Reden wir über Geld: Renaud van Ruymbeke:"Steuerparadiese sind die Sparstrümpfe der Eliten"

Ein Mann für große Fälle: Kerviel-Untersuchungsrichter Renaud van Ruymbeke über Schmiergelder und korrupte Unternehmer.

Michael Kläsgen, Paris

Renaud van Ruymbeke, 58, hat einen beneidenswerten Arbeitsplatz. Frankreichs bekanntester Untersuchungsrichter führt den Besucher auf die Terrasse des Landgerichts. Der Himmel strahlt. Blick rechts auf die Opéra Garnier, links die Spitze des Eiffelturms. Kaffee aus Plastikbechern. Dann geht es hinunter in sein Büro. Arbeiten. "Wo finden eigentlich die Verhöre statt, Herr Ruymbeke?" "Die Verdächtigen sitzen hier." Zuletzt saß dort der geschasste Börsenhändler Jérôme Kerviel. Ruymbekes Spezialität ist Wirtschaftskriminalität, Schwerpunkt Geldwäsche und Schmiergeldaffären. Er hat Konzernlenker und Politiker vernommen und Licht in Fälle wie die Elf-Affäre oder den Fregattenverkauf an Taiwan gebracht. "Aber keine Sorge, ich werde Sie nicht verhören", sagt er. Diesmal steht er Rede und Antwort.

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Untersuchungsrichter Renaud Van Ruymbeke: "Geld hat man, redet aber nicht darüber. Es ist ein Tabu."

(Foto: bug.bildextern)

SZ: Herr van Ruymbeke, schön, dass Sie über Geld reden wollen, in Frankreich ist das ja eher ein Thema, über das man nicht so gern spricht...

Renaud van Ruymbeke: (lacht) Das stimmt. Frankreich ist ein katholisches Land und man fühlt sich hier sehr südländisch. Geld hat man, redet aber nicht darüber. Es ist ein Tabu.

SZ: Gilt das auch für Korruption in Unternehmen?

Ruymbeke: Korruption ist auch bei uns verpönt, aber in der Wirtschaft etwas weniger. Viele meinen: Die heimische Industrie soll nicht daran gehindert werden, Ausschreibungen im Ausland zu gewinnen.

SZ: Als Untersuchungsrichter gelten Sie als Exporthindernis?

Ruymbeke: (lacht) Wir stehen schnell im Verdacht, den Unternehmen im Weg zu stehen, sie zu schwächen oder zu bestrafen. Offiziell sagt das natürlich keiner. Aber unterschwellig heißt es: Sie sind für die Arbeitslosigkeit verantwortlich, wenn Sie unsere Unternehmen bestrafen. Hören Sie doch auf, die Welt verbessern zu wollen. Wenn wir nicht bestechen, tun es andere.

SZ: Sagen das Politiker?

Ruymbeke: Sie geben es einem zu verstehen. Wenn es um Waffengeschäfte geht, ist die Situation geradezu kafkaesk. Denn dann gilt in der Regel das Militärgeheimnis. Damit kann die Politik Ermittlungen blockieren. Das haben rechte und linke Regierungen mehrfach getan, statt das Geheimnis zu lüften, was sinnvoll wäre. Als Untersuchungsrichter gerät man so zwischen alle Stühle: Einerseits ist man von Staats wegen dazu verpflichtet zu ermitteln, andererseits verbietet einem die Politik, es zu tun.

SZ: Jetzt will die Regierung das Amt des Untersuchungsrichters abschaffen. Dürfen sich Schwarzgeld-Händler und Co. freuen?

Ruymbeke: Es ist zu befürchten, dass viele krumme Geschäfte nicht mehr aufgedeckt werden, wenn es dazu kommt. Bisher waren es die Untersuchungsrichter, die sie enthüllten. Und das konnten sie nur, weil sie unabhängig von der Politik sind.

SZ: Haben Sie in all den Jahren bestimmte Charakterzüge bei den Verdächtigen festgestellt?

Ruymbeke: Sie alle kennzeichnet eine gewisse Gier und der Drang Geld, viel Geld zu scheffeln. Und je mehr Geld sie haben, desto leichter fällt es ihnen, es zu verbergen.

"Die Summen sind astronomisch"

SZ: Sie verdienen hingegen eher wenig?

Ruymbeke: (lacht) Es ist wichtig, dass wir nicht im gleichen Boot sitzen wie diejenigen, die im Überschwang leben. Wenn jemand viel Geld verdienen will, wird er nicht Beamter. Ich halte aber im Übrigen große Stücke auf den öffentlichen Dienst.

SZ: Hat mal jemand versucht, Sie zu bestechen?

Ruymbeke: Nein. Das würde sofort auffliegen und dem Richter Beweise liefern. Bestechen kann man nur dort, wo es fruchtet.

SZ: Lassen Sie sich einladen?

Ruymbeke: Sicher nicht von Geschäftsleuten. Man muss zu bestimmten Milieus Distanz wahren können, das ist das Wichtigste in meinem Beruf. Untersuchungsrichter können nicht dort verkehren, wo sich Unternehmenschefs oder Spitzenpolitiker aufhalten. Sonst verlieren sie ihre Orientierung.

SZ: Sie sind seit Ihrem 25. Lebensjahr Untersuchungsrichter und bekämpfen seit Jahrzehnten die Wirtschaftskriminalität. Hat sich in all den Jahren Ihr Verhältnis zum Geld verändert?

Ruymbeke: Zum Glück nicht. Sonst könnte ich meine Arbeit nicht mehr machen.

SZ: In Ihren Ermittlungen haben Sie es mit gewaltigen Summen zu tun. Was löst das bei Ihnen aus?

Ruymbeke: Die Summen sind so astronomisch, dass sie völlig abstrakt bleiben. Das lässt mich kalt.

SZ: Was war die höchste Summe Schmiergeld, der Sie nachgingen?

Ruymbeke: Einige Hundert Millionen Dollar. In den meisten Fällen fließt es über Finanzplätze wie die Schweiz, Liechtenstein oder Luxemburg in Steuerparadiese und ist dann kaum wieder auffindbar.

"Ein europäisches Parodox"

SZ: Hat die Globalisierung der Finanzmärkte ihre Arbeit erschwert?

Ruymbeke: Die Geschäfte sind so kompliziert geworden, dass wir Ermittler häufig keine Chance haben. Steuerparadiese gab es schon vorher. Sie sind seit jeher die Schlupflöcher für die Sparstrümpfe der Finanzeliten gewesen. Mit der Globalisierung sind aber die Finanzplätze zur Drehscheibe des Geldes geworden. Die Geldflüsse haben sich derart vermehrt, dass die Steueroasen und Finanzplätze einen Stellenwert bekommen haben, den sie vor 10 oder 20 Jahren nicht hatten.

SZ: Welches sind die wichtigsten Zentren?

Ruymbeke: Die Schweiz und Luxemburg, dort werden in den Treuhandgesellschaften die Finanzkonstrukte geboren. Das Geld zirkuliert aber an vielen Plätzen.

SZ: Luxemburg?

Ruymbeke: Ja, es ist ein europäisches Paradox, dass Luxemburg zwar ein Gründungsmitglied der EU ist, aber gleichzeitig eine bedeutende, undurchsichtige Drehscheibe für Schwarzgeld.

SZ: Obwohl Luxemburg zur Eurozone gehört, können Sie nichts dagegen machen?

Ruymbeke: Verdächtige, die ihre Geschäfte über die Schweiz, Luxemburg oder Liechtenstein abwickeln, können Einspruch erheben. Dann brauchen wir sechs Monate oder ein Jahr, bis die Behörden in den einzelnen Ländern antworten. Die Verdächtigen können aber per Mausklick in einer Minute enorme Summen von einem Finanzplatz zum anderen schieben.

SZ: Und Sie haben keine Handhabe?

Ruymbeke: Man müsste die Einspruchmöglichkeiten aufheben und die Kooperation mit diesen Ländern effizienter machen.

SZ: Woran die kein Interesse haben.

Ruymbeke: Die einzige Möglichkeit, sie dazu zu motivieren, ist, mit dem Finger auf sie zu zeigen. Das ist mit der Schwarzen Liste der Steueroasen geschehen.

SZ: Hat das genutzt?

Ruymbeke: Nein, den Steuerparadiesen geht es trotz der OECD-Liste gut. Die Cayman Islands zum Beispiel kooperieren nur, wenn man ihnen das Bankkonto und den Namen der Bank nennt. Es hat sich also nichts getan. Es ist wie mit der Finanzmarktregulierung. Es geht alles wieder von vorn los.

SZ: Ist die Politik machtlos?

Ruymbeke: Ist es Heuchelei oder Ohnmacht? Jedenfalls kann kein Nationalstaat das Problem allein lösen, sondern nur die Staatengemeinschaft. Es ist wie beim Klima. Die Nationalstaaten müssen einen Teil ihrer Macht an eine supranationale Instanz abgeben.

SZ: Andererseits können einzelne Staaten auch gestohlene Bankdaten kaufen, wie es Deutschland getan hat, und so Steuerhinterzieher enttarnen.

Ruymbeke: Juristisch ist das angreifbar. Deutschland müsste solche Informationen aber auf legalem Weg erhalten können. Und zwar, indem die Schweiz, Liechtenstein und Luxemburg ihre Bankdaten auf einem zentralen Rechner speichern, so dass ausländische Behörden die Daten ihrer Staatsbürger einsehen können. Doch davon ist man weit entfernt. Bisher tun diese Länder nur so, als kooperierten sie etwas mehr, in Wahrheit herrscht weiter totale Intransparenz.

SZ: Hört sich nicht so an, als seien Sie zuversichtlich, dass sich daran was ändert?

Ruymbeke: Der Druck auf diese Länder wird umso großer werden, je stärker Staaten wie Deutschland oder Frankreich aufgrund der Haushaltsdefizite ihre Steuern erhöhen müssen. Die Schuldenberge können insofern auch etwas Gutes bewirken. Sie werden die Regierungen dazu antreiben, das versteckte Geld zurückzuholen. Es kann jedenfalls nicht angehen, dass diese Staaten den anderen das Geld wegnehmen. Dann würde es an den ehrlichen Steuerzahlern hängen bleiben, den Schaden zu beheben, den die Krise angerichtet hat. Das wäre ein Skandal und eine soziale Ungerechtigkeit.

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