Reden wir über Geld: Jamie Oliver:"Ich war ein dickes, dummes Kind"

Der Starkoch Jamie Oliver erzählt wie es ist, mit Anfang 20 plötzlich ein paar Millionen auf dem Konto zu haben. Der Brite spricht zudem über seine Zeit an der Förderschule, Nacktfotos im Briefkasten - und seine Mission für gesundes Schulessen.

Alina Fichter

Jamie Oliver, 35, wirft sich in die Sofaecke und sinkt in die Kissen. Er reißt die Hände hoch und gähnt, das Hemd rutscht aus der Hose. Sein Leben sei anstrengend wie nie, sagt er - kürzlich wurde sein viertes Kind geboren. Oliver gilt als britischer Nationalheiliger; 1998 wurde er mit der Kochsendung "The Naked Chef" schlagartig berühmt. Heute betreibt er 16 Restaurants, bildet arbeitslose Jugendliche zum Koch aus und setzt sich für besseres Schulessen ein. Seine Kochbücher verkauften sich über 14 Millionen Mal.

Lammschulter beim G20-Dinner

Der Fernsehkoch Jamie Oliver ist einer der berühmtesten Engländer.

(Foto: dpa)

SZ: Jamie Oliver, reden wir über Geld.

Jamie Oliver: Über Geld rede ich grundsätzlich nicht. Das hat mir mein Vater eingebläut. Zu privat.

SZ: Heute müssen Sie.

Oliver: Ach, wissen Sie was: Mit dem Schweigen, das klappt sowieso nicht. Zeitschriften machen diese Reichenlisten Prominenter, da tauche ich immer auf. Über mich gibt es keine Geheimnisse mehr (seufzt).

SZ: Sie sind einer der bekanntesten Engländer. Wie beeinflusst das Ihr Leben?

Oliver: Am Geburtstag meiner Frau aßen wir im Restaurant zu Abend. Ständig kamen Fremde an den Tisch, viele von ihnen besoffen. Sage ich ihnen: Haut ab? Nein, sie bekommen ihr Foto und ihr Autogramm. Danach kann ich weiter Geburtstag feiern. Ob ich das hasse? Darauf können Sie Gift nehmen!

SZ: Was war der schlimmste Moment?

Oliver: Als meine Großmutter beinahe starb. Vier Uhr morgens, ein Unfall, wir rasten mit Blaulicht ins Krankenhaus. Ich war verstört und heulte. Vor dem Krankenzimmer bildete sich eine Schlange von Menschen, die Autogramme wollte. Ich dachte: Piss off! Aber sie bekamen ihr Autogramm. Das sind brutale Momente. Aber gut, ich habe akzeptiert, Volkseigentum zu sein.

SZ: Wie bitte, Sie sind Volkseigentum?

Oliver: Meine Arbeitgeber sind nicht die Verleger meiner Kochbücher oder der Fernsehsender Channel 4. Es ist die Öffentlichkeit. Sie hat mich reich gemacht.

SZ: Ihr Vermögen wird auf bis zu 53 Millionen Euro geschätzt, und Sie dementieren die Reichenlisten der Magazine nicht. Was sagt Ihr Vater dazu, dass Sie plötzlich doch über Geld reden?

Oliver: Er ist so stolz auf mich, dass es ihm die Tränen in die Augen treibt. Aber er macht sich auch Sorgen. Er kann nicht fassen, dass sein Sohn 5200 Angestellte hat, 16 Restaurants führt und Millionen Bücher in 120 Ländern verkauft.

SZ: Sie kommen aus einfachen Verhältnissen.

Oliver: Ich bin ein Landei, in Clavering, Essex, nordöstlich von London aufgewachsen. Meine Eltern haben da ein kleines Pub.

SZ: Eine verrauchte Dorfkneipe, in der Fish & Chips in altem Öl frittiert werden?

Oliver: Von wegen! Bei meinem Vater gab es schon immer frisches Essen: Gemüsegerichte und Patisserie. Aber Sie haben recht, niemand geht ins Pub, um etwas zu essen. Alle wollen sich einfach betrinken.

"Ich kochte schon damals geiles Zeug!"

SZ: Wie wurde Ihr Vater sein Essen los?

Oliver: Das Pub-Publikum ist eine Metapher fürs Land: Da sind Reiche und Arme. Meine besten Jugendfreunde waren Zigeuner, die mit Wohnwagen im Dorf lebten; ihre Eltern lehnten an der Bar. Nebendran qualmten reiche Geschäftsleute eine Zigarre, bestellten einen angesagten Whiskey - und ein Steak dazu.

SZ: Mittendrin der kleine Jamie.

Oliver: Ich wusch Geschirr ab, da war ich so klein, dass ich auf einer Kiste stehen musste. Leerte Mülleimer aus, nahm Bestellungen auf, schälte Gemüse. Irgendwann bereitete ich Vorspeisen zu, bald darauf die Hauptgerichte. Mit neun Jahren konnte ich genauso gut mit dem Messer umgehen wie heute. Ich kochte schon damals geiles Zeug!

SZ: Spielen durften Sie nicht?

Oliver: Mein Vater arbeitete hart und sagte immer: Im Bett sterben die Menschen, also steh auf, tu was! Jeder, der untätig rumhing, bekam eine Aufgabe verpasst. Er war echt hart. Von ihm habe ich meine Arbeitsmoral.

SZ: In der Schule hielt sich Ihr Arbeitseifer aber in Grenzen.

Oliver: Ich war eines dieser dicken, dummen Kinder. Ich musste auf die Förderschule und brauchte Nachhilfe, um die einfachsten Dinge zu lesen und zu schreiben. Alles Akademische, das ich je anpackte, war ein Misserfolg.

SZ: Fühlten Sie sich als Versager?

Oliver: Alle in meiner Klasse fühlten sich wie Versager. Ich nicht, ich hatte das Leben im Pub. Ich kochte und bekam dafür etwas Geld von meinem Vater.

SZ: Sie sagten einmal, mit 18 war es Ihr Ziel, so viele Frauen wie möglich flach zu legen.

Oliver: Das habe ich gesagt? (lacht) Keine Frage, hätten damals 100 Frauen mit mir schlafen wollen - ich hätte sie alle genommen. Aber leider interessierte sich keine für mich ...

SZ: ... was sich schlagartig änderte, als Sie durch ihre Kochshow bekannt wurden.

Oliver: Wissen Sie, mit Anfang 20 gab es viele unerhörte Momente: Nacktfotos im Briefkasten, Mädchen, die sich an mich warfen.

SZ: Wie kamen Sie an die Sendung, die Ihr Aufstieg war?

Oliver: Per Zufall. Mit Anfang 20 arbeitete ich im Londoner Kultlokal "River Café". Eines Abends drehte der Fernsehsender BBC dort. Der Koch war verschwunden, er hatte ein Date mit einer Kellnerin. Also musste ich an die Töpfe und für 150 Leute kochen. Am Tag nach der Ausstrahlung boten mir fünf Sender eine eigene Show an.

SZ: Ihre Sendung "Naked Chef" wurde zum Quotenhit. Sie waren auf einen Schlag steinreich.

Oliver: Bis dahin hatte ich als Koch am Ende des Monats kaum 100 Euro übrig. Mit 24 waren plötzlich ein paar Millionen Euro auf meinem Konto.

SZ: Hat Sie das verändert?

Oliver: Überhaupt nicht. Ich bin mit derselben Frau zusammen, seit ich 18 bin. Die meisten Freunde stammen aus der Schulzeit - und treten mir in den Arsch, wenn es nötig ist. Und in der Arbeit bin ich von einem Rudel Rottweiler umgeben: lauter Frauen. Die sorgen dafür, dass ich nicht außer Kontrolle gerate (lacht).

SZ: Sie flippen öfter aus?

Oliver: Gestresst bin ich nie. Der Grund dafür ist, dass ich nicht nur Legastheniker bin, ich habe auch autistische Züge. Ich arbeite in einer Blase. Um mich kann die Welt zusammenbrechen, ich hüpfe einfach in die nächste Blase. Wenn andere zögern, springe ich.

SZ: Sie arbeiten mehr als die meisten Menschen.

Oliver: Jeden Tag 16 bis 18 Stunden. Meine Frau schläft oft wie eine Bewusstlose, wenn ich heimkomme; vier Kinder sind anstrengend.

SZ: Sie haben kürzlich zu Ihren drei Mädchen noch einen Jungen bekommen. Glücklich?

Oliver: Sehr! Aber ich fürchte mich auch: Ich muss bald so tun, als würde ich Fußball mögen (lacht).

SZ: Sie finden Fußball doof und stehen auf pinke Pullis. Hört sich nach Rollentausch an. Ist Ihre Frau der Mann im Haus?

Oliver: Bei uns hat Jools die Hosen an, oh ja! Sie ist auch eine furchtbare Köchin - sie macht immer nur Eintopf. Aber die Kinder lieben es.

SZ: In Ihre Sendungen fließt viel von Ihrem Privatleben ein: Familienstreits, Tränen, die Kameras sind immer dabei. Ist das Teil Ihrer Selbstvermarktung?

Oliver: Kameras sind nur dabei, wenn ich will. Oft gehen sie mir auf die Nerven, ständig dieses Mikrofon an der Brust. Aber Fernsehen ist das wichtigste Medium der Welt; es hilft mir, Menschen zu bewegen. Nur so kann ich Dinge verändern.

SZ: Was wollen Sie verändern?

Oliver: Ich will, dass jedes Kind gesundes Schulessen bekommt und etwas über Ernährung lernt. Das ist der Schlüssel, um die Gesundheitsprobleme in der Gesellschaft zu richten.

SZ: Sie sind Koch, kein Politiker. Wieso wollen Sie gesellschaftliche Probleme lösen?

Oliver: Weil die Statistiken unglaublich sind: Großbritannien hat weltweit eine der höchsten Quoten an Übergewichtigen. Meine Bekanntheit hilft mir, die Aufmerksamkeit auf diese Themen zu lenken. Die Menschen vertrauen mir. Als ich aufstand und sagte: Leute, hier ist ein echtes Problem, hörten alle mir zu.

SZ: Ihr Projekt "Feed me better" für besseres Kantinenessen in Schulen unterstützte die britische Regierung mit gut einer halben Milliarde Euro, Sie wurden für Ihr Engagement sogar in den Adelsstand gehoben. Aber nicht alle Schüler mögen Sie.

Oliver: Manche Kinder haben mich angespuckt und beschimpft: Wir wollen unsere täglichen Pommes, sagten sie. Nix da, sage ich. Manchmal muss man Sachen einfach stoppen, ganz radikal.

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