Reden wir über Geld: Restaurant-Tester Rach:"Zu viele Köche essen Kaviar und trinken Champagner"

Der Restaurant-Tester Christian Rach über Dreck in der Küche, die deutsche "Ja-aber-Gesellschaft" - und sein schrecklichstes Testgericht "Hollo-Bollo".

Alexander Mühlauer und Hannah Wilhelm

Christian Rach, 53, blickt durch die Fensterfront seines Restaurants "Tafelhaus" auf die Elbe. Draußen fahren Containerschiffe vorbei, drinnen hat der Sternekoch das Mittagsgeschäft hinter sich gebracht. Nun ist es still. Zeit also, mit dem studierten Philosophen zu reden: über Menschen und ihre Restaurants, die Rach vor der Pleite retten soll.

Reden wir über Geld: Restaurant-Tester Rach: Der studierte Philosoph Christian Rach lernt als Restaurant-Tester für den Fernsehsender RTL viel über Menschen. Zum Beispiel, was materieller Druck mit ihnen anstellt.

Der studierte Philosoph Christian Rach lernt als Restaurant-Tester für den Fernsehsender RTL viel über Menschen. Zum Beispiel, was materieller Druck mit ihnen anstellt.

SZ: Herr Rach, reden wir über Geld. Sie kommen im ganzen Land herum. Wie steht es um die Deutschen?

Rach: Es ist sehr schlecht bestellt. Die häufigste Antwort, die ich bekomme, ist: "Ja, aber ...". Wir leben in einer Ja-aber-Gesellschaft. Wir erkennen, dass sich im Land viel verändern muss, aber praktisch sind wir nicht bereit, etwas anders zu machen.

SZ: Woran machen Sie das fest?

Rach: Ich habe in einer kleinen Stadt in der Nähe von Osnabrück gedreht. Eine typisch deutsche Stadt. Zwischen 20.000 und 30.000 Einwohner. Drei, vier Firmen, die das wirtschaftliche Leben dominieren.

SZ: So eine Stadt stürzt die Wirtschaftskrise dann schnell in Schwierigkeiten.

Rach: Genau. In der Stadt gibt es das Hexenhäuschen, eine gastronomische Institution seit 25 Jahren. Dort gibt es das Gericht Hollo-Bollo. Das ist so ziemlich das Schrecklichste, was ich in den fünf Jahren als Restaurant-Tester gegessen habe: Hollandaise-Sauce aus der Tüte mit Bolognese vermischt. Die Leute wollen das unbedingt essen. Das behauptet zumindest der Küchenchef. Da habe ich gesagt: "Das kann nicht stimmen, denn sonst wärt ihr ja nicht pleite." Die Antwort: "Ja, aber wenn wir Hollo-Bollo nicht mehr anbieten, dann sind wir richtig pleite." Was soll denn der Unterschied zwischen pleite und richtig pleite sein? Diesen Beharrungsstarrsinn gibt es überall im Lande.

SZ: Was versuchen Sie den Ja-aber-Sagern zu vermitteln?

Rach: Geradlinigkeit. Dinge zu tun, wenn sie richtig sind. Die Angst zu überwinden, man könnte jemanden verletzen: den Kaninchenzüchterverein, der vielleicht nicht mehr kommt, wenn man anderes Essen anbietet.

SZ: Wie viel wissen Sie im Vorfeld über Restaurants, die Sie retten sollen?

Rach: Möglichst wenig. Nur über die Infrastruktur, das wirtschaftliche Umfeld informiere ich mich genau. Denn die Probleme der einzelnen Regionen sind sehr unterschiedlich. Im Thüringer Wald ist es anders als in Schleswig-Holstein. Ich muss wissen: Gibt es da Touristen, Kulturveranstaltungen, welche Firmen sind die größten Arbeitgeber?

SZ: Wenn Sie so erzählen, hören Sie sich eher wie ein Politiker an. Dabei sind Sie doch als Koch, der Restaurants testet, unterwegs.

Rach: Das ist auch eine politische Sendung. Und ich lerne viel. Zum Beispiel, was materieller Druck mit Menschen anstellt. Sie blenden Wahrheiten aus. Vor allem Männer. Sie sind schon pleite und wollen es nicht wahrhaben, weil sie den Schmerz nicht ertragen können. Sie fühlen sich weiter als Ernährer, als Familienoberhaupt und können nicht einsehen, dass sie versagt haben. Sie verdrängen auch, dass die Küche unendlich dreckig ist. Da stehe ich dann und frage mich: Warum machen die den Dreck nicht weg? Aber sie wollen den Dreck ja gar nicht sehen. Sie sind unfähig zu handeln. Sie öffnen Mahnungen nicht. Sie denken, solange ich den Brief nicht gelesen habe, existiert die Forderung nicht.

SZ: Wie kann man diesen Menschen helfen?

Rach: Man müsste ihnen Hilfe anbieten, bei den Arbeitsämtern, bei Verbänden. Man müsste sie handlungsfähig machen, sie aus ihrer Erstarrung holen.

SZ: Und das machen Sie? Sind Sie Sozialarbeiter?

Rach: Nein, ich mache Unterhaltung, im Auftrag von RTL.

SZ: Erfahren Sie immer, wenn ein Restaurant, das Sie beraten haben, pleitegeht?

Rach: Ja. Ich habe kürzlich eine Nachricht bekommen: Die Kreisbar am Rande von Berlin hat geschlossen. Das war aber schon klar, dass die das nicht schaffen. Die haben sich so in die Tasche gelogen. Ich habe am letzten Drehtag immer noch ungeöffnete Rechnungen gefunden.

SZ: Woran scheitern die meisten?

Rach: An der Angst. Ein wunderbares Beispiel ist der Laden Zum Tiroler. Ein sehr sympathischer Laden in Herzogenaurach, geführt seit 37 Jahren von einem netten älteren Südtiroler Pärchen. Das Essen war grausam. Die beiden standen vor dem Nichts. 67 Jahre alt, keine Rente, die Immobilie verpfändet. Wir haben dann eine ganz neue Speisekarte gemacht, die lief echt gut. Als ich einige Wochen später wieder vorbeikam, fuhr der 67-jährige Mann beide Karten, die alte und die neue. 179 Gerichte! Weil er Angst hat, dass die Stammgäste wegbleiben, wenn er etwas verändert.

SZ: Traurig. Gibt es den Laden noch?

Rach: Ja. Aber der Mann ist nah am Herzinfarkt. Als ich gesehen habe, wie er sich mit beiden Karten abrackert, hätte ich schreien können. Der liebe Kerl war noch schlimmer dran als vorher.

"Nach dem Dreh muss ich auf Abstand gehen"

SZ: Wie viele schaffen es also?

Rach: Von zehn schaffen es gut sechs. Aber wäre ich nicht gekommen, wären alle zehn pleitegegangen.

SZ: Wenn Sie nach der einen Woche weiterziehen, wissen Sie dann, ob ein Restaurant überlebt oder nicht?

Rach: Ich hab das im Gefühl, ja. Ich sage es meist ja auch recht ehrlich.

SZ: Wie sehr trifft es Sie, wenn ein Laden dann pleitegeht?

Rach: Ich muss aufpassen, dass mich das nicht auffrisst. Während der Woche bekommen die von mir alles, 180 Prozent. Ich bin der Erste am Set und der Letzte, der das Restaurant verlässt. Aber nach dem Dreh muss ich auf Abstand gehen. Ich muss loslassen können.

SZ: Um wen hat es Ihnen am meisten leid getan?

Rach: Um eine Tapas Bar in Halle, Westfalen. Ich hab den Laden so umgekrempelt, dass er nachher supergut lief und die richtig arbeiten mussten. Das wollten die aber gar nicht. Die wollten gar nicht arbeiten.

SZ: Die wollten einfach nur ein entspanntes Leben haben, mit ihren Kumpels am Tresen.

Rach: Genau.

SZ: Waren Sie mit Ihrem Sterne-Restaurant Tafelhaus schon mal kurz vor der Pleite?

Rach: Nein. Ich habe immer nur das Machbare gemacht. Wissen Sie: Wenn jeder Mercedes-Mitarbeiter eine S-Klasse fahren will, nur weil er sie mitproduziert, dann läuft etwas falsch. Und in der Gastronomie essen leider zu viele Hummer und Kaviar und trinken Champagner, nur weil sie das kochen und ausschenken. Das geht nicht, das liegt außerhalb des für einen selbst Machbaren. Täglicher Luxus ist nicht möglich. Wenn Champagner das Getränk ist, um den Durst zu stillen, dann läuft was falsch.

SZ: Ärgern Sie sich über Kritik?

Rach: Ah! Ein Kritiker hat mal geschrieben, in meinem Restaurant sei ein Brötchen zu trocken gewesen. Mein Gott! Wir haben jeden Tag 150 Gäste, die etwa 300 Brötchen essen. Wir backen selbstverständlich immer frisch. Aber es kann vorkommen, dass ein Brötchen mal in einem Korb hängenbleibt. Aber dann hätte der ja was sagen können.

SZ: Wie hart muss man in dem Gewerbe arbeiten?

Rach: Ich arbeite 70, 80 Stunden die Woche. Manchen fehlt das Gefühl für den richtigen Moment. Ein Laden, der mir sehr ans Herz gewachsen war, war der Paulusblick in Worms. Eine gestandene Gastronomin - aber total überarbeitet. Den Laden haben wir gut hinbekommen, wir haben den ganzen Hausfrauen-Schick rausgeschmissen. Der Laden lief, mit einem netten jungen Koch, der sich so über mein Schulterklopfen gefreut hat. Dann bin ich nach zwei Monaten zum Wiederbesuch hin, dann stand draußen: "Wir haben so viel gearbeitet, wir machen jetzt zwei Wochen Urlaub."

SZ: Ein Fehler.

Rach: Da haben die zwei gute Monate und machen schon Urlaub. Dann bin ich wieder hin und habe das der Frau um die Ohren gehauen. Sie hat dann, weil ihr Laden so gut lief, einen zweiten gekauft und sich damit übernommen. Ja, wenn die Dollars in den Augen blinken, das ist eine große Gefahr.

SZ: Wenn man all diese Geschichten hört: Können Sie Ihren Job überhaupt empfehlen?

Rach: Ja! Koch ist einer der schönsten und kreativsten Berufe, die es gibt.

SZ: Sie selbst haben eigentlich Philosophie studiert.

Rach: Mein Vater hat mich damals gefragt: "Hast du jemals eine Stellenanzeige in der Zeitung gesehen: Suche Philosophen?" Das war ein harter Schlag. So hatte ich die Sache noch nicht betrachtet. (lacht) Das Geld für mein Studium habe ich mir mit Kochen verdient. Und wenn ich gekocht habe, dann war die Kneipe voll. Und irgendwann - ich konnte schlechtes Essen noch nie ausstehen - habe ich mal lange gespart und meine Freundin in ein richtig gutes Restaurant ausgeführt. Und da habe ich gemerkt: Das ist mein Leben.

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