Reden wir über Geld (4): Franz-Hermann Brüner:"Völkerwanderung der Abzocker"

Europas Anti-Betrugschef Franz-Hermann Brüner über korrupte Politiker - und die rücksichtslose Natur des Menschen.

Alexander Hagelüken

Ein großes Eckbüro im Europaviertel von Brüssel. Franz-Hermann Brüner gibt vor, dass er nicht leidet, obwohl er seine Pfeife nicht mehr anzünden darf. Rauchverbot. Während er ausholt, um die Eigenarten von Betrügern auf dem ganzen Erdball zu erklären, greift er statt zum Tabak zu Keksen. "Stellen Sie die Kekse weg!", sagt er zu seinem Pressesprecher. Dann fasst er aber doch ständig in die Schale.

Reden wir über Geld (4): Franz-Hermann Brüner: Relativ viele Betrüger werden erwischt, sagt Franz-Hermann Brüner.

Relativ viele Betrüger werden erwischt, sagt Franz-Hermann Brüner.

(Foto: Foto: ddp)

SZ: Sie haben in den vergangenen 30 Jahren hunderte Verbrecher auf der ganzen Welt gejagt. Korrupte Politiker, Zigarettenschmuggler, Anlagebetrüger. Was ist Ihre Bilanz?

Brüner: Es gibt eine Völkerwanderung der Abzocker. Wenn die Strukturen eines Staates zusammenbrechen, fallen die Aasgeier über ein Land her. Als ich nach dem Fall der Mauer zur Gruppe Regierungskriminalität nach Berlin stieß, wurden den DDR-Bürgern völlig überteuerte Rostlauben aus dem Westen angedreht. Von Kriminellen, die schon in der Bundesrepublik aufgefallen waren. Eine Kollegin sagte: Wir hatten die doch im Westen alle endlich aus dem Verkehr gezogen. Jetzt tauchen die hier wieder auf.

SZ: Irgendwann hatten die Strafverfolger das im Griff, oder?

Brüner: Schon. Aber Jahre später kamen die selben Typen mit ihren kaputten Autos nach Bosnien.

SZ: Dort leiteten Sie die Betrugsbekämpfung bei der internationalen Verwaltung. Was war ihr schwierigster Fall?

Brüner: Es ging gegen den Premierminister einer Provinz und sein halbes Kabinett. Der Premier hatte vier Millionen Euro Staatsgeld als Kredit an seine Neffen vergeben. Ohne Zinsen. Und die Neffen haben sozusagen vergessen, zurückzuzahlen.

SZ: Was hat Ihr Einsatz gebracht?

Brüner: Immerhin haben wir die eigenmächtigen Geldvergaben abgeschafft. Der Premier ist in erster Instanz verurteilt worden. Aber ich glaube, die zweite Instanz hat das Urteil nicht bestätigt.

SZ: Fühlte er sich überhaupt schuldig?

Brüner: Der hatte kein Unrechtsbewusstsein. Es gehörte einfach zur Tradition, die Familie zu versorgen. Egal wie.

SZ: Nach den Jugoslawien-Kriegen pumpte der Westen Millionensummen nach Bosnien. Wie viel davon ist versickert?

Brüner: Internationales Geld zieht Schattengewächse magisch an. Da war die schnelle Mark zu machen. Manche Baufirmen reparierten Straßen nur zum Schein. Sobald ein Lkw drüberfuhr, war die Straße wieder kaputt.

SZ: Schon flossen neue Hilfsgelder.

Brüner: Es traf auch die Bosnier selbst. Was ist Betrug? Das planmäßige Ausnutzen von schwacher staatlicher Kontrolle, von Notsituationen und gesellschaftlichen Umbrüchen. Geschäftemacher haben in Bosnien Fernseher verkauft, die sie nur optisch in Ordnung gebracht hatten. Sobald der Kunde die Geräte zuhause anschloss, implodierten sie.

SZ: Ist das für Sie die Natur des Menschen: Er nimmt sich etwas auf Kosten eines anderen, falls er kann?

Brüner: Das ist ein sehr negatives Bild. Aber ja: Wenn kein Risiko dabei ist, nehmen es sich die Leute.

SZ: Aus Gier?

"Völkerwanderung der Abzocker"

Brüner: Unser ganzes Leben ist doch getrieben von der Frage, ob man mehr haben kann. Mehr Gehalt, ein größeres Auto, ein größeres Haus. Das hört nie auf.

SZ: Davon ist die Gesellschaft erfüllt?

Brüner: Und das nützen Betrüger aus. Schauen Sie sich viele Angebote zur Geldanlage an. Die vermitteln einem das Gefühl, man muss nur das Telefon in die Hand nehmen und ist morgen Millionär.

SZ: Sie sind 1945 geboren, im letzten Kriegsjahr. Hatten Sie eine ärmliche Kindheit?

Brüner: Nein. Seit ich mich erinnern kann, ging es uns gut. Mein Vater war Professor. Wir hatten auch Grundbesitz.

SZ: Wie hoch war Ihr erstes Gehalt?

Brüner: Das waren 200 Mark, als Lehrling bei der Pharmafirma Merck in Darmstadt.

SZ: Sie haben eine Lehre absolviert?

Brüner: Ich habe mit 19 das Gymnasium verlassen, kurz vor dem Abitur. Mir war anderes wichtiger. Sport, Kultur, Politik interessierte mich mehr als irgendwelche Mathe-Formeln.

SZ: Ihr Vater, der Professor, sprang im Dreieck.

Brüner: Mehr als das. Ich sagte, ich würde erstmal reisen. Er sagte: Du reist jetzt zur Bundeswehr!

SZ: Und?

Brüner: Naja, ich ging zur Bundeswehr. Meine Protestphase endete nach einer Weile. Ich holte auf dem Abendgymnasium das Abitur nach.

SZ: Wirkt aus ihrer damaligen Perspektive von 1964 mit 200 Mark Lehrlingslohn Deutschland heute sehr reich?

Brüner: Ich habe das Gefühl, es geht den Deutschen relativ gut. Aber sie klagen ständig. Wenn ich am Freitag Abend von Brüssel nach München fliege und die S-Bahn vom Flughafen nehme, höre ich viel Jammern. Dabei drängen sich jede Menge Leute am Flughafen, um wegzufliegen. So schlecht kann es denen kaum gehen. Die Belgier verdienen weniger und lamentieren trotzdem nicht so viel. Cafes und Restaurants sind voll und die Leute freuen sich des Lebens.

SZ: Brüssel gilt ja auch als Hochburg der Überbezahlten, wegen der Eurokraten. Sie bekommen ein Grundgehalt von 15.000 Euro im Monat, plus Zulagen. Verstehen Sie, wenn die Leute sagen, EU-Beamte verdienen zu viel?

Brüner: Diese Missgunst ist etwas sehr Deutsches. Ich habe oft den Job und den Wohnort gewechselt, von München über Berlin, Dresden, München und Sarajewo nach Brüssel und dabei Qualifikationen erworben.

SZ: Wofür geben Sie zu viel Geld aus?

Brüner: Für meine Tochter. Ich kann ihr keinen Wunsch abschlagen. Vielleicht scheint da mein schlechtes Gewissen wegen der vielen Umzüge durch.

SZ: Hat sie auch ein Reitpferd?

Brüner: Nein, das nicht. Aber sie hat ein schönes Auto. Eigentlich eineinhalb Autos. Nein, schreiben Sie das nicht so.

SZ: Hat mal jemand versucht, Sie zu bestechen?

Brüner: Nein.

SZ: Wenn Sie Verdächtige vernehmen, sehen Sie denen etwas an?

Brüner: Einem guten Betrüger sehe ich gar nichts an. Der hat gelernt, zu schauspielern.

SZ: Sind Sie jemals einem Kriminellen begegnet, der Sie fasziniert hat?

"Völkerwanderung der Abzocker"

Brüner: So weit geht es bei mir nicht. Aber ich muss sagen, es gibt unheimlich intelligente Betrüger. Es erstaunt mich, mit welcher Planung und welchem Aufwand Kriminelle inzwischen vorgehen. Da werden Firmen gegründet, die volle sechs Monate ernsthafte Warengeschäfte miteinander abwickeln. Alles schön durch die Bücher, um Vertrauen zu erwecken. Sobald die Fassade errichtet ist, wird ein Mehrwertsteuer-Betrug mit Millionengewinn aufgezogen. Ein halbes Jahr Vorbereitung!

SZ: Eine tolle Show.

Brüner: Zu jedem großen Betrug gehört eine ganz tolle Show. Wir hatten vor kurzem einen Fall von Zigarettenschmuggel aus China. Sechs Schiffe mit jeweils 1000 Containern, von denen ganz geschickt nur ein paar mit illegaler Ware gefüllt waren. Jeder einzelne Container Schmuggel-Zigaretten führt zu einem Steuerausfall von zwei Millionen Euro.

SZ: Das entspricht je 1000 Kindergartenplätzen.

Brüner: Die Schmuggler haben Wind von unserer Überwachung bekommen und die Schiffe in unterschiedliche Häfen gelenkt. Sie haben die Schiffe mehrere Wochen lang hin- und herfahren lassen und ständig die Routen geändert, um uns zu täuschen und zu zermürben. Als Grund gaben sie zum Beispiel an, dass sie schlechtes Wetter auf der vorgesehenen Route erwarteten. Das war generalstabsmäßig organisiert. Unglaublich, welche Logistik und welcher Kapitaleinsatz dahintersteht. Das hat eine ganz andere Dimension als früher.

SZ: Sind die Ermittler dieser Globalisierung des Betrugs gewachsen?

Brüner: Gottseidank haben die meisten Betrüger eine Schwäche: Wenn ein System funktioniert, wiederholen sie es gerne. Sie denken, es hat einmal geklappt, wir machen es nochmal. Sie treiben das Spiel so lange, bis es zur Masche wird, die ein Betrugsbekämpfer erkennt.

SZ: Die Kriminellen werden Opfer ihres eigenen Erfolgs?

Brüner: Betrüger sind wie Spieler. Die machen mit einem Betrug - einem Spiel - 100.000 Euro. In den seltensten Fällen legen sie das Geld an. Stattdessen drehen sie das selbe Rad nochmal, weil sie 200.000 Euro haben wollen. Und so weiter. Ich nenne das nervöses Geld.

SZ: Diese Vorstellung vom Betrüger, der seine Beute in der Karibik verzehrt, hat wenig mit der Realität zu tun?

Brüner: So mit Villa am Strand und Yacht? Die wenigsten nehmen sich die Zeit, zu genießen, was sie zusammengerafft haben. Sie sind getrieben. Sie können das Mausern nicht lassen.

SZ: Lohnt sich Betrug?

Brüner: Naja, es werden relativ viele erwischt.

SZ: Sind Opfer oft selbst Schuld, dass sie betrogen werden?

Brüner: Die Opfer haben mir oft Leid getan wegen ihrer Naivität, gerade bei Geldanlage-Fällen. Aber viele sind auch einfach gierig, wollen unbedingt schnell Geld machen. Die laden sozusagen zum Betrug ein. Es gibt keine Veranlagung zum Betrug, nur die Gelegenheit dazu. Da kann man sich schon mal die Frage stellen, wer ist hier eigentlich der Betrüger und wer der Betrogene?

SZ: Welcher Fall hat Sie in den vergangenen Jahren am meisten überrascht?

Brüner: Mich überrascht nichts mehr.

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