass Sie eine Informationsüberlastung hat. Darum geht sie gerne in kleinere Geschäfte, um nicht von der Informationsflut erschlagen zu werden.

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