Reden wir über Geld: Walter:"Astronauten sind arme Schweine"

Ex-Raumfahrer Ulrich Walter über seinen Flug ins All für 1800 Euro Monatslohn und Langeweile in 300 Kilometer Höhe.

A. Fichter, D. Sürig u. H. Wilhelm

Am 20. Juli 1969 - vor 40 Jahren - sitzt Ulrich Walter vor dem Fernseher in Iserlohn und darf eine Stunde zusehen, wie sich die Apollo-Mondfähre mit Neil Armstrong und Buzz Aldrin dem Erdtrabanten nähert - doch dann muss der damals 15-Jährige ins Bett und verpasst die Mondlandung. 1993 fliegt er mit dem Spaceshuttle selbst ins All - für zehn Tage nur, aber über die redet er gerne. Und mit uns auch über Geld. Auf geht's.

Ulrich Walter, Foto: oh

Der ehemalige Astronaut Ulrich Walter sagt:"Wenn wir die Steinkohlesubventionen streichen, kann Deutschland eine Mondmission stemmen."

(Foto: Foto: oh)

SZ: Herr Walter, reden wir über Geld. Es gibt echte Probleme auf der Welt, Krise, Hunger, Kriege. Nun wollen die Amerikaner wieder auf den Mond fliegen. Kann man das Geld nicht sinnvoller ausgeben?

Ulrich Walter: Sie müssen das anders sehen. Wieder auf den Mond zu fliegen, wird etwa 200 Milliarden Dollar kosten...

SZ: Das ist 14-mal so viel, wie die Bundesregierung im ganzen Jahr für Bildung und Forschung ausgibt...

Walter: Die US-Mission kostet pro Jahr zehn Milliarden Dollar. Das ist exakt so viel, wie wir für Steinkohlesubventionen ausgeben. Wenn wir die Subventionen streichen, kann Deutschland eine Mondmission stemmen. Um mal die Relationen klarzumachen.

SZ: Sollten wir nicht trotzdem erst wichtigere Probleme lösen?

Walter: Warum geben wir so viel Geld für Opernsubventionen aus? Sollten wir nicht erst wichtigere Probleme lösen?

SZ: Was haben wir denn von der Raumfahrt?

Walter: Navigationssysteme, Satellitenfernsehen, Quarzuhren. Und vor allem: Grundlagenforschung.

SZ: Warum müssen die Amerikaner nach 40 Jahren nochmal auf den Mond?

Walter: Sie wollen ja weiter auf den Mars. Sie verstehen sich als Pioniere. Die Deutschen sind da ganz anders. Ein Freund hat mal gesagt, die Deutschen fahren auf der Autobahn und die Scheinwerfer sind nach hinten gerichtet. Genauso leben wir. Die Deutschen haben Angst vor der Zukunft, kaum Kinder, und sie mögen keine Raumfahrt.

SZ: Die Bundesregierung gibt jedes Jahr eine Milliarde Euro dafür aus...

Walter: Sie überweist davon etwa zwei Drittel der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA. Die Deutschen haben diese Scheckbuchmentalität: Hier habt ihr Geld, macht was Gescheites. Aber so funktioniert das nicht. Die Deutschen haben keine Visionen.

SZ: Es waren doch schon Roboter auf dem Mars. Warum müssen unbedingt Astronauten nach oben?

Walter: Sie können da nicht einen Automaten hinschicken und nach Leben suchen lassen. Sie brauchen einen, der ins Mikroskop schaut. Ein guter Biologe sagt vielleicht: So etwas habe ich noch nie gesehen, ich grabe noch mal. Und es gibt noch einen Grund: Nur ein Mensch kann uns erzählen, was dort ist. Wir können nur über ihn daran teilnehmen.

SZ: Ist Raumfahrt langfristig rentabel?

Walter: Raumfahrt ist zu 80 Prozent Grundlagenforschung. Da geht es nicht darum, Geld rauszuholen, sondern der Frage nachzugehen, wie die Natur tickt.

SZ: Der Steuerzahler soll den Forschern Geld rüberschieben und vertrauen, dass Sie was Ordentliches machen?

Walter: Genauso funktioniert Wissenschaft. Wir zahlen sehr viel Geld dafür, und das ist richtig. Wir sammeln Erkenntnisse. Wie alt das Universum ist, zum Beispiel. Die Leute gieren danach.

34 Dollar Reisekosten für den ersten Flug ins All

SZ: Sie waren ein einziges Mal im All - für zehn Tage. Warum haben Sie danach als Astronaut aufgehört? Zumal Ihre Ausbildung 400.000 Mark gekostet hat.

Walter: 1996 kamen alle europäischen Astronauten zur Behörde ESA. Ich habe kurz nachgedacht: Bei künftig 28 ESA-Astronauten werde ich wohl nie mehr fliegen. Daher sagte ich ab.

SZ: Sie hätten jede Menge verdient - und dafür nicht mal fliegen müssen?

Walter: (lacht) Kein Mensch macht diesen Job, um Kohle zu verdienen. Wissen Sie, was ich am Anfang als Astronaut verdient habe? 90.000 Mark. Das ist genau das, was ich meinen Mitarbeitern bezahle, wenn sie promovieren. 1800 Euro netto im Monat. Als wir dann flogen, kam ich auf 120.000 Mark einschließlich Zulagen.

SZ: Was für Zulagen?

Walter: Gefahrenzulagen. Ich musste beim Training Jets fliegen und so. Deshalb. Das war nicht viel. Wenn Sie sagen, Raumfahrt ist teuer, kann ich Ihnen gleich sagen: Es liegt nicht an den Gehältern der Astronauten.

SZ: Zahlen die Amerikaner besser?

Walter: Nein, bei der ESA müssen sie keine Steuern zahlen. Die Amerikaner dagegen rekrutieren viele aus dem Militär und zahlen ihnen dann ihre Gehälter weiter. Das ist nicht viel. Astronauten sind arme Schweine.

SZ: Kennen Sie "Schweine im Weltall"? Die Episode aus der Muppet Show?

Walter: Klar, wer kennt diese kultige Parodie auf Raumschiff Enterprise nicht! Möchte wetten, die hatten mehr Zuschauer als unsere Weltraummission... (lacht).

SZ: Konnten Sie wenigstens ordentlich Reisekosten absetzen? Vielleicht eine Kilometerpauschale für den Flug ins Weltall?

Walter: Ich musste ein Reisekostenformular ausfüllen...

SZ: Das ist nicht Ihr Ernst.

Walter: Doch, wir sind im öffentlichen Dienst. Sehen Sie, hier ist sie: 34 Dollar habe ich bekommen.

SZ: Für so eine lange Reise?

Walter: Für den Flug ins All wollten sie mir nichts zahlen, sondern nur für An- und Abreise zum Kennedy Space Center. Zwei Monate nach der Mission schickte die Nasa einen Scheck über 34 Dollar. Den habe ich behalten, als Andenken. Sechs Monate später kam die Nachfrage: Warum lösen Sie den Scheck nicht ein? Die hatten Angst, dass ich ihr ganzes Abrechnungssystem durcheinanderbringe.

"Wissenschaft im Weltall - wie Torte mit Schlagsahne"

SZ: Für die Tage im All gab es keinen Tagessatz - für Essen und so?

Walter: Nein. Das Essen wird gefriergetrocknet und verpackt. Im All macht man sich das dann warm.

SZ: Schmeckt das?

Walter: Nee, aber man ist ja auch nicht im Weltall, um dort à la carte zu essen. Es ist eben aufgewärmtes Essen. Außerdem ändert sich der Geschmackssinn in der Schwerelosigkeit - auch, weil man das Essen nicht riecht. Die Mahlzeiten sind trotzdem ein Höhepunkt des Tages. Sie arbeiten die ganze Zeit in grau gestrichenen Tonnen, machen wissenschaftliche Versuche. Ausgehen kommt nicht in Frage, das kann ganz schön frustrierend sein. Es bleibt: das Essen.

SZ: Das klingt ziemlich langweilig.

Walter: Ja, das war es auch. Das war wie Camping. Wenn Sie gerne campen, sind Sie im All gut aufgehoben.

SZ: Tröstet einen nicht der Blick aus dem Fenster?

Walter: Der erste Blick ist ganz toll, überwältigend. Aber man gewöhnt sich daran.

SZ: Sie würden also nicht nochmal ins All fliegen?

Walter: Doch, sofort. Ich bin Wissenschaftler - und konnte Wissenschaft im Weltall machen. Ist das nicht toll? Das ist wie Torte mit Schlagsahne. Außerdem ist die Mission nur ein Teil des Erlebnisses. Sie haben fünf Jahre Training vorher, Sie kommen an die Grenzen Ihrer Leistungsfähigkeit. In dieser Zeit habe ich so viel über mich erfahren wie noch nie.

SZ: Stimmt es, dass Astronauten kein Geld mit in den Weltraum nehmen dürfen?

Walter: Geld und Briefmarken darf man nicht mitnehmen, denn die könnte man nachher auf Ebay teuer versteigern. Man darf auch keine Bibel mitnehmen, weil das als Diskriminierung anderer Religionen gilt.

SZ: Wir sind entsetzt. Was haben Sie im All gelernt?

Walter: Wenn Sie die Erde von dort oben sehen, das verändert den Blickwinkel komplett. Wenn in Zukunft Touristen in Massen ins All reisen, wird das den Blick der Menschheit verändern. Auf einer Landkarte sehen Sie Ländergrenzen. Wenn Sie von oben auf die Erde schauen, sehen Sie keine Grenzen. Und: Sie sehen auch keine Menschen. Der Mensch ist nicht die Krone der Schöpfung. Wenn sich der Mensch durch einen Weltkrieg wegbomben würde, die Erde würde es einen Scheißdreck interessieren.

SZ: Im Moment können nur Superreiche ins All...

Walter: Ja. Bei den ersten Autos war das nicht anders, die konnten sich auch nur Reiche leisten. Heute fährt jeder ein Auto. Das wird mit der Raumfahrt genauso gehen.

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