Reden wir über Geld (35): Ursula von der Leyen:"Ich habe das Taschengeld nicht im Griff"

Ministerin Ursula von der Leyen über ihr Leben mit sieben Kindern, existentielle Ängste und ob es ihren Mann ärgert, dass sie mehr verdient als er.

S. Braun und A. Hagelüken

Ursula von der Leyen empfängt in ihrem Büro am betonierten Berliner Alexanderplatz. Ihre erste Frage: "Cappuccino oder Latte?" Wer Politiker für Phrasendrescher hält, die ihre wahren Gedanken nie preisgeben, der muss sich umstellen. Diese Wissenschaftlerin, die erst mit 45 Jahren in die große Politik einstieg, ist ziemlich anders.

Reden wir über Geld (35): Ursula von der Leyen: Familienministerin Ursula von der Leyen.

Familienministerin Ursula von der Leyen.

(Foto: Foto: ddp)

SZ: Frau von der Leyen, wie sehr beschäftigt Sie die weltweite Finanzkrise?

Ursula von der Leyen: Es beherrscht die Medien jeden Tag, und ob ich will oder nicht, springen mir immer wieder neue Schlagzeilen in die Augen. Der Bund stellt sich hinter die Hypo Real Estate, und die amerikanische Regierung rettet für 700 Milliarden Dollar die US-Banken. Ich vergleiche solche Summen immer mit meinem Etat von sechs Milliarden Euro und denke: Wahnsinn, so viel Geld. Wo soll das hinführen!

SZ: Macht Ihnen das Angst?

Von der Leyen: Nein. Aber es zeigt, wie viel virtuelles Geld da unterwegs ist. Das ist für mich schwer verständlich. Es zeigt mir die Schwäche einer Finanzwelt, die bisher immer als enorm stark und streckenweise auch arrogant daherkam. Interessant ist, dass manche Akteure gerne in geschraubten und komplizierten Sätzen reden. Ich kam aus der Wissenschaft in die Politik und musste lernen, auf den Punkt zu kommen. Inzwischen weiß ich: Wer etwas nicht kurz und knackig erklären kann, hat es selber nicht verstanden. Wenn ich mir die Sprachlosigkeit und das Stottern der Finanzakteure anschaue, zeigt es mir, was das für eine Scheinwelt ist.

SZ: Wie erklären Sie Ihren Kindern, was da passiert?

Von der Leyen: Ich versuche, ihnen klarzumachen, dass Geld nicht vom Himmel fällt und nicht unendlich ist. Ich sage: Wenn ihr fünf Monate Taschengeld für das Autogramm eines Fußballspielers, ein Stofftier oder ein T-Shirt ausgebt, fehlt euch das Geld schnell an anderer Stelle. Dann habt ihr ein Problem.

SZ: Fragen Ihre Kinder, ob Sie arm oder reich sind?

Von der Leyen: Klar. Neulich stellte sich ein Junkie direkt vor mich und bettelte. Er zitterte richtig, das haben wir alle gesehen. Die Kinder spürten meine Unsicherheit. Mein Kopf sagte mir: Gib ihm nichts, er kauft davon sofort Drogen. Ich hatte aber nicht die Kraft, standhaft zu bleiben, weil die Kinder dabei waren. Ich hab ihm doch was gegeben. Sie haben sofort gefragt: Was ist mit ihm? Warum hat er kein Geld? Kann uns das auch passieren? Sie wollten, dass ich helfe.

SZ: Wann merken Ihre Kinder, dass auch Ihr Geld nicht für alles reicht?

Von der Leyen: Zum Beispiel bei unserem Lieblingshobby. Niedersachsen ist ein Pferdeland. Als Erstes schafften wir für die Kinder ein schönes, dickes, weißes Pony an. Aber bei Pferden gibt es Preisunterschiede wie zwischen Moped und Ferrari. Jetzt fragen meine Kinder: Warum reitet dieses Kind auf einem größeren Pferd als wir? Ich versuche zu erklären, dass man auf einem größeren Pferd nicht unbedingt besser reitet. Natürlich heißt das: wir brauchen kein größeres.

SZ: Wie schön, dass es der Familienministerin nicht besser ergeht als den anderen Millionen Eltern.

Von der Leyen: Ich kann allen geplagten Eltern nur einen Tipp geben: Vermeiden Sie es, mit den Kindern in die Stadt zu gehen! Gehen Sie in die Natur, weg von den Konsumtempeln. In der Stadt ist die Lust aufs Kaufen auch bei Kindern kaum zu besiegen. Das ist die Hölle.

SZ: Deswegen drängen Sie Ihre Kinder zu Reitturnieren auf dem Land.

Von der Leyen: Die optischen Anreize der Stadt sind so anstrengend. Bevor man losgeht, weiß man nicht, welche Wünsche in einem schlummern.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie Ursula von der Leyen beim Taschengeld versagt - und wie ihr Mann damit umgeht, dass seine berühmte Frau mehr verdient als er selbst.

"Ich habe das Taschengeld nicht im Griff"

SZ: Wie verteilen Sie bei sieben Kindern Taschengeld?

Von der Leyen: Oahhh, das ist eine der dunklen Seiten meines Lebens, weil ich es nicht in den Griff kriege. Kluge Eltern verabreden mit ihren Kindern eine feste Summe und sagen: Davon musst du dir das und das kaufen. Diese Kopplung funktioniert bei mir selten. Die Kinder finden andauernd neue diplomatische Wege, um mir Extra-Geld abzuluchsen.

SZ: Die Familienministerin müsste einen Ratgeber über Taschengeld lesen?

Von der Leyen: Kinder sehen es eben nicht als Problem, Geld auszugeben. Das ändert sich erst, wenn sie als Studenten ihr eigenes Budget haben. Einmal wollte ich eine tolle Mutter sein und habe meinen studierenden Sohn besucht und ihn schön ins Restaurant eingeladen. Er stocherte in seinem Essen herum und bekam kaum ein Wort raus. Als die Rechnung über 50 Euro kam, sagte er: "Mama, das ist alles ins Essen gegangen! Hättest du mir das Geld nicht in die Hand geben können?" Da habe ich was gelernt.

SZ: Wer verdient mehr, Sie oder Ihr Mann?

Von der Leyen: Ich.

SZ: Hat Ihr Mann damit ein Problem?

Von der Leyen: Also ... nein (lacht).

SZ: Das glauben wir nicht.

Von der Leyen: Es kann sein, dass es ihn zwickt. Aber ich glaube, er ist klug genug zu wissen: Wenn er es erwähnen würde, würde ich sagen: Wo liegt das Problem? Bis ich Ministerin wurde, hast du mehr verdient. Und das war auch kein Problem.

SZ: Warum verdienen in Deutschland Frauen weniger als Männer, von Ihnen mal abgesehen?

Von der Leyen: Tja. Frauen sind inzwischen besser ausgebildet. Aber sie kommen in geringere Gehaltsstufen, wenn frei verhandelt wird. Weil die Firmen erwarten, dass sie Kinder bekommen und aussetzen. Teils bekommen sie für gleiche Arbeit ein Viertel weniger Lohn.

SZ: Weil sie es sich gefallen lassen?

Von der Leyen: Wer fragt schon beim Vorstellungsgespräch, was die männlichen Kollegen verdienen? Das würde ich mich auch nicht trauen.

SZ: Warum kämpfen Sie nicht für ein Gesetz, das gleichen Lohn für gleiche Arbeit vorschreibt?

Von der Leyen: Ein solches Gesetz zu fordern, ist Unsinn. Man muss das Problem anders angehen. Der Fachkräftemangel arbeitet für uns. Keiner kann auf die Hälfte des Potentials verzichten. Frauen sind auf dem Weg nach oben und werden immer mehr Entscheiderposition besetzen. Das bringt die entscheidende Bewegung in die Gehaltstabellen. Dabei sind Elterngeld und Kinderbetreuung Wegbereiter.

SZ: Glauben Sie, die meisten deutschen Männer ertragen es, wenn ihre Frauen mehr verdienen als sie?

Von der Leyen: Viele hätten daran zu knapsen. Aber auch wir Frauen pflegen ein tiefsitzendes Muster, dass der Mann, der Allbeschützer, ein hohes Einkommen nach Hause bringt. Das übt auf viele junge Männer hohen Druck aus. Genau hier ist die Gesellschaft im Umbruch.

SZ: Was passiert da?

Von der Leyen: Männer und Frauen spüren, dass alles nicht mehr zusammenpasst. Aber sie wissen nicht, was an die Stelle der alten Rollen tritt. Vernünftig wäre ja, Mann und Frau probieren gemeinsam, das Einkommen zu sichern.

SZ: Aber 80 Prozent der deutschen Männer fürchten laut Umfragen, dass sie in der Firma mit Hohn und Spott übergossen werden, wenn sie ein paar Monate zuhause auf die Kinder aufpassen.

Von der Leyen: Das hat sich deutlich zum Guten verändert. Diese Umfragen sind vor 2007 gemacht worden - also bevor wir jedem Vater 67 Prozent seines Einkommens ersetzen, wenn er ein paar Monate bei seinem Kind bleibt. Inzwischen nimmt fast jeder fünfte Vater Elternzeit.

SZ: Sie haben das Kinderkriegen ökonomisiert - wer gebärt, bekommt Geld. Ist das wirklich eine gute Idee?

Von der Leyen: Ökonomisiert, wenn ich das schon höre! Es ist doch mehr als vernünftig, wenn man darüber nachdenkt, wie man über die Runden kommt! Warum soll das beim Kinderkriegen plötzlich verwerflich sein? Kinderkriegen als Sozialfall diskutiert, mitleidig, weich... da landet man ganz schnell wieder bei der Almosenhaltung für Familien.

Lesen Sie im dritten Teil, was Ursula von der Leyen von einer Finanzministerin halten würde - und wie das Zusammenleben mit ihrem demenzkranken Vater funktioniert.

"Ich habe das Taschengeld nicht im Griff"

SZ: Wir würden Ihnen dazu gerne die CDU-Parteiprogramme der letzten Jahrzehnte vorlesen.

Von der Leyen (lacht): Sssscht, heute schreiben wir das Jahr 2008! Also: Wir ökonomisieren gar nichts. Bisher ist es doch so: Eltern bekommen ein Kind, Einkommen schwindet, Berufsperspektiven der Frauen sinken massiv, Ausgaben wachsen und so weiter. Einen Teil dieser finanziellen Nachteile gleicht das Elterngeld aus.

SZ: Haben Ihre Fachleute ausgerechnet, was Eltern ein Kind kostet?

Von der Leyen: Es gibt diese Zahlen etwa vom Ifo-Chef Hans-Werner Sinn, wonach Eltern der Gesellschaft durch Verzicht auf Einkommen et cetera bei jedem Kind 75.000 Euro schenken. Aber ich finde, wir sollten nicht aus der Defensive argumentieren, nach dem Motto "die armen Familien". Lieber so: Junge Menschen wollen arbeiten und Kinder bekommen. Sie helfen damit auch noch der Gesellschaft. Lasst uns Hindernisse wegräumen!

SZ: Zur echten Gleichberechtigung fehlt doch noch eine Frau als Herrin übers Geld. Eine Finanzministerin ...

Von der Leyen: Sie werden es kaum glauben, aber auch das gab es schon - in Niedersachsen, unter der Ägide meines Vaters Ernst Albrecht. Die Ministerin hieß Birgit Breuel.

SZ: Und Sie? In Berlin?

Von der Leyen: Wir haben einen weiblichen Bundeskanzler, das ist viel mehr wert. Im Übrigen: Ohne Angela Merkel hätte ich das alles nicht geschafft. Sie spürte instinktiv, dass meine Ideen den Nerv der Zeit treffen. Und wenn sie mich bei meiner forschen Art nicht ab und zu gebremst hätte, wäre ich nie so weit gekommen.

SZ: Haben Sie schon mal existentielle Angst gehabt in Ihrem Leben?

Von der Leyen: Ja, aber nicht im finanziellen Sinne. Ich hatte existentielle Angst als junge Studentin, weil ich mich extrem einsam fühlte. Ich kam aus einem großen Familienhaushalt und war auf einen Schlag total alleine und wusste nicht, wie ich im Leben zurecht kommen soll. Was sich auch in Brüchen im Studium gezeigt hat.

SZ: War das das einzige Mal?

Von der Leyen: Es gab noch eine zweite bedrückende Phase. Als ich meine Zwillinge erwartete und in der ganzen Zeit der Schwangerschaft nicht sicher war, ob beide lebend auf die Welt kommen würden. Und wenn ja, ob beide auch gesund sein würden, weil ein Zwilling von Beginn der Schwangerschaft an schwere Probleme hatte. Die Ängste, die ich damals hatte, waren existentiell: Du hast drei Kinder, jetzt kommen noch zwei dazu. Was passiert, wenn eines schwer krank ist? Werde ich den anderen gerecht? Dazu das Gefühl, dass vielleicht ab sofort mein Mann die ganze Familie allein ernähren muss - das war hart. Ich habe nie im Leben so viel geweint wie in diesen Monaten. Umso schöner war es, als alles gut ging. Wir waren unendlich dankbar. Man kann hart arbeiten, aber diesen Lauf der Welt kann man nicht beeinflussen. Wir haben viel Glück gehabt.

SZ: Sie sind laut amtlichem Titel auch für Senioren zuständig - und nehmen das seit einem Jahr besonders ernst: Sie sind mit Ihrer Familie zu Ihrem demenzkranken Vater gezogen, dem früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht. Was ist das für eine Erfahrung für Sie?

Von der Leyen: Meine erste Erfahrung mit der Erkrankung war nackte Angst. Angst vor dem Zerrbild, das auch in meinem Kopf war: das Bild eines aggressiven, unberechenbaren, völlig verwirrten Menschen. Das ist die Demenz vielleicht im Endstadium, aber im Durchschnitt dauern diese Krankheiten acht bis zehn Jahre. Es gehören also viele andere, bessere Jahre dazu. Das Erleben der Krankheit hat mir die Angst genommen, das ist das Wichtigste.

SZ: Was kam dann?

Von der Leyen: Seit wir zusammenwohnen, verliere ich mehr und mehr das schlechte Gewissen, mich nicht genügend kümmern zu können. Das macht es leichter. Und ich lerne immer mehr, offensiv mit der Krankheit umzugehen. Denn Demenz beginnt mit Gedächtnisschwund, mit Erinnerungslücken, Namensverlust, ganz banale Dinge. Und wenn man offen damit umgeht, ist es für die Kranken leichter, das zu tun, was für sie am wichtigsten ist: weiter zu anderen Menschen Kontakt zu halten. Unter Leuten sein.

SZ: Wie gehen Ihre Kinder damit um?

Von der Leyen: Viel viel großzügiger als ich. Wenn ich unwirsch werde oder verzweifeln will, sagen sie: Ach, der Großvater. Sie haben viel Humor, erzählen mir die komischsten Geschichten, die sie gemeinsam erleben. So kann ich durch den Kinderblick mit ihnen herzhaft darüber lachen. Hätte ich diese Situationen mit ihm erlebt, hätte ich es sicher viel zu ernst genommen, oder wäre einfach nur traurig gewesen.

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