Reden wir über Geld (13): Edgar Most:"Gelernt, mit dem Kapital zu tanzen"

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DDR-Notenbanker Edgar Most über Schwarzarbeit im Osten, Geldsäcke in einem alten russischen Moskwitsch und arbeitslose Freunde.

Interview: Steffen Uhlmann

Edgar Most, 67, hat mehr als 50 Jahre beruflich mit Geld zu tun gehabt: In der DDR war der gebürtige Thüringer mit 24 Jahren der jüngste Bankdirektor, an ihrem Ende war er Vizepräsident der Staatsbank. Nach der Wiedervereinigung stieg er zum Chef der Deutschen Bank in Berlin und damit zum höchsten Deutschbanker aus dem Osten auf. Most redet gern, viel und ungeschminkt über die deutsch-deutschen Zustände. Der Banker im Ruhestand sieht sich seinem Namen gemäß als aktiver Brückenbauer zwischen Ost und West. Most bedeute im Russischen Brücke, sagt er.

SZ: Herr Most, reden wir über Geld: Was haben Sie verdient, als Sie 1954 in Bad Salzungen mit der Banklehre anfingen?

Most: Damals war ich gerade 14 Jahre alt und bekam 45 Mark der DDR im Monat. Meine Schulfreunde fuhren wie die meisten der jungen Leute aus unserer Gegend zur Lehre in den Kalischacht und bekamen 90 und im zweiten Lehrjahr sogar 120 Mark. Als Banker warste im Osten eine kleine Nummer.

SZ: Auch als Staatsbanker?

Most: Nicht, was die Verantwortung betrifft, beim Gehalt dagegen waren wir bis zum Ende der DDR eher Durchschnitt. Jeder Handwerker hatte mehr, jedenfalls indirekt. Viele ruhten sich während ihrer acht Stunden Arbeit aus und arbeiteten nach Feierabend schwarz. Und so haben das mit der Zeit in der DDR immer mehr gemacht, Feierabendarbeit wurde ja im Osten nicht bestraft.

SZ: Jetzt schon.

Most: Du kriegst die Schwarzarbeit im Osten dennoch nicht weg, die Leute sind einfach trainiert darin. Ein Unrechtsbewusstsein haben sie dabei eher nicht, schließlich sind viele von ihnen nach der Wende ohne eigene Schuld arbeitslos geworden.

SZ: Zu DDR-Zeiten waren die Leute darauf trainiert, sich Westgeld zu verschaffen. Was war daran so schlimm?

Most: Schlimm daran war, dass mit dieser Zweitwährung eine Zweiklassengesellschaft geschaffen wurde, die die DDR immer mehr spaltete und in der Bevölkerung Unmut erzeugte, weil man sich mit dem sauer verdienten Ost-Geld vieles nicht leisten konnte, oft nicht mal den Handwerker. Das hat ihren Leistungswillen verschlissen. Selbst die Kriminellen haben sich bei uns lieber in einem Laden bedient als eine Bank ausgeräumt.

SZ: Wie wichtig war Ihnen Geld?

Most: Ich bin Thüringer und sparsam erzogen worden. Geld spielte immer eine wichtige Rolle bei uns. Meine Mutter hatte drei Tassen im Schrank. In der einen war das Geld für den täglichen Verbrauch, in der zweiten das für die Anschaffungen, und in der dritten hatte sie ihre eiserne Reserve. Genauso habe ich es immer gehalten, nur haben meine Frau und ich die Tassen bald mit Konten vertauscht.

SZ: Die Mauer fiel am 9. November, wann haben Sie Ihre 100 Westmark Begrüßungsgeld abgeholt.

Most: Das war erst Ende November in Westberlin. Ich hatte anderes zu tun, alles war im Umbruch, wir hatten doch damals revolutionäre Zeiten.

SZ: Die Revolution auf den Straßen machte vor den Bankschaltern nicht halt?

Most: Sie haben ja keine Ahnung, was zu jener Zeit bei uns in der Staatsbank los war und wie sich mein Leben quasi über Nacht veränderte.

SZ: Erzählen Sie.

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Most: Wenige Wochen vor dem 9. November hatte mich Günter Mittag (zu jener Zeit noch allmächtiger Wirtschaftslenker im SED-Politbüro, die Red.) in das Zentralkomitee einbestellt. Nach Mittags Plänen sollte ich hauptamtlicher Parteifunktionär und so etwas wie sein persönlicher Aufseher für die Finanzen des Staates werden. Ich habe das abgelehnt und bin daraufhin von ihm aus der Staatsbank rausgeschmissen worden, bei der ich seit meiner Lehre gearbeitet hatte.

SZ: Und dann?

Most: Ich dachte, das ist mein berufliches Ende. Ich hatte über 200 Blutdruck und bin zur Kur gefahren. Dann fiel die Mauer, und ich bin sofort zurück in die Bank. Niemand wusste doch zu jener Zeit, dass ich eigentlich geschasst worden war. Das zählte eh nicht mehr, Mittag war ja inzwischen selbst aller Ämter enthoben worden. Dann kam der Sonderparteitag der SED, zu dem ich nach der ersten geheimen Wahl in der Staatsbank als Delegierter geschickt wurde. Ich habe dort für eine Auflösung der Partei gestimmt. Man hat aber lieber unter neuem Namen und mit Gregor Gysi als Parteivorsitzenden weitergemacht. Ich aber bin ausgetreten.

SZ: Das hat Ihre weitere Karriere eher befördert als behindert, oder?

Most: Kann sein, ist im Nachhinein aber egal. Wir hatten damals ganz andere Probleme.

SZ: Welche?

Most: Das eh schon marode Finanzsystem der DDR drohte wie die Mauer in sich zusammenzufallen. In der Staatsbank selbst herrschte Endzeitstimmung bei den knapp 13.000 Beschäftigten, für die ich plötzlich verantwortlich war, schließlich hatte man mich gerade zum Vizepräsidenten gemacht. In der Bevölkerung wiederum wuchs nach der Euphorie über den Mauerfall neue Wut. Die Reisefreiheit hatten die Leute jetzt, nun wollten sie auch Westgeld sehen.

SZ: Woher nehmen?

Most: Das war nicht nur ein gesamtökonomisches, sondern für uns auch ein ganz praktisches Problem. Unsere Tresore in den Staatsbankfilialen waren so gut wie leer. Wir konnten die Bürger zunächst nicht mal den symbolischen Mindestbetrag in Höhe von 15 Westmark bei uns eintauschen lassen, die ihnen die neue Regierung versprochen hatte. Das waren wilde Zeiten nach der Wende, ich habe sie in Bad Salzungen hautnah miterlebt.

SZ: Was war da los?

Most: Auf dem Marktplatz standen vielleicht 1000 Leute und wollten D-Mark bei uns tauschen, nur hatten wir eben kein Westgeld vorrätig. Da habe ich in meiner Not bei der Sparkasse in Bad Hersfeld angerufen und den Direktor gefragt, ob er mir gegen einen Schuldschein der Staatsbank mit Westgeld aushelfen könne. Wie viel, hat er gefragt, brauchen Sie denn? Ich: mindestens drei Säcke voll, aber mit kleingestückelten Noten.

SZ: Wie ging die Sache aus?

Most: Er hat uns geholfen. Ich habe daraufhin zwei junge Frauen aus der Filiale in einem alten Moskwitsch (Auto russischer Bauart, die Red.) hingeschickt, um die Säcke abzuholen.

SZ: Warum zwei junge Frauen?

Most: Die waren erst kurze Zeit verheiratet und hatten schon Kinder. Da war ich mir sicher, die kommen mit den Säcken zurück. Ich konnte doch damals keine Polizei mit über die Grenze in den Westen schicken. Als sie abends wieder zurück in der Bank waren, haben wir noch in der Nacht das Geld ausgezahlt. Und damit war der Marktplatz wieder leer.

Lesen Sie weiter, wie Most versuchte, Helmut Kohl die Währungsunion auszureden.

SZ: Die Menschen sind freilich bald wiedergekommen und haben allerorts skandiert: "Kommt die D-Mark nicht zu mir, dann gehe ich zu ihr!" Hat der Geldmann Most gewusst, was mit dem Einzug der Westmark auf die Leute zukommen würde?

Most: Alle Konsequenzen waren mir nicht klar. Aber ich habe schon die Gefahren gesehen, die mit dem Einzug der D-Mark, oder sagen wir gleich des Kapitals, auf uns zukommen würden. Darum habe ich auch unsere bis dato geheime Staatsbank-Bilanz im April 1990 mit zu Helmut Kohl genommen.

SZ: Was stand da drin?

Most: Die Höhe unserer Schulden, die realen Werte der DDR-Wirtschaft, das vom Staat festgelegte Preis- und Wertgefüge. Mir war klar: Kommt die Währungsunion so schnell wie geplant und zu den vorgesehenen Umtauschsätzen, dann ist die Masse der Betriebe pleite, mit allen Folgen für die Arbeitsplätze. Herr Kohl, habe ich den Kanzler gewarnt, Sie haben einen Wechsel unterschrieben, ohne die Summe zu kennen.

SZ: Und Kohl darauf?

Most: Ich bin Politiker und muss politisch entscheiden, hat er mir geantwortet. Ihr Wirtschaftler werdet die Probleme schon lösen. So hat Mittag auch immer geredet, wenn die Partei fernab der ökonomischen Realitäten ihre Beschlüsse gefasst hat: Lasst euch mal was einfallen.

SZ: Erst Staats-, dann Deutschbanker - sind Sie damit nicht zum "Steigbügelhalter des Kapitals" geworden, wie Karl Marx gesagt hätte?

Most: Ich habe diesen Begriff aus den Parteischulungen auch noch drauf. Aber mein Bild über die Deutsche Bank, über Abs und Co., die für uns Inbegriff des inhumanen und zügellosen Kapitals waren, ist in der Nachwendezeit völlig zerrissen worden. Ich habe unter Kopper, Breuer und Ackermann gearbeitet - die Leute haben mich ernst genommen und immer ehrenhaft behandelt.

SZ: Keine Frage, das gehört zum Stil eines Bankers. Aber waren Sie, nüchtern betrachtet, für die Chefs der Deutschen Bank wirklich mehr als nur der "nützliche Idiot", der dem Institut den Weg in das Geschäftsfeld Ost geebnet hat?

Most: Keine Frage, ich war für sie ein Pfadfinder in den Osten. Aber die Leute waren auch willig, von mir zu lernen. Auf meine Initiative hin hat sich die Deutsche Bank dort neue Strukturen und Geschäftsfelder geschaffen, die es bislang bei ihr so nicht gab.

SZ: Zum Beispiel?

Most: Der gesamte Bereich Landwirtschafts- und Kommunalfinanzierung wurde neu geschaffen. Andere Privatbanken haben sich aus dem Osten teilweise wieder zurückgezogen, als die Unternehmen mehr und mehr ausfielen. Wir sind geblieben und haben Arbeitsplätze erhalten.

SZ: Auch Ihren?

Most: Auch meinen, Gott sei dank. Mein Herz schlägt für den Osten. Ich konnte für meine Leute dort nur etwas tun, weil ich die Deutsche Bank und deren Kapital im Rücken hatte. Ich habe Gysi mal gesagt: Mit dem Kapital, das du verfluchst, habe ich in Ostdeutschland Arbeitsplätze erhalten. Wenn du es verfluchst und keine andere Lösung hast, dann geht dort noch mehr Beschäftigung verloren. Du musst das Kapital einbinden. Als Ossi und Banker habe ich gelernt, mit dem Kapital zu tanzen.

SZ: Erst mit dem Teufel, jetzt mit dem Kapital?

Most: Meinetwegen, ich kann die Welt nicht verändern, im Detail aber ein bisschen besser machen. Bis heute sehe ich in erster Linie die gesellschaftliche Aufgabe des Geldes, erst danach kommt für mich das Interesse der Bank, Geld zu verdienen. Das Verdienen kommt eh von selbst.

SZ: Das heißt?

Most: Man darf nicht erst die Hand aufhalten, sondern muss zunächst etwas leisten. Ich weiß, dass gegen mein Prinzip in der Finanzwelt ständig verstoßen wird. Das Kapital wird mehr und mehr Selbstzweck und ist nicht mehr Mittel zum Zweck. Die gesamte soziale Symmetrie gerät damit aus den Fugen.

SZ: Das Kapital schert sich nicht darum, Geld ist schon von der Sache her sozial unempfindlich.

Most: Das treibt mich um. Es kann nicht sein, dass der erreichte Reichtum in immer weniger Hände fließt und der große Rest fast nichts bekommt.

SZ: Das sagt ein ostdeutscher Gewinner, der mit der Einheit zu den Vermögenden aufgestiegen ist.

Most: Natürlich bin ich ein Gewinner der Einheit. Übrigens der Einzige in der Familie, meine beiden Brüder und meine Schwester sind nach der Wende arbeitslos geworden. Und die meisten meiner Schulfreunde auch.

SZ: Haben Sie die Freunde noch?

Most: Na klar, ich habe alle die Freunde noch. Auch die Familie hält zusammen. Ich würde trübselig werden, wenn das mit ihnen kaputtgehen würde in dieser verrückten Welt, in der sich nach der Wende für uns alles auf den Kopf gestellt hat.

© SZ vom 18.4.2008/jkf/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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