Reden wir über Geld (33): Peter Zwegat:"Ich habe mich für eine Fototapete verschuldet"

Schuldnerberater Peter Zwegat über hohe Ansprüche und warum Ludwig Erhard die Deutschen kreditgierig machte.

A. Mühlauer und H. Wilhelm

Peter Zwegat ist 58 und berät Menschen, die mit ihrem Geld nicht auskommen - und deshalb in die Schuldenfalle tappen. Seine Fernsehsendung heißt "Raus aus den Schulden" und läuft bei RTL. Jetzt hat er auch noch ein Buch geschrieben. Zwegat studierte Sozialpädagogik und arbeitet seit 21 Jahren als staatlicher Schuldnerberater in Berlin. Beim Gespräch raucht Zwegat weniger als sonst, also nicht gerade Kette. Manchmal, sagt er, fühle er sich wie eine ausgelutschte Zitrone. Das sei aber okay, denn nun höre man ihm wenigstens zu. Also, bitte.

Reden wir über Geld (33): Peter Zwegat: Peter Zwegat sagt: Raus aus den Schulden!

Peter Zwegat sagt: Raus aus den Schulden!

(Foto: Foto: RTL)

SZ: Herr Zwegat, reden wir über Geld. Sie beraten Menschen mit Schulden - wofür haben Sie sich denn das erste Mal in Ihrem Leben verschuldet?

Peter Zwegat: Als ich meine erste eigene Wohnung bezog, war ich 24 und alles, was ich wollte, war eine Fototapete: "Ein Buchenwald im Frühling". Dafür habe ich einen Kredit aufgenommen.

SZ: Sie haben sich für "Ein Buchenwald im Frühling" verschuldet?

Zwegat: Ja.

SZ: Was hat die Tapete denn bitte gekostet?

Zwegat: Das waren sieben Bahnen und eine kostete 90 Mark. Im Wohnzimmer musste es der Buchenwald sein, im Schlafzimmer der tropische Strand. Ich wollte diese Tapeten, alles andere war mir egal.

SZ: Wie hoch war die Rate?

Zwegat: 118 Mark im Monat. Ich habe gedacht, das kriegste locker hin. Dann habe ich aber schon gemerkt, dass es knapp wurde. Ich habe damals Glück gehabt, dass ich nicht abgestürzt bin.

SZ: Ist die Gefahr abzustürzen für Jugendliche heute höher?

Zwegat: Die Ansprüche sind heute viel größer. Die jungen Menschen möchten eine Stereoanlage, mit der man den Dom beschallen kann. Außerdem Urlaubsreisen - man muss sich ja was gönnen, man arbeitet ja so fleißig das ganze Jahr.

SZ: Nicht zu vergessen: ein schickes Handy...

Zwegat: Bevor ich die Sendung hatte, bin ich ein Mal im Monat in Berufsschulen gegangen. Da saßen 20 kaugummikauende, baseballbecapte 18-Jährige vor mir, die die Hälfte ihres Lehrlingsgehaltes vertelefonierten. Die Telefongewohnheiten von den jungen Menschen sind anders als meine.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum sich die Deutschen so hoch verschulden - und wieso Peter Zwegat sauer auf die Banken ist.

"Ich habe mich für eine Fototapete verschuldet"

SZ: Das müssen Sie erklären.

Reden wir über Geld (33): Peter Zwegat: Peter Zwegat warnt vor der Konsumfalle.

Peter Zwegat warnt vor der Konsumfalle.

(Foto: Foto: RTL)

Zwegat: Wenn wir beide uns zum Kino verabreden, dann läuft das so. Ich ruf an: Haste Lust, heute Abend ins Kino zu gehen? Sie: Was wollen wir denn sehen? Ich: Troja. Dann Sie: Och ne, nüscht mit Fechten, lieber was mit Liebe. Ich: Okay, treffen wir uns um 20 Uhr am Bahnhof Zoo. Das dauert fünf Minuten und wir sind verabredet. Ein 18-Jähriger dagegen schickt eine SMS: Bock auf Kino? SMS zurück: Welcher Film? Das geht hin und her und nachher gehen die gar nicht ins Kino. Das kostet alles Zeit und Geld.

SZ: Andere Zeiten.

Zwegat: Ja sicher, zu meiner Jugendzeit gab es ja auch noch keine Handys.

SZ: Noch nie waren die Deutschen so verschuldet wie heute. Woran liegt das?

Zwegat: Schuldenmachen ist heute leicht und locker. Und genau das ist die Gefahr. Viele Leute können nicht mit Geld umgehen und sie schätzen Risiken falsch ein.

SZ: Ein Beispiel bitte.

Zwegat: Ein 20-jähriger Kfz-Mechaniker hat 1300 Euro netto im Monat. Damit ist er für das Zwanzig- bis Vierzigfache seines Nettoeinkommens kreditfähig. Das Zwanzigfache bekommt er bei der Sparkasse, das Vierzigfache bei der Citibank. Er kriegt ganz locker bis zu 40.000 Euro - und er wird das Geld in der Regel auch nehmen.

SZ: Banken verdienen gut daran.

Zwegat: Klar. Der Junge wird den Kredit nehmen, sich eine Wohnungseinrichtung und ein Auto kaufen und mit seiner Freundin in Urlaub fahren.

SZ: Sind Sie sauer auf die Banken?

Zwegat: Es wird keiner mit der Pistole dazu gezwungen, einen Kredit aufzunehmen. Aber es gibt Banken, die einer 77-jährigen Oma noch einen Kredit geben und noch eine Lebensversicherung dazupacken. Das macht mich sauer.

SZ: Wann haben die Deutschen angefangen, sich zu verschulden?

Zwegat: Das ist noch nicht so lange her. Habe ich Zeit, auszuschweifen?

SZ: Absolut.

Zwegat: 1959 schrieb ein Filialleiter einer Deutschen Bank an die Zentrale in Frankfurt: "Der Mob stürmt unsere Schalterhallen. Was sollen wir tun?" Der Mob - das waren Ihre und meine Eltern - wollte einen Kredit, den ersten Kleinkredit für jedermann: 2000 D-Mark waren das damals. Ausgedacht hatte sich das der Wirtschaftsminister Ludwig Erhard.

Lesen Sie im dritten Teil, warum Ludwig Erhard Schuld an der Verschuldung der Deutschen ist - und wieso ein Quelle-Katalog wie Goldstaub behandelt wird.

"Ich habe mich für eine Fototapete verschuldet"

Reden wir über Geld (33): Peter Zwegat: Schuldnerberater Peter Zwegat bei der Arbeit.

Schuldnerberater Peter Zwegat bei der Arbeit.

(Foto: Foto: RTL)

SZ: Ludwig Erhard ist Schuld an der Verschuldung der Deutschen?

Zwegat: Naja, hat alles immer zwei Seiten. Die Wirtschaft lebt ja davon, dass auf Pump gekauft wird. Jeder fünfte Arbeitsplatz in Deutschland hängt vom Auto ab. Also ist es von Interesse, dass es der Autoindustrie gut geht - und die Menschen Autos kaufen, auch wenn sie sich das Geld dafür leihen müssen. 75 Prozent aller Autos sind hierzulande finanziert. Damals, nach dem Krieg stagnierte die Wirtschaft. Deshalb hatte Erhard die Idee mit den Kleinkrediten für jedermann. Und so stürmte "der Mob die Schalterhallen" - um sich mit den 2000 Euro ein neues Grundig-Radio oder einen neuen Fernseher zu kaufen.

SZ: Gleichzeitig fiel das Werbeverbot für Kredite...

Zwegat: ... genau. Auch die Werbung hat zwei Seiten: Sie informiert, sonst wüssten wir gar nicht, was für neue Produkte es gibt. Gleichzeitig schafft sie eine Sehnsucht. Axe zum Beispiel: Ich habe auch schon Axe-Deo probiert und kein Mädchen hat mich in die Telefonzelle gezogen oder in den Swimmingpool geschubst. Nüscht, gar nüscht.

SZ: Sie leben im West-Bezirk Charlottenburg, sind aber als Schuldnerberater im Ost-Teil Berlins tätig. Unterscheiden sich West- und Ostdeutsche beim Verschulden?

Zwegat: Als die Wende kam, wusste ich: Das wird furchtbar im Osten.

SZ: Warum?

Zwegat: Ich bin in Ost-Berlin geboren und mit zehn Jahren bei Nacht und Nebel geflohen. Ich hatte Verwandtschaft im Osten - ich wusste also, dass ein Quelle-Katalog dort wie Goldstaub gehandelt wurde und dass die Leute sehr verführbar sein werden. Für die Ostler war es nach der Wende schwierig, sie bekamen ein komplett anderes System übergestülpt. Alles war anders. War doch klar, dass das schiefgehen würde.

SZ: Was war anders?

Zwegat: Wenn zu Ost-Zeiten eine Frau den Schuhverkäufer fragte: Taugen denn die Schuhe was?, dann sagte er ihr tatsächlich die Wahrheit. Er hätte viel mehr Stress gehabt, wenn die Frau die Schuhe anschließend zurückgebracht hätte. Eine Reklamation hätte den ganzen Fünf-Jahres-Plan durcheinandergebracht. Also konnte sie dem Verkäufer vertrauen. Deshalb waren die Ostdeutschen nach der Wende oft zu vertrauensselig und haben dann auch den ganzen dubiosen Vertretern geglaubt.

Lesen Sie im vierten Teil, wie Peter Zwegat seinen RTL-Job bekam - und warum Schulden einsam machen.

"Ich habe mich für eine Fototapete verschuldet"

SZ: Sind Schulden gesellschaftsfähig?

Zwegat: Ja. Was noch nicht gesellschaftsfähig ist, wenn man den Bach runter gegangen ist, wenn man überschuldet ist. Das verschweigt man.

SZ: Überschuldete Menschen schämen sich?

Zwegat: Niemand will zu den Verlierern gehören. Viele ziehen sich dann zurück, aus der Kneipe, aus dem Sportverein, gerade auf dem Land, wo jeder jeden kennt.

SZ: Macht Überschuldung einsam?

Zwegat: Häufig, ja. Die Menschen sind von vielen Sachen tatsächlich ausgegrenzt. Wir leben in einem Zeitalter, in dem alles Geld kostet.

SZ: Sie sind seit 1987 Schuldnerberater der Stadt Berlin. Wie kamen Sie zu Ihrer RTL-Sendung "Raus aus den Schulden"?

Zwegat: Die Produktionsgesellschaft suchte jemanden per Zeitungsannonce, ich habe ein Demoband hingeschickt. Ich hatte als Schuldnerberater der Stadt Berlin ein paar Mini-Fernsehauftritte vorher, im Frühstücksfernsehen und in Talkshows.

SZ: Bekommen die Menschen, die Sie vor der Kamera beraten, Geld dafür?

Zwegat: Die Menschen bewerben sich für die Sendung waschkörbeweise. Und nein, sie bekommen kein Geld, darauf bin ich auch stolz.

SZ: Führen Sie die Menschen vor?

Zwegat: Nein, das glaube ich nicht. Es könnte der Eindruck entstehen, aber ich würde es von mir weisen. Ich habe mit dem Gesellschafter der Produktionsgesellschaft, Friedrich Küppersbusch, und RTL sehr genau abgesprochen, wie ich mir das vorstelle. Mir ist wichtig, dass ich genug Zeit für die Beratung und Betreuung habe - das wurde mir zugesagt.

SZ: Oft ist es Menschen peinlich, über Geld zu sprechen. Belügen sie Sie dann?

Zwegat: Ja. Aber ich bin seit 1974 mit Sozialarbeit beschäftigt. Und wer 40 Jahre Bauer ist, der erkennt seine Schweine am Gang.

SZ: Werden Sie auf der Straße erkannt?

Zwegat: Oh ja. Mir wird die Currywurst auf dem Markt schon aus dem Mund geguckt. Aber das gehört wohl dazu: Wer aus dem Fenster guckt, muss damit rechnen, dass man ihn sieht.

SZ: Ist doch auch eine Form von Wertschätzung.

Zwegat: Wenn ich für die Sendung unterwegs bin, werde ich mittlerweile sogar bei den Banken und im Finanzamt um Autogramme gebeten. Letztens wurde ich in einem Inkasso-Unternehmen mit einem Spruchband begrüßt: "Herzlich willkommen, Herr Zwegat." (lacht)

Lesen Sie im fünften Teil, welch skurrilen Besuch Peter Zwegat schon bekam - und was seine Pläne nach der RTL-Show sind.

"Ich habe mich für eine Fototapete verschuldet"

SZ: Sprechen Sie Menschen auf der Straße an und wollen auf der Stelle beraten werden?

Zwegat: Ja. Ich gehe auch zu Hause nicht mehr ans Telefon. Letztens hat sogar einer bei mir geklingelt und stand mit Aktenordnern vor der Tür. An einem Sonntag!

SZ: Was glauben Sie, warum guckt jemand Ihre Sendung?

Zwegat: Das sind nicht nur Voyeure. Ich lege Wert darauf, dass auch Wissen vermittelt wird. Klar, die Sendung läuft nicht bei Arte. Und wenn sie bei Arte liefe, dann würden das nur 20.000 gucken. Ich bin stolz darauf, dass sie bei RTL läuft und dass es mir gelungen ist, dort Bildungsfernsehen zu machen. Das gucken bis zu acht Millionen Menschen.

SZ: Aber nur wegen der Informationen schauen die Menschen Ihre Sendung doch nicht. Die Leute möchten sich auch über andere lustig machen.

Zwegat: Aber die Sendung bewirkt etwas. Die Leute gucken das und sehen: Au, die waren ja doof, wie kann einem das nur passieren? Oder sie denken: Gott sei Dank, dass mir das nicht passiert ist. Sie lernen etwas.

SZ: Sie sehen sich als Aufklärer?

Zwegat: Früher in den Berufsschulen, da haben mir von 20 Jugendlichen nur fünf zugehört. Die anderen waren mit ihren Gedanken woanders. Heute gucken die meine Sendung, hören mir zu, finden mich kultig. Heute nehmen sie was mit.

SZ: Was, wenn es mit dem Fernsehen vorbei ist?

Zwegat: Dann gehe ich wieder an meinen Schreibtisch und in die Berufsschulen. Das wäre okay.

SZ: Haben Sie einen Kredit laufen?

Zwegat: Nee, im Augenblick nicht.

SZ: Würden Sie einen aufnehmen?

Zwegat: Naja, ich bin nun schon 58 Jahre alt. Das müsste ich mir schon gut überlegen. Ich könnte ja denken, jetzt habe ich einen Job beim Fernsehen, kauf' ich mir mal ein Haus. Das wird schon gutgehen. Aber das würde ich nicht machen. Ich könnte morgen die Treppe runterfallen, dann ist nüscht mehr mit Fernsehen. Die Leute machen den Fehler immer: Sie rechnen schon mit dem Weihnachtsgeld des nächsten Jahres. Das ist gefährlich. Ich würde nicht mit der Gage der nächsten beiden Jahre rechnen. Aber, wenn ich das Risiko absehen könnte, würde ich schon einen Kredit aufnehmen - für ein Haus zum Beispiel.

SZ: Sie wohnen zur Miete?

Zwegat: Ja, immer noch in derselben Wohnung, aber ohne Fototapete.

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