Süddeutsche Zeitung

Reden wir über Geld: Jobst Wellensiek:"Bösartiges Geschäft"

Deutschlands bekanntester Konkursverwalter Jobst Wellensiek über gnadenlosen Kampf der Gläubiger ums Geld und schrottreife Flugzeuge.

D. Deckstein und D. Sürig

Er ist Deutschlands bekanntester Insolvenzverwalter. Der Name Jobst Wellensiek, 78, verbindet sich mit Großpleiten wie Maxhütte, Bremer Vulkan oder Roland Ernst, bei denen 10.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel standen. In seiner Heidelberger Gründerzeitvilla redet Wellensiek über 50 Berufsjahre mit gescheiteren Geschäften - und wie sich davon etwas retten lässt.

SZ: Herr Wellensiek, als Sie 1961 promovierten, gab es gerade mit dem Konkurs der Autowerke Borgward eine der größten Pleiten der Nachkriegszeit. Wurden Sie deshalb Konkursverwalter?

Wellensiek: Das nun nicht gerade. Ich bin 1960 als Anwalt zugelassen worden und habe die Kanzlei von meinem Stiefvater übernommen. Ich kämpfte mich so durch und bekam 1964 den ersten Konkursfall übertragen: Es handelte sich um einen Trompeter, der nebenher ein Haushaltswarengeschäft betrieb und Umsatz mit Gewinn verwechselte. Das ist übrigens noch heute sehr verbreitet.

SZ: Das ist ja schwer zu glauben.

Wellensiek: Das ist wirklich so. Selbst bei der Großwerft Bremer Vulkan konnte man sich dieses Eindrucks nicht erwehren.

SZ: Aber Manager sind doch heute betriebswirtschaftlich bestens ausgebildet.

Wellensiek: Wie Untersuchungen zeigen, sind aber Insolvenzen oft auf Managementfehler zurückzuführen.

SZ: Wie brachten Sie den Trompeter aus der Bredouille?

Wellensiek: Die begüterte Ehefrau des Trompeters finanzierte das Verfahren mit 300 DM. Mit ihrer Hilfe konnte ein Zwangsvergleich mit den Gläubigern zustande gebracht werden.

SZ: Viel verdient haben dürften Sie an diesem Fall nicht.

Wellensiek: Für solche Kleinverfahren gilt noch heute: Außer Spesen nichts gewesen. Finanziell interessant sind nur die Großverfahren, die subventionieren die kleinen. Im übrigen waren sich damals viele Anwälte für dieses Geschäft zu vornehm. Ich habe Konkursverfahren aber nicht nur übernommen, weil ich als junger Rechtsanwalt einfach noch nicht genügend zu tun hatte, sondern auch, da ich kein Schreibtischtäter mit Schriftsätze-Leidenschaft bin. Es war für mich reizvoll, praktisch tätig zu werden und Geschäftsführer auf Zeit zu sein.

SZ: Viele nennenswerte Konkurse gab es damals ja nicht.

Wellensiek: Es war eher mühsam, bot mir aber die Gelegenheit mich intensiv in die Materie einzuarbeiten. Erst 1981, als ich schon 50 Jahre alt war, wurde ich mit überregionalen Großverfahren betraut. Der erste hiervon war Neff, ein Hersteller von Küchen-Einbaugeräten. Dabei ging es um rund 1700 Arbeitsplätze. Fast alle Arbeitsplätze konnten durch den Verkauf aller Vermögenswerte an ein anderes Unternehmen erhalten werden. Dies war praktisch mein Aufstieg in die Bundesliga der Konkursverwalter.

SZ: Wie hat sich Ihre Branche entwickelt?

Wellensiek: Anfang der achtziger Jahre gab es vielleicht 20 bekannte Insolvenzverwalter, heute sind über 2000 auf diesem Gebiet tätig. Das Geschäft ist aggressiver und auch bösartiger geworden.

SZ: Inwiefern?

Wellensiek: Dies liegt nicht nur an der Vielzahl der Pleiten, sondern auch daran, dass die Überlebenskämpfe der beteiligten Firmen härter geworden sind. Die Gläubiger müssen stärker um ihr Geld kämpfen. Das hat zur Folge, dass die Auseinandersetzungen schwieriger werden.

SZ: Sie haben um die 900 Insolvenzen betreut. Woran denken Sie gerne zurück?

Wellensiek: Am meisten lag mir die Maxhütte am Herzen. Es handelte sich um zwei Verfahren, 1987 und elf Jahre später. Beim ersten verkündete der damalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß: "Der Stahlstandort mittlere Oberpfalz bleibt erhalten." Das kam mir sehr entgegen. Eine weitere große Hilfe war es, dass die Stahlpreise stiegen, so konnte ein Großteil des Unternehmens gerettet werden. Das zweite Konkursverfahren verlief wesentlich unerfreulicher. Nach jahrelangem Kampf musste das Stahlwerk geschlossen werden. Die Maxhütte hat mich über viele Jahre sehr gefordert und mir zahlreiche freudige, aber auch traurige Stunden beschert.

SZ: Was verdienen Sie an Großverfahren wie Maxhütte oder Vulkan?

Wellensiek: Wie bei Prozessen mit hohem Streitwert bestehen bei Großverfahren gute Verdienstmöglichkeiten. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass jeder Insolvenzverwalter erhebliche Ressourcen vorhalten muss. Sie müssen davon ausgehen, dass die Kosten über 50 Prozent der Bruttovergütung verschlingen.

SZ: Und wie hoch ist die Vergütung?

Wellensiek: In der Regel erhält der Insolvenzverwalter von den ersten 25.000 Euro der Insolvenzmasse 40 Prozent. Von dem Mehrbetrag, der über 50.000 Euro hinaus geht, gibt es nur noch 0,5 Prozent. Allerdings können vom Gericht Zuschläge gewährt werden, die sich nach verschiedenen Kriterien richten, zum Beispiel nach der Zahl der betroffenen Arbeitsplätze und insbesondere der Dauer der Unternehmensfortführung.

SZ: Was war Ihr größter Fall?

Wellensiek: 1996 die Bremer Vulkan-Verbund AG. Zu dem Komplex gehörte auch die Werft. Von den verschiedenen Verfahren waren mehr als 25.000 Arbeitplätze betroffen, wovon über 20.000 gerettet werden konnten.

SZ: . . .und der lukrativste?

Wellensiek: Das waren die Verfahren um den Stahlkonzern Klöckner 1992, da es sich um Vergleiche handelte, die schon binnen eines Jahres abgewickelt waren. Wenn ich mich recht erinnere, erließen die Gläubiger rund 1,4 Milliarden DM.

SZ: Und was fiel nun für Sie ab?

Wellensiek: Eine mittlere einstellige Millionensumme.

SZ: Sie haben auch schon ein Mandat zurückgeben müssen: Im Jahr 2000 beim Bauunternehmen Roland Ernst, weil Sie an Fonds beteiligt waren, die Ernst gegründet hatte. Waren Sie zu blauäugig?

Wellensiek: Roland Ernst hat weit über 100 Gesellschaften initiiert und an Dreien war ich als Minderheitsgesellschafter beteiligt. Nachdem aber im SternSZ: Hatten Sie sonst noch Ärger?

Wellensiek: Soweit ich mich erinnern kann, habe ich in den 50 Jahren Berufsleben nur in zwei Fällen wirklich Ärger gehabt. Neben dem Fall Ernst 1999 als Liquidator der DDR-Staatsfluglinie Interflug. Damals hat ein Journalist Strafanzeige gegen mich erstattet mit der Behauptung, ich hätte Flugzeuge verschoben. Die Anzeige richtete sich aber auch gegen Vorstände und Mitarbeiter der Treuhand. Wir hatten damals russische Tupolews zum Nulltarif nach Usbekistan verkauft. Diese durften im Westen gar nicht mehr fliegen, ihre Verschrottung hätte 800 000 DM gekostet. Wir sparten nicht nur diese Kosten ein, sondern retteten auch 100 Arbeitsplätze. Ein Bombenerfolg! Das Verfahren wurde sofort eingestellt.

SZ: Ihr Kerngeschäft besteht letztlich darin, das Geld der Gläubiger zu retten. Ist das nicht manchmal frustrierend?

Wellensiek: Gar nicht. Es ist eine Herausforderung, die Zerschlagung wirtschaftlicher Werte zu verhindern und möglichst viele Arbeitsplätze zu retten.

SZ: Was erleben Sie, wenn Sie in ein Pleiteunternehmen gerufen werden? Ein Management, das noch schnell beseitigt, was nicht niet- und nagelfest ist?

Wellensiek: Ich vergleiche ein Insolvenzverfahren immer mit einem Notarzteinsatz. Sie müssen möglichst schnell vor Ort sein, sich binnen kürzester Zeit ein Bild von der Sachlage machen. Hierzu gehören Gespräche mit Geschäftsführung, Betriebsrat, Gewerkschaftern, Politikern, mit fast allen Beteiligten. Besonders wichtig ist es, die Liquidität wieder herzustellen, da in fast 90 Prozent der Fälle die Zahlungsunfähigkeit die Insolvenz ausgelöst hat.

SZ: Was sind denn nun die Hauptgründe für eine Insolvenz?

Wellensiek: In mehr als 60 Prozent der Fälle sind Managementfehler verantwortlich. Nehmen wir die Autoindustrie, wo nach der Wiedervereinigung die große Nachfrage aus den neuen Bundesländern kam, während sie in anderen Ländern zurückging. Da wurden die Kapazitäten hochgefahren. Es hätte erkannt werden müssen, dass diese nach einigen Jahren nicht mehr benötigt werden. Auch heute leidet die Automobilindustrie nicht nur unter der Finanzkrise, sondern unter Überkapazitäten.

SZ: Können Sie noch ruhig schlafen, wenn Entlassungen anstehen?

Wellensiek: Das belastet mich sehr, weil es um menschliche Schicksale geht.

SZ: Von den Interflug-Mitarbeitern bekamen Sie ein Flugzeugmodell geschenkt, obwohl es ja schiefgegangen ist.

Wellensiek: (holt seine Schätze aus dem Schrank) Ich habe von der Neff-Belegschaft einen alten restaurierten Herd bekommen. Vom Betriebsrat der Maxhütte eine hölzerne Nachtwächterfigur, damit ich immer über die Maxhütte wache. Und dem Flieger von Interflug, das ist eine Iljuschin 62, dem fehlt schon ein Flügel. Dieser signierte Ball ist von den Spielern des 2003 insolvent gegangenen SV Waldhof Mannheim. Am meisten freut mich, wenn wie jetzt bei der Papierfabrik Scheufelen die Arbeitnehmer schreiben, ohne Sie gäbe es uns nicht mehr.

SZ: Insolvenz galt in Deutschland als Makel. Hat sich das verändert?

Wellensiek: Bei uns wird die Insolvenz nach wie vor als Makel betrachtet, auch wenn sich dies durch die vielen Insolvenzen vielleicht etwas gebessert hat.

SZ: Sie geben Ihr Geld unter anderem für Wiking-Modellschiffe aus. Ist das eine Geldanlage?

Wellensiek: Die Schiffe befriedigen meine Sammlerleidenschaft. Man kann sie aber auch als Wertanlage betrachten.Es gibt Modelle, die 3,50 Reichsmark kosteten und heute an Sammler für 1000 Euro verkauft werden können."

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Quelle:
SZ vom 16.03.2010/pak
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