Reden wir über Geld: Klink:"Gutes Essen muss teuer sein"

Sternekoch Vincent Klink über seine Zunft, großzügige Schwaben und warum er keine Milliardäre bekocht.

Alexander Hagelüken und Hannah Wilhelm

Vincent Klink, 60, blickt zufrieden aus dem Fenster seines Restaurants Wielandshöhe auf Stuttgart. Seit 40 Jahren ist er Koch, seit über 30 Jahren mit einer kurzen Unterbrechung prämiert mit einem Michelin-Stern. Außerdem kocht er jede Woche im SWR ("Koch-Kunst mit Vincent Klink"), spielt Bassflügelhorn und veröffentlicht vierteljährlich die kulinarische Zeitschrift "Häuptling Eigener Herd". Aber jetzt trinkt er erst mal einen Kamillentee, "den hatte ich so lange nicht".

Vincent Klink, Foto: Regina Schmeken

Sternekoch Vincet Klink: "Ich habe nie an der Qualität der Zutaten gespart."

(Foto: Foto: Regina Schmeken)

SZ: Herr Klink, reden wir über Geld...

Vincent Klink: ...ich habe nicht die geringsten wirtschaftlichen Kenntnisse.

SZ: Sie sind seit Jahrzehnten Unternehmer, mit 24 Jahren haben Sie Ihr eigenes Restaurant aufgemacht.

Klink: Ich bin damals zum Chef der Bank in Schwäbisch Gmünd gegangen, der kannte meinen Vater. Er hat gefragt, wie viel ich bräuchte. 300.000 Mark, habe ich gesagt. Er hat gefragt: Langt das auch wirklich? Sag' ich: Ich glaub' schon. Ich hatte keine Sicherheit, nichts. Er hat mir in die Augen geguckt und sich auf seine Menschenkenntnis verlassen.

SZ: Hat er Ihnen zu Recht vertraut?

Klink: Das Geld war schon nach sechs Wochen zu Ende. Da musste ich nochmal nachladen mit 100.000 Mark. Meine Budgetierung war völliger Mist.

SZ: Was haben Sie denn mit dem ganzen Geld gemacht?

Klink: Den tollsten Herd gekauft undsoweiter. Wir waren eben von Anfang an ein Luxusrestaurant. (lacht)

SZ: Was hat der Banker gesagt?

Klink: "Jetzt reischte dich aber zamme." Tja, und dann war ich 18 Jahre lang ein schlechter Bankkunde, nah am Absturz.

SZ: Nah an der Pleite?

Klink: Ja. Ich habe 18 Jahre schlecht geschlafen. Aber ich habe trotzdem nie an der Qualität der Zutaten gespart. Die sind gar nicht das Problem. Das Problem sind die Personalkosten. Die erreichen schnell 50 Prozent der Gesamtkosten, und dann hat man keine Überlebenschance mehr.

SZ: Warum haben Sie sich das angetan, hätten Sie nicht etwas anderes machen können? Ihr Vater war Tierarzt...

Klink: ...und er hat mir verboten, Tierarzt zu werden. So lange studieren, um in den Hintern von Kühen herumzuwühlen. Für ihn war der Job aber sehr einträglich in der Nachkriegszeit. Der hat fast alles schwarz in seinen Hosensack geschoben.

SZ: Wollte Ihr Vater, dass Sie Koch werden?

Klink: Er hat mich fast dazu gezwungen. Das, was ich jetzt mache, verdanke ich meinem Vater - und meiner Frau natürlich. Der Koch hat eine Bunkermentalität, er steht in seiner Küche und hält sich für den Größten. Deshalb brauche ich die erbarmungslose Kritik meiner Frau. Eine Frau darf den Mann nicht anhimmeln. Das wäre das Schlimmste für einen Koch.

SZ: Ist es schwierig, mit einem Luxusrestaurant Geld zu verdienen?

Klink: Auf jeden Fall. Jede Rationalisierung geht hier auf Kosten der Freude. Es ist ein altmodisches Gewerbe: Bei uns ist alles Handarbeit, da kann man nicht sparen. Wir haben für 70 Gäste 24 Mitarbeiter. Betriebswirtschaftlich ist das saublöd.

SZ: Sie sind Anfang der 90er Jahre von Schwäbisch Gmünd nach Stuttgart gezogen. Warum?

Klink: Meine Kunden kamen schon vorher eher aus Stuttgart. Als dann die Promillegrenze für Autofahrer verschärft wurde, war mir klar: Ich muss zum Kunden kommen, denn die Kunden kommen dann nicht mehr zu mir. Seitdem ging es aufwärts.

SZ: Sie haben schon 1978 den Michelin-Stern bekommen. Was macht das finanziell aus?

Klink: Ich mache ja auch noch Literatur. Beides ist sehr verwandt: Schreiben und Kochen. Es geht um Eitelkeit. Alle Literaten sagen, sie lesen nie eine Kritik. Das ist glatt gelogen. Als ich als junger Mann den Stern gekriegt habe, das war der Hammer. Dieser Stern ist eine Art Promotion, man bekommt ihn nicht geschenkt. Ich koche aber am Rande des Sterns entlang, weil ich die ganzen Luxus-Accessoires weglasse und Hummer mit Kartoffelsalat serviere.

Im zweiten Teil: Wie sich ein Stern auf den Umsatz auswirkt - und wieso auch Schwaben gerne teuer essen.

"Ich habe ein paar Köche verprügelt und zwei rausgeschmissen."

SZ: Also, was bringt ein Stern?

Klink: Er bringt ein Drittel mehr Umsatz. Aber die Angst, ihn zu verlieren, ist schlimm. Man muss dann aus Sicherheitsgründen eine ganze Menge mehr investieren. Wie Eckart Witzigmann zum Beispiel mit seinen drei Sternen, der muss quasi immer 120 Prozent geben. Denn wenn man einen Stern verliert, ist man ein Absteiger. Und in Deutschland bleibt man dann ein Leben lang gebrandmarkt.

SZ: Ein Koch in Frankreich hat sich ja sogar umgebracht, als ihm ein Stern aberkannt wurde. Sie haben den Stern 1999 einmal verloren. Wie ging es Ihnen?

Klink: Ich war da zum Glück nicht so gefährdet, weil ich noch andere Dinge liebe. Ich habe meinen Verlag, meine Musik. . .

SZ: Ging der Umsatz zurück?

Klink: Nein, überhaupt nicht. Wir hatten Stammpublikum, einen guten Ruf.

SZ: Aber der Eitelkeit hat es geschadet?

Klink: Ja, das hat mich getroffen. Weil ich wusste, dass die recht hatten. Ich hatte damals eine Krise. Ich bin jetzt 60 und seit 40 Jahren Koch. Das kann nicht immer Wolke sieben sein.

SZ: Und wie haben Sie sich dann wieder motiviert?

Klink: Das ging ruckartig, als mir der Stern aberkannt wurde. Innerhalb von vier Wochen war ich wieder auf der Spur. Ich habe ein paar Köche verprügelt und zwei rausgeschmissen.

SZ: Sie machen nebenbei Musik und schreiben Bücher. Wofür fehlt Ihnen Zeit?

Klink: Ich bin ein schlechter Familienmensch, ganz klar. Ich bin ein kompletter Egoist und mit meiner Frau inzwischen so lange verheiratet, dass es funktioniert. (lacht)

SZ: Haben Sie Kinder?

Klink: Eine Tochter von meiner Frau. Und einen Sohn von einer anderen Frau aus den unausgeglichenen Zeiten.

SZ: Die Zeit, in der Sie auch den Stern verloren hatten?

Klink: Ja, das ganze Durcheinander.

SZ: Midlife Crisis?

Klink: Ja, die dauerte bei mir viele Jahre und fing schon an, als ich 33 war - so alt wie Jesus, als er starb.

SZ: Welche Milliardäre kommen zu Ihnen zum Essen?

Klink: Nee, Milliardäre haben zu wenig Zeit und zu viel Magengrimmen, um gut zu essen. Ich finde ja: Ein Vermögen zu erwerben ist nicht so schwierig, wie es mit Anstand und Niveau auszugeben. Mir ist ein reicher Mann lieber, der sich den fünften Porsche kauft, als einer, der sein Geld auf den Cayman-Inseln anlegt.

SZ: Schwaben sind doch sonst eher sparsam.

Klink: Das ist einer der größten Irrtümer. Bis man einen Schwaben als Kunden gewonnen hat, können Jahre vergehen. Wenn er dann aber kommt und es ihm schmeckt, dann hat man ihn ein Leben lang. Für Qualität gibt der Schwabe Geld aus. Deshalb steht bei mir auf der Karte "Ein halbes Dutzend Austern", und serviert werden sieben Stück. Das merkt sich der Schwabe.

SZ: Was fahren Sie für ein Auto?

Klink: Einen VW Polo. Der hat hinten kein Schild drauf, aber 220 PS. Eine Kanonenkugel, verbeult und verkratzt. So habe ich keine Neider. So hat's der Schwabe gerne.

SZ: Warum legen Sie sich regelmäßig mit der Nahrungsmittelindustrie an?

Klink: Sie vermarktet Lügen. Dieser Mini-Joghurt Actimel kostet viermal so viel wie ein normaler, und es ist der gleiche Schmarrn drinnen. Wenn du heute in der Nahrungsmittelbranche was werden willst, brauchst du keinen Koch, sondern einen Chemiker, einen Werbemanager und ein Heer von Anwälten.

Im dritten Teil: Warum Design-Essen das Lebensglück zerstört - und wie teuer eine Flasche guter Wein sein muss.

"Die Amerikaner essen Mist, aber sie sind froh dabei."

SZ: Sie werfen der Industrie vor, dass es kaum mehr authentische Lebensmittel gibt.

Klink: Seit die Leute Privatfernsehen gucken, sind sie Opfer der Werbung. Sie gewöhnen sich das selbständige Denken ab. Die Sachen sind ja auch perfekt designt, optisch und geschmacklich.

SZ: Und wenn es den Leuten schmeckt, was ist dann falsch daran?

Klink: Das ist das Gleiche wie mit den Kolonisten in Afrika: Sie haben den Schwarzen Glasperlen für Gold angedreht.

SZ: Ist das designte Essen ungesund?

Klink: Dann müssten die Amerikaner ja schon ausgerottet sein. Und die Engländer noch vorher. Der Mensch ist unzerstörbar. Aber das Lebensglück geht so verloren.

SZ: Das Lebensglück?

Klink: Fahren Sie morgens U-Bahn? Gucken Sie die Leute doch an.

SZ: War das denn früher anders?

Klink: Klar, in meiner Jugend ist auf dem Bau noch der Bierwagen vorgefahren, und im Büro hat man noch eine gequalmt. Heute hängt Mehltau über dem ganzen Land. Es geht nur noch um den großen Genuss, um ein Auto oder einen iPod. Das Essen ist aber Glück im Kleinen, ein Stückchen Urlaub im Alltag. Die Brotzeit in Bayern ist heute kein Thema mehr, vor 30 Jahren war es das Wichtigste überhaupt.

SZ: Das heißt, die Deutschen essen schlecht und sind deshalb depressiv? Nicht gerade sympathisch.

Klink: Mir macht die Seelenlage der Deutschen Angst. Die Amis, die sind in zwei Jahren aus der Finanzkrise raus. Die haben einen phantastischen Optimismus. Ich bekomme in zwei Wochen einen Koch aus Kanada, der verbreitet schon per Mail mehr Power als die ganzen Schlafkappen hier.

SZ: Gut essen tun die Amerikaner auch nicht.

Klink: Stimmt, wo haben die ihren verdammten Optimismus her? Sie essen mit Lust. Sie essen Mist, aber sie sind froh dabei. Das ist viel besser, als wenn sich jemand morgens sein Müsli mit linksdrehendem Joghurt reinzwingt.

SZ: Was muss eine Flasche guter Wein kosten?

Klink: Sieben Euro.

SZ: Alles drunter ist Mist?

Klink: Man kann mal Glück haben.

SZ: Was darf ein Kilo Tomaten kosten?

Klink: Hören Sie, ich habe keine Ahnung von Preisen. (lacht) Ich achte nicht drauf. Mein Küchenchef ist ein Pfennigfuchser, den muss ich manchmal bremsen. Letztens hat er einen günstigen Parmesan gekauft, das war aber ein Padano, den konnten wir nur fürs Personalessen nehmen. Für die Gäste brauchen wir Reggiano und der ist eben nicht billig.

SZ: Gutes Essen muss teuer sein?

Klink: Ganz klar. Aber das Problem ist: Der Verbraucher will immer was ganz Tolles billig haben, zum Beispiel einen halben Hummer für neun Euro. Stattdessen sollte er lieber ein Basisprodukt nehmen, aber davon dann das Beste. Mein Frühstück ist ganz simpel: eine Brotscheibe und Butter drauf. Das ist aber das beste Brot und eine Butter aus der Normandie. Dagegen ist alles, was wir hier haben, Fettschmiere. Das ist ein preiswertes Frühstück.

SZ: Wo kauft man am besten ein?

Klink: Ich behaupte, das ist eine Bauch-Entscheidung. Ich kaufe keine Ware bei einem Unsympathen. Ich kenn' den Typen, der mir meine Eier liefert. Wenn ich dem in die Augen gucke, dann weiß ich, der bescheißt mich nicht.

SZ: Aber das Bauchgefühl fehlt vielen Deutschen vermutlich.

Klink: Weil sie es nicht pflegen. Die Finanzkrise ist ein Zeichen dafür, dass den Menschen der Instinkt abhanden gekommen ist.

SZ: Der Instinkt wofür?

Klink: Viele Menschen haben den Bezug zu den Geldsummen verloren. Das waren nur noch Zahlen im Computer, ob das Millionen oder Milliarden waren, hat keiner mehr durchschaut. Wissen Sie, ich kann nicht rechnen. Das war schon so, als ich ein kleiner Bub war. Mein Opa hat immer gesagt: "Drei mal vier ist 180? Frag dich immer: Kann das sein?" Die Frage stell' ich mir bis heute. "Kann etwas - gefühlsmäßig - stimmen?" Wenn es schon Spargel zu kaufen gibt, obwohl noch Schnee liegt - kann das sein?

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