Reden wir über Geld mit Rainer Brüderle:"Ich traf 1348 Weinköniginnen, konnte aber nicht alle küssen"

Rainer Brüderle ist nicht nur der FDP-Fraktionsvorsitzende, sondern auch Weltrekordhalter in einer ungewöhnlichen Disziplin. Ein Gespräch über sein 13 Jahre altes Auto, sein Image als Karl Moik der deutschen Wirtschaftspolitik - und die Frage, wie viel Geld er gewöhnlich für eine Flasche Wein ausgibt.

Peter Blechschmidt und Thomas Öchsner

Rainer Brüderle, 66, mag es bodenständig. Zum Interview, mittags um 12 Uhr in seinem Berliner Büro, lässt er Schwarzbrote mit Salami, Käse und Buletten servieren. Senf gibt's auch dazu. "Ich brauche keine Wachteleier mit Trauben", sagt er. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und jetzige FDP-Fraktionschef gibt sich - trotz schlechter Umfragewerte für seine Partei und Euro-Schuldenkrise - völlig entspannt. Sein Rat an alle, die um ihr Geld fürchten: "Nerven bewahren."

RAINER BRÜDERLE UND WEINKÖNIGIN

Rainer Brüderle im Jahr 1995 als rheinland-pfälzischer Weinbauminister mit Weinkönigin Corinna I. von Rheinhessen.

(Foto: dpa)

SZ: Herr Brüderle, reden wir über Geld. Wie haben Sie Ihr erstes verdient?

Brüderle: Das war im Textilgeschäft meines Großvaters und Vaters, als ich Waren ausgetragen habe. Ich ging dann zum Beispiel zu einem Rechtsanwalt mit zehn, zwölf Krawatten, die am Anzug hingehalten wurden. Wenn ich Glück hatte, hat er beim ersten Mal eine genommen. Und wenn er nett war, hat er mir ein kleines Trinkgeld gegeben; wenn nicht, bekam ich von meinem Vater oder Großvater etwas. So habe ich mit sechs bis acht Jahren meine ersten 20 Pfennig verdient und viel fürs Leben gelernt.

SZ: Was denn?

Brüderle: Wenn du zu den Leuten nicht nett bist, wird nichts verkauft. Wenn du nichts verkaufst, wird es an Weihnachten enger.

SZ: Warum haben Sie das Geschäft nicht übernommen?

Brüderle: Diese Frage stellte sich gar nicht. Mein Vater hat das Geschäft bis ins hohe Alter mit Freude selbst geführt. Ich hatte früh andere Interessen. Als Kind wollte ich Tierarzt werden. Auf dem Gymnasium waren Physik und Chemie meine Lieblingsfächer. Schließlich habe ich Volkswirtschaftslehre studiert und das nie bereut. Gerade als Politiker ist es wichtig, eine gute berufliche Grundlage zu haben.

SZ: Verdienen Politiker zu wenig?

Brüderle: Ich bin nicht in die Politik gegangen, um Geld zu verdienen. Das Motiv ist, zu gestalten und zu verändern, Verantwortung für Menschen zu übernehmen. Die meisten Politiker sind Kommunalpolitiker und arbeiten praktisch ehrenamtlich in ihren Gemeinden. Abgeordnete und Minister sollten so viel verdienen, dass sie für die Zeit des Mandates und Amtes unabhängig sind. Trotz vergleichbar hoher Verantwortung können die Gehälter von Topmanagern oder Bankern aber nicht die Richtschnur sein.

SZ: Wofür geben Sie viel Geld aus?

Brüderle: Ich habe ein Auto, das 13 Jahre alt ist. Ich gebe relativ wenig Geld aus, ohne nun damit kokettieren zu wollen, besonders sparsam zu sein.

SZ: Auch für Wein?

Brüderle: Ein guter Wein muss nicht teuer sein. Ich kaufe direkt beim Winzer und zahle für eine Flasche sechs bis 15 Euro. Ich gebe in der Regel keine 50 Euro für eine Flasche aus. Da stimmt für mich die Relation nicht.

SZ: Sie sind als Minister in Rheinland-Pfalz auch dadurch bekannt geworden, dass Sie den Weinbau gefördert und viele Weinköniginnen geküsst haben. Wie viele waren es denn?

Brüderle: Dass Sie heute noch danach fragen, bestätigt den Erfolg dieser Werbeaktion. Ich habe 1348 Weinköniginnen getroffen. So steht es jedenfalls im Guinness-Buch der Weltrekorde. Aber ich konnte sie nicht alle küssen.

SZ: Der Spiegel nannte sie "Karl Moik der deutschen Wirtschaftspolitik".

FDP-Präsidium - Westerwelle und Lindner

Philipp Rösler (rechts) folgte Rainer Brüderle als Bundeswirtschaftsminister.

(Foto: dpa)

Brüderle: (lacht) Herr Moik war doch sehr erfolgreich. Solche Zuspitzungen gehören zum politischen Geschäft, damit muss ein Politiker leben können.

SZ: Sie sind auch nicht böse, wenn Sie in der "Heute-Show" im ZDF vergackeiert werden, weil Sie manchmal ein bisschen nuscheln.

Brüderle: Das gelegentliche Geizen mit Silben kann ich nicht leugnen. Ich neige dazu, weil ich von meiner Heimatregion geprägt bin, von Mainz und der Pfalz. Man muss authentisch sein und sich treu bleiben. Man darf sich nicht verstellen, auch wenn man mal einen launigen Kommentar einfängt. Das Kernproblem von Politik ist heute, dass wir die Menschen in der Breite nicht mehr erreichen. Das zeigt sich zum Beispiel in der Wahlbeteiligung.

SZ: Sie stehen zu Ihrem Dialekt?

Brüderle: Die dialektische Einfärbung ist eine Stärke der deutschen Sprache, sie gehört zu deren Vielfalt. Ich finde es sympathisch, wenn man Menschen sprachlich einer Region zuordnen kann. Wer steril spricht, denkt wahrscheinlich auch steril. Mir sind Menschen ohne Ecken und Kanten suspekt. Das ist nicht meine Welt.

SZ: Hadern Sie immer noch damit, dass der neue Parteichef Philipp Rösler Sie aus dem Wirtschaftsministerium vertrieben hat?

Brüderle: Mich hat niemand vertrieben. Wir haben uns gemeinsam für eine andere Mannschaftsaufstellung entschieden. Ich war sehr gern Bundeswirtschaftsminister. Jetzt bin ich mit viel Freude Fraktionsvorsitzender. Politik ist kein Wunschkonzert. Es ging darum, für die FDP die richtige Formation zu finden, um erfolgreich zu sein.

SZ: Manches bleibt auch in der FDP, etwa die Forderung nach geringeren Steuern. Die gerade beschlossene Steuersenkung der Bundesregierung bringt den Bürgern im Durchschnitt aber gerade einmal 13 Euro netto im Monat zusätzlich. Was soll das Ganze?

Brüderle: Das wird mehr Steuergerechtigkeit schaffen. Bislang schlägt der Staat bei Gehaltserhöhungen zu und nimmt mehr, als er lässt. Diese Ungerechtigkeit, die sogenannte kalte Progression, gehen wir an. Damit entlasten wir gerade Familien und die unteren Einkommen. Für die große Steuerreform ist jetzt nicht die richtige Zeit. Die Schuldenbremse einzuhalten und den Haushalt zu konsolidieren haben für uns Vorrang.

SZ: Sie lehnen höhere Steuern für Wohlhabende ab. Einige Millionäre haben sich aber bereit erklärt, mehr Steuern zu zahlen. Was halten Sie davon?

Brüderle: Also, ich finde das ein bisschen merkwürdig. Ich kann denen gern die Kontonummer von Herrn Schäuble geben, damit Sie ihm etwas überweisen können. Keiner hindert sie daran. Und wenn sie dem Staat nichts geben wollen, können sie gerne spenden, für krebskranke Kinder, für die Aids-Forschung, für die Dritte Welt. Sie haben jeden Tag tausend Möglichkeiten, etwas Gutes zu tun.

SZ: Ein anderes großes Thema ist die Euro-Schuldenkrise. Haben Sie Angst um Ihr Geld?

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Mit 66 zur Ruhe setzen - dieser Gedanke ist Brüderle fremd.

(Foto: dpa)

Brüderle: Nein, doch ich weiß, dass wir in einer kritischen Phase sind. Wir müssen achtgeben, dass Europa eine Struktur bekommt für seine Währung, die auf Dauer trägt. Der alte Stabilitätspakt wurde 68-mal gerissen. Griechenland hätte nicht aufgenommen werden dürfen. Die neue Struktur muss verbunden sein mit automatischen Strafen, wenn ein Euro-Land die Regeln nicht einhält. Die Europäische Zentralbank darf nur eines sein - ein Hort der Geldwertstabilität, aber keine Gelddruckmaschine.

SZ: Bekommen Sie mit, dass viele Menschen Angst um ihr Geld haben?

Brüderle: Nach Veranstaltungen kommen Leute zu mir und fragen: Was soll ich machen? Denen sage ich: Ich bin kein Anlageberater und empfehle, die Nerven zu behalten. Wir haben in der Politik ein ganz wichtiges Wächteramt, nämlich für die Stabilität unserer Währung mit zu sorgen. Inflation trifft doch gerade die Leute, die nicht ins Ausland ausweichen können, die nur ihr Sparkonto haben. Die würden teilweise enteignet. Deshalb ist Inflation die größte soziale Ungerechtigkeit.

SZ: Kaufen Sie selbst noch deutsche Staatsanleihen?

Brüderle: Ich habe beim Vorsorgen und Anlegen immer auf eine möglichst breite Streuung geachtet. Dazu gehören auch Aktien.

SZ: Wählen Sie die Aktien selbst aus, oder macht das Ihr Anlageberater?

Brüderle: Ich habe schon viele und auch gute Ratschläge bekommen. Entschieden habe ich aber immer selbst.

SZ: Haben Sie einen heißen Tipp?

Brüderle: Bei heißen Tipps werde ich skeptisch. Deshalb gebe ich selbst auch keine.

SZ: Kaufen Sie schon lange Aktien?

Brüderle: Im sehr bescheidenen Umfang schon als Student. Ich habe damals manches Lehrgeld gezahlt. Ich dachte, als angehender Volkswirt wäre ich schlau genug. Das ging natürlich auch mal schief. Aber später lief es relativ gut.

SZ: Sie haben nie aufgehört damit?

Brüderle: Doch. Als ich Minister wurde, habe ich alle Aktien verkauft, damit ich in keinerlei Interessenkollision komme. Ich glaube generell, dass gerade auf längere Sicht ein Teil eines Vermögens in realen Werten angelegt sein sollte. Und das können zum Beispiel Aktien von soliden deutschen Unternehmen sein, die es seit Jahrzehnten gibt. Da stehen ja reale Werte dahinter: Autos, Maschinen, Anlagen, Immobilien. Und die deutsche Wirtschaft ist ein Hort der Stabilität. Die beste Anlageform hängt aber sehr von der individuellen Situation ab: Je geringer die finanziellen Möglichkeiten sind, desto geringer sollte das Risiko der Anlage sein.

SZ: Sie denken auch nicht daran, wie andere Menschen mit 66 Jahren in Rente zu gehen?

Brüderle: Dieser Gedanke ist unserer Familie fremd. Wir sind calvinistisch geprägte Protestanten. Wir leben, um zu arbeiten und aktiv zu sein. Mein Großvater hat bis 82 gearbeitet; mein Vater war bis 86 im Geschäft. Ich hätte keine Freude daran, fünf Wochen am Strand zu liegen. Untätig zu sein, ist nichts für mich. Ich bin ungebrochen neugierig.

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