Reden wir über Geld: Hummler:"Der wahre Bankier ist ein Anarchist"

Der Schweizer Bankchef Konrad Hummler über seine Neigung, gegen den Strom zu schwimmen, Bargeldkoffer aus Deutschland und unendliche Faulheit.

M. Zydra

Konrad Hummler, 55, verspätet sich etwas. Wie viele Minuten es genau sind, bleibt unklar, obwohl im Konferenzsaal der St. Galler Privatbank Wegelin&Co. zwei Wanduhren ticken. Doch sie zeigen unterschiedliche Zeiten an - und das in der Schweiz, bei der ältesten Bank des Landes, gegründet im Jahr 1741. Bankchef Hummler setzt sich an den Nussbaumtisch. "Sie wissen, dass auf diesem Tisch mal ein Leichnam aufgebahrt lag", sagt er. "In der Anfangszeit der Bank ist ein Teilhaber im Amt gestorben."

Konrad Hummler, Foto Morgenstern

Der Schweizer Privatbankier Konrad Hummler sagt: Der Staat soll marode Banken bankrott gehen lassen - aber kontrolliert.

(Foto: Foto: Anne Morgenstern)

SZ: Herr Hummler, reden wir über Geld. Sie haften bei Wegelin mit Ihrem persönlichen Vermögen. Wenn Ihr Institut Pleite geht, dann sind Sie es auch?

Konrad Hummler: Ja, und das finde ich super, denn ich übernehme so die Verantwortung für meine Entscheidungen. Wenn eine Bank beim Staat rückversichert ist, wird es immer gefährlich.

SZ: Der Staat sollte marode Banken bankrott gehen lassen?

Hummler: Auf jeden Fall, aber nicht so unkontrolliert wie Lehman Brothers. Es ist das große Versagen der Finanzaufsicht, dass der geordnete Konkurs der Banken nie durchgespielt wurde.

SZ: Wie läuft so etwas geordnet ab?

Hummler: Wenn es einer Bank schlecht geht, dann bezahlt zunächst der Aktionär durch den Wertverlust seiner Beteiligung. Dann kommt der nachrangige Anleihebesitzer an die Reihe. Und wenn immer noch Kapital fehlt, sind die übrigen Gläubiger dran, die ihr Geld verlieren. Die Einlagen der Sparer bleiben dabei abgesichert.

SZ: Die Staatshilfe ärgert Sie.

Hummler: Nachrangige Gläubiger der Schweizer Bank UBS bekommen weiter ihre Zinszahlungen, auch von mir. Durch die Staatshilfen übernimmt jeder Schweizer Bürger pro Kopf 6000 Franken für das Institut.

SZ: Wenn die UBS oder die Citigroup bankrott geht, wird alles schlimmer.

Hummler: Eine Pleite tut immer weh, jetzt tut sie aber dem Steuerzahler weh und nicht demjenigen, der das Risiko übernommen hat. Die Politik glaubt, dass ein wirtschaftlicher Schnitt etwas schlechtes sei. Ich glaube jedoch an die unendliche Anpassungsfähigkeit des Menschen, aus einer neuen Situation das Beste zu machen.

SZ: Sie haben gut reden.

Hummler: Wieso? Ich könnte mir vorstellen ein guter und glücklicher Straßenkehrer zu sein. Ich suche das jetzt nicht, aber grundsätzlich kann ich mir das vorstellen. Wer diese Bereitschaft zu radikalen Neuanfängen nicht hat, der ist kein Unternehmer.

SZ: Ein Leben lang Straßen kehren?

Hummler: Das habe ich nicht gemeint, mit Sicherheit hätte ich innerhalb einer Woche zehn Angestellte (lacht).

Im zweiten Teil: "Ich nehme unversteuertes Bargeld in Koffern an."

"Ich nehme unversteuertes Bargeld in Koffern an."

SZ: Politiker wollen durch Staatshilfen weitere Turbulenzen vermeiden.

Hummler: Das ist der falsche Weg. Durch die Übernahme der Risiken aus dem Bankensektor und der Industrie bringen sich Staaten in eine verderbliche Position. Auch sie sind nicht unendlich risikofähig.

SZ: Nun machen viele Staaten Druck auf die Schweiz. Nehmen Sie unversteuertes Bargeld in Koffern an?

Hummler: Ja, sicher. Ob der Kunde das Geld in Deutschland versteuert hat, interessiert mich nicht. Ich würde aber nachfragen, wie er das Geld verdient hat, um auszuschließen, dass es aus dunklen Quellen stammt.

SZ: Wie sicher wäre das Kapital vor dem deutschen Fiskus?

Hummler: Wesentlich unsicherer als noch vor zwei Monaten. Bislang war die Schweiz Garant dafür, dass sauberes ausländisches Kapital unbesehen vom Steuerstatus sicher aufbewahrt wird. Dieser Nimbus ist angekratzt.

SZ: Warum geht ein Jurist und Offizier wie Sie in die Finanzwirtschaft?

Hummler: Ich begann bei der Schweizerischen Bankgesellschaft, der früheren UBS. Als jüngster Analyst schrieb ich einen Bericht zu einer US-Ölfirma, in dem ich deutlich machte, dass die Firma bald Pleite geht. Statt Anerkennung erhielt ich den wütenden Anruf eines Direktors der Bank. Man habe kurz zuvor eine Anleihe der Ölfirma am Markt platziert.

SZ: Sie verloren den Job?

Hummler: Nein, alsbald ging die Ölfirma Pleite (lacht lauthals). Dieses Ereignis machte mir klar, dass man mit gesundem Menschenverstand und einfacher Mathematik im Finanzsektor sehr viel herausfinden kann, wo andere nur nachplappern.

SZ: Warum wird gesunder Menschenverstand eher gepredigt als gelebt?

Hummler: Es ist so viel angenehmer, dem allgemeinen Trend zu folgen. Ich stelle in den meisten Gremien diese Bequemlichkeit und Feigheit fest.

SZ: Wie bekämpft man diese Feigheit?

Hummler: Es muss das Risiko bestehen, dass der Verantwortliche persönlich alles verlieren kann. Dann hat er ein existenzielles Interesse daran, genau nachzudenken. Eine solche Haftungsstruktur macht auch Vorstandsgespräche inhaltlich relevanter und kontrolliert die Gier.

SZ: Wie misst man Gier?

Hummler: Gier drückt sich meist in einem hohen Verschuldungsgrad des Unternehmens aus. Das ist meine Kritik an der Finanzwirtschaft. Es gibt niemanden in den Gremien, der für genügend Kapitalreserven und Eigenkapital sorgt. Alle streben stattdessen eine maximale Eigenkapitalrendite an.

SZ: Betrifft das nur die Banken?

Hummler: In der gesamten Wirtschaft herrscht diese angespannte Situation. Produktionsprozesse sind bis auf die letzte Minute ausgereizt, es gibt keine Lagerhaltung. Beim kleinsten Fehler steht alles still. Doch die Vorstellung, dass alles immer perfekt funktioniert, ist weltgeschichtlich absurd. Ich habe meine Zweifel, dass die kapitalistische Unternehmung zu Ende gedacht ist.

SZ: Was schlagen Sie vor?

Hummler: Wir brauchen eine Instanz, die das längerfristige Interesse des Unternehmens wahrnimmt.

SZ: Diese Instanz gibt es doch in Form der Aufsichtsräte.

Hummler: Nein, die tun es nicht, ebenso wenig Arbeitnehmer und Finanzanalysten. Es gibt keinen, der genügend Eigenkapital sicherstellt. Also brauchen wir eine gesetzliche Regelung, die Obergrenzen für Verschuldung vorschreibt.

Im dritten Teil: "Ich habe kein Interesse, das zu denken, was andere denken."

"Ich habe kein Interesse, das zu denken, was andere denken."

SZ: Sie tragen den Spitznamen "Anarcho-Banker".

Hummler: Ich habe mal das Buch Le Banquier anarchiste des portugiesischen Philosophen Fernando Pessoa lobend erwähnt. Die Idee ist, dass der wahre Bankier von der Interessenslage seiner Kunden sehr weit entfernt ist, um so die richtige Haltung zu haben. Das ist im Idealfall ein Anarchist, weil er außerhalb der Ordnung steht.

SZ: Banker und Anarchist?

Hummler: Es ist ein reizvolles Gedankenspiel. Ich habe mir für die Kundenberatung immer vorgenommen, diese Distanz zu wahren.

SZ: Wie sieht das genau aus?

Hummler: Ich möchte keine Aktien oder Anleihen für das nächste halbe Jahr empfehlen, sondern die Gesamtsituation des Kunden aus einer langfristigen Perspektive betrachten.

SZ: Ihnen gefällt die Rolle als Agent Provocateur?

Hummler: Ja, ich bewege mich am Rande der Finanzszene. Ich habe kein Interesse, das zu denken, was andere denken.

SZ: Was treibt Sie denn an bei der täglichen Arbeit?

Hummler: Das Geld natürlich, denn es ist eine sehr praktische Umsetzung für wirtschaftliche Leistungen. Dann motiviert mich aber auch eine große Neugier.

SZ: Wie weit geht die?

Hummler: Neulich verstarb die Schweizer Schauspielerin Anne-Marie Blanc. Im Nachruf stand, dass Frau Blanc sogar auf ihren Tod neugierig war. Das fand ich bemerkenswert. Da ist jemand so alt und hat eine Neugier zu wissen, wie es nachher aussieht. So habe ich ein neues Vorbild gekriegt.

SZ: Woher kommt Ihre kritische Grundhaltung?

Hummler: Mein Elternhaus war sehr liberal, mein Vater war Politiker, meine Mutter entstammt einer Unternehmenfamilie, sehr frankophon. Mit 15 Jahren habe ich 1968 einen eigenständigen Ausflug nach Paris zur Studentenrevolte gemacht. Meine Eltern ließen das zu, schließlich könne der Junge ja Französisch sprechen. So war der Stil zu Hause, was meine Offenheit gefördert hat.

SZ: War es ein privilegiertes Zuhause?

Hummler: Nein, denn die Eltern gehörten nicht zur St. Galler Oberschicht. Dadurch fehlten gesellschaftliche Zwänge. Ich durfte tun, was ich tun wollte.

SZ: Wie bringen Sie Job und Privatleben in Einklang?

Hummler: Prinzipiell sollte das Wochenende frei sein, die Familie darf keine Residualgröße des Terminkalenders werden. Meist schaffe ich das auch, und an solchen Tagen bin ich bezüglich geschäftlicher Belange auch unendlich faul.

SZ: Viele fordern eine neue Moral.

Hummler: Die Leute sollten sich bewusst sein, dass sie für das, was sie tun oder nicht tun, wirklich verantwortlich sind. Erklärungen, man habe nur das getan, was andere getan haben, akzeptiere ich nicht. Ich entscheide selbst, und ich bin haftbar. Mich auf andere Meinungen abzustützen, das brauche ich nicht.

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