Reden wir über Geld: Franziska Reichenbacher:"Studiert, um Zahlen anzusagen?"

Lottofee Franziska Reichenbacher über die Kunst, das immer Gleiche immer wieder neu zu erfinden, über öffentlich-rechtliche Zustände und ihre unglücklichen Jahre als Model.

Melanie Ahlemeier und Harald Freiberger

Franziska Reichenbacher bestellt sich am Anfang eine heiße Schokolade "mit Sahne bitte", später einen Himbeerkuchen "mit Sahne bitte" und löffelt alles weg. Dabei hat die fast 43-Jährige, die seit zwölf Jahren die Lottozahlen moderiert, etwas Feenhaft-Leichtes. "Ich musste noch nie auf mein Gewicht achten", sagt sie, auch Sport mache sie eher wenig. Ein Gespräch über Schweres und Leichtes und darüber, warum das vermeintlich Leichte sehr schwer sein kann und umgekehrt. Die Lottokugeln etwa: Im Fernsehen sehen sie relativ groß und schwer aus. Aber es sind nur lackierte Tischtennisbälle mit Zahlen darauf, verrät die Lottofee.

35 Millionen Euro im Lotto-Jackpot

"Lottofee" Franziska Reichenbacher bei der Ziehung der Zahlen.

(Foto: dpa)

SZ: Frau Reichenbacher, reden wir über Geld. Sie haben in den zwölf Jahren als Lottofee 955 Menschen zu Millionären gemacht. Sind Sie selbst auch Millionärin?

Reichenbacher: Nein, nein, ich bin weit davon entfernt.

SZ: Aber Sie wären es gerne.

Reichenbacher: Na klar würde ich wahnsinnig gerne mal gewinnen, und ich hätte keine Sorge, dass ich mit ein paar Millionen plötzlich durchdrehen würde. So nach dem Motto: Ferrari in der Garage, aber nicht mehr volltanken können.

SZ: Was war Ihr höchster Gewinn?

Reichenbacher: Ich hatte einmal vier Richtige, das waren um die 35 Euro. Damit bin ich gleich hemmungslos shoppen gegangen. Lotto steht natürlich für den Traum, höher zu gewinnen, nicht ein paar hundert Euro, sondern ein paar Millionen oder wenigstens eine. So funktioniert das Spiel.

SZ: Ist die Phantasie das Wichtigste am Spiel? Man sagt ja auch: Es gibt nichts Schlimmeres als einen Traum, der in Erfüllung geht.

Reichenbacher: Ja, diese sechs Kreuzchen erlauben uns, für eine Weile zu träumen, dass etwas, was sonst finanziell unmöglich wäre, möglich wird. Und eine kleine Chance von 1 zu 13,9 Millionen besteht ja auch, immerhin. Natürlich tauchen ab und zu Geschichten auf, bei denen dieser erfüllte Traum ins Unglück führte. Zwei haben vor einiger Zeit sogar ein Buch darüber geschrieben: "Mit dem Geld kamen die Tränen." Aber soweit ich es beurteilen kann, sind die allermeisten Lottomillionäre ganz solide, normale Leute, die ihr Haus abbezahlen, vorsorgen, etwas zurücklegen für die Kinder.

SZ: Würden Sie Ihren Job kündigen, wenn Sie eine Million gewinnen?

Reichenbacher: Nein, ich würde erstmal weiterarbeiten. Eine Arbeit zu haben, die auch noch Spaß macht, das macht auch glücklich.

SZ: Was macht am Lotto-Job glücklich?

Reichenbacher: Lotto-Job nennen Sie es, ich sage lieber Fernsehmoderation, ist ja mein eigentlicher Beruf. Es ist eine Herausforderung, so etwas Kontinuierliches zu moderieren. Die Sendung ist eine Gratwanderung, es muss alles super korrekt sein, trotzdem darf es nicht steif und streng rüberkommen. Und man darf nie in Routine verfallen. Es ist quasi die hohe Kunst, das immer Gleiche immer wieder neu zu erfinden.

SZ: Was ist denn bitteschön das Neue? Sie sagen immer so einen Text dazwischen . . .

Reichenbacher: Ja gut, es gibt schon ein paar Standardsätze, denn die Sendung hat ihren festen Ablauf, beinahe wie ein Ritual. Aber innerhalb des Gerüsts versuche ich, mit der Moderation immer auf aktuelle Dinge Bezug zu nehmen, denn wir sind live, und keine Sendung soll wie die andere sein.

SZ: Eigentlich müssen Sie die Menschen ja hauptsächlich trösten, weil sie nicht gewonnen haben.

Reichenbacher: Das stimmt, das mache ich auch, meist am Ende der Sendung. Sie hat es deswegen in sich, weil man in der Kürze der Zeit die Zuschauer in sehr unterschiedlichen Gefühlslagen anspricht, eine emotionale Achterbahnfahrt. Am Anfang ein paar Millionen Zuschauer, die alle vom großen Gewinn träumen. Dann entscheidet sich relativ schnell für die meisten, dass es wieder nicht geklappt hat. Es gibt eine Stelle in der Sendung, da spüre ich immer: Auweia, jetzt moderiere ich nur noch für ein paar wenige, das ist vor der Ziehung der Superzahl.

SZ: Ein Satz ist immer gleich: "Der Aufsichtsbeamte hat sich vom ordnungsgemäßen Zustand . . ."

Reichenbacher: Dieser Satz war 1986 sogar abgeschafft worden. Als ich anfing, habe ich gefragt, ob ich ihn wieder ab und zu sagen kann. Weil er einfach gut ist. Er hat fast Kultstatus.

"Ich kann nicht mehr einfach so die Branche wechseln"

SZ: Er ist total bürokratisch.

Reichenbacher: Er ist wunderschön, weil er im Kern das transportiert, was den Leuten das Wichtigste an dieser Sendung ist: dass es nämlich ordnungsgemäß abläuft. Die Beliebtheit der Sendung liegt in ihrer Korrektheit und Vertrauenswürdigkeit. Beim Thema Geld verstehen die Menschen keinen Spaß. Wir sind keine Showveranstaltung. Vertrauensverlust wäre das Ende für diese Sendung.

SZ: Steht der Satz auch auf dem Teleprompter, von dem Sie ablesen?

Reichenbacher: Er steht tatsächlich drauf, aber ich kann ihn auch auswendig. Auf privaten Partys bringe ich ihn manchmal als Gag: "Das Geburtstagskind hat sich vor dem Anschneiden vom ordnungsgemäßen Zustand der Torte überzeugt."

SZ: Als Sie vor zwölf Jahren mit Lotto anfingen, wussten Sie da, was auf Sie zukommt? Ihre Vorgängerin Karin Tietze-Ludwig war über 30 Jahre Lottofee. Irgendwann ist das eine sehr feste Rolle.

Reichenbacher: Manche haben auch gesagt: "Und dafür hast du jetzt studiert? Um ein paar Zahlen anzusagen?" Ich habe das immer verteidigt. Natürlich geht es vor allem um die Zahlen, aber dazu ist es eine spezielle, ganz vielschichtige Sendung. Ich bin froh, dass ich Journalistin gelernt habe, es ist ein toller Beruf, bei dem es auch um den behutsamen Umgang mit der Sprache geht. Das ist bei dieser Sendung sehr wichtig, denn beim Thema Geld sind die Menschen verständlicherweise empfindlich, da liegt jedes Wort auf der Goldwaage.

SZ: Würden Sie gerne mal aus der Rolle ausbrechen?

Reichenbacher: Die Wahrheit ist: Ich verdiene damit mein Geld. Und wie in jedem anderen Beruf auch, kann man mit Anfang 40 nicht mehr einfach schnell die Branche wechseln, bestimmte Dinge kann ich natürlich nicht mehr machen. Und wenn ich zu arg aus der Rolle ausbrechen würde, na, ich weiß nicht, was der Fernsehdirektor dazu sagen würde. Aber das ist ja immer so, darüber darf man sich nicht beschweren. Und ich habe neben der Arbeit ein sehr abwechslungsreiches Leben als Mutter, als Managerin meines kleinen Familienunternehmens und mit einem Mann, der Künstler ist, freischaffender Maler.

SZ: Sind Sie die Solide, die regelmäßig Geld nach Hause bringt?

Reichenbacher: Ja, ich bin die "Regelmäßig-Verdienerin", aber wir teilen in der Familie alles. Das Konto und die Familienarbeit. Für einen Künstler ist es manchmal schwierig, vor allem wenn er noch keinen großen Namen am Kunstmarkt hat, es gibt Höhen und Tiefen.

"Ich bin in unserer Ehe die Regelmäßig-Verdienerin"

SZ: Wie viel verdient eine Lottofee?

Reichenbacher: Das weiß ich immer erst, wenn ich meine Steuererklärung sehe. Ich mache ja viele verschiedene Sachen, moderiere Veranstaltungen, andere Sendungen für den Hessischen Rundfunk (HR). Nur für die Moderation der Ziehung der Lottozahlen habe ich ein arbeitnehmerähnliches Verhältnis. Da bin ich weisungsgebunden, der HR kann mir auch bestimmte Dinge untersagen.

SZ: Hat er schon mal was untersagt?

Reichenbacher: Nicht wirklich. In meiner Anfangszeit war ich einmal Gast bei einer Veranstaltung, auf der ein Radiomoderator halbnackt als Handkäs' dekoriert auftrat. Das sorgte im Rundfunkrat für Gesprächsstoff, aber der Fernsehdirektor fand es nicht so tragisch.

SZ: Sie haben mit 20 als Model gearbeitet, waren in Paris und Mailand. Trauern Sie der Zeit nach?

Reichenbacher: Das war nach dem Abitur, das war Abenteuer. Ich wollte etwas ausprobieren und hatte die Möglichkeit dazu. Es war eine tolle Zeit, aber ich trauere dem nicht nach. Ich brauchte diese Zeit eher zur Orientierung. Ich war damals die Einzige in der Klasse, die nicht wusste, was sie machen sollte. Die anderen wurden Versicherungs- oder Bankkauffrau, studierten BWL oder Jura. Ich war der bunte Vogel, tanzte am Theater, jobbte schon als Model. Aber eigentlich war ich eher unglücklich.

SZ: Wie sah das Unglück aus?

Reichenbacher: Ich wusste einfach noch nicht, was ich machen soll. Schon meine ganze Pubertät war eine ziemliche Krise. Noch vor dem Abitur bin ich daheim ausgezogen, habe mein Geld selbst verdient, da half der Job als Model.

SZ: Für viele junge Frauen ist Model ein Traumberuf.

Reichenbacher: Das ist im Grunde ein furchtbarer Beruf. Man ist nur eine Schminkoberfläche, ein Kleiderständer. Man dient vor allem als Projektionsfläche, je weniger Identität, desto besser.

SZ: Wie lange waren Sie unglücklich?

Reichenbacher: Das ging bis Anfang 20. Ich lernte meinen heutigen Mann kennen, und er war wie ein Anker für mich. Aber ich habe diese Zeit gebraucht, es war eine Art Sinnfindung, dann begann ich zu studieren. Die Brüche und die Dinge im Leben, die nicht so funktionieren, sind wichtig für die Persönlichkeit, weil man daran wachsen kann.

SZ: Inzwischen kommt Ihr Zustand sehr ordnungsgemäß herüber: Immer freundlich, immer adrett, immer nett. Zwei Kinder, seit mehr als 20 Jahren glücklich liiert, im Charity-Bereich engagiert. Sind Sie Miss Perfect?

Reichenbacher: So sehe ich mich eigentlich gar nicht, es gab und gibt in meinem Leben genug Unperfektes. Wenn Sie im Moment mein Büro zu Hause sehen würden - ziemlich chaotisch, schrecklich. Privat bin ich eher leger, bei der Arbeit neige ich schon ein wenig zum Perfektionismus, muss ich zugeben. Da bin ich sehr genau, ganz ordnungsgemäß. So eine Sendung mit Aufsichtsbeamten färbt wohl auch ein wenig ab.

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