Süddeutsche Zeitung

Reden wir über Geld: Daniel Cohn-Bendit:"Ich bin wie Obelix in Zaubertrank gefallen"

Zu acht in der WG und das Geld einfach aufgeteilt: Der Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit über sein Leben ohne festes Einkommen und warum er seinen Volvo am liebsten verscherbeln würde.

A. Fichter u. A. Hagelüken

Daniel Cohn-Bendit, 65, beäugt müde das Frühstücksbüffet eines Münchner Hotels. Vor einer Käseplatte mit Essiggurken verzieht er das Gesicht. Morgens Käse? Gurken? 1968 eroberte der "rote Dany" die Herzen im Sturm, als er die französischen Studenten auf die Barrikaden führte. Über Nacht war er weltbekannt, mit 23 - und wäre wegen all der Aufmerksamkeit fast "übergeschnappt", wie er zugibt. Überhaupt redet der Fraktionschef der Grünen im EU-Parlament sehr offen über einen muffigen Joschka Fischer in der WG-Küche und anderes aus seinem Leben. Das Brötchen mit Marmelade, das er sich statt den Gurken genommen hat, schafft er in zwei Stunden Gespräch nicht mal zur Hälfte.

SZ: Daniel Cohn-Bendit, reden wir über Geld. Bis Sie knapp 50 Jahre alt waren, hatten Sie kein festes Einkommen, sondern lebten von diesem und jenem, als Filmer und ehrenamtlicher Stadtrat. Hatten Sie mal Existenzangst?

Daniel Cohn-Bendit: Nein, nie. Mir ist etwas ganz Schlimmes widerfahren: Ich verlor sehr früh meine Eltern, den Vater mit 13, die Mutter mit 17. Dadurch bekam ich etwa 800 Mark Rente, auch als Student. Irgendwie gab mir das Sicherheit für das ganze Leben.

SZ: Bekommen Sie die Rente noch?

Cohn-Bendit: Nein! Aber ich bekam sie bis 27.

SZ: Und dann ...

Cohn-Bendit: ... fing ich an zu jobben. Als Kindergärtner, in der Marx-Buchhandlung. Ich schrieb mein erstes Buch: "Der Linksradikalismus".

SZ: Puh.

Cohn-Bendit: Aus heutiger Sicht ist das unlesbar, ein historisches Relikt. Aber immerhin, ich bekam 50.000 Mark dafür. Auf irgendeine Weise war immer gerade genug Geld da zum Leben.

SZ: Sie wurden 1994 mit knapp 50 Europaabgeordneter der Grünen. Das gab einen Gehaltssprung, oder?

Cohn-Bendit: Mein Einkommen hat sich auf einen Schlag verdoppelt! Eine komische Erfahrung, aber natürlich angenehm. Die Hotels, die ich jetzt nehme, sind eine Stufe höher als früher.

SZ: Wie viel verdienen Sie denn?

Cohn-Bendit: Rund 6000 Euro netto.

SZ: Und was machen Sie damit, wenn Sie es nicht in schicke Hotels stecken?

Cohn-Bendit: Ach, das meiste gebe ich aus. Ich will gut leben und reise viel. Meine Frau und ich haben erst mit knapp 50 ein eigenes Haus gekauft, in Südfrankreich, zusammen mit einem anderen Paar. Die kenne ich noch aus einer Wohngemeinschaft aus den siebziger Jahren.

SZ: Wie lang haben Sie in WGs gelebt?

Cohn-Bendit: Fast 20 Jahre, bis 40.

SZ: War das auch eine Suche nach einer Ersatzfamilie, nachdem Ihre Eltern tot waren?

Cohn-Bendit: Wahrscheinlich hat dies eine Rolle gespielt. Ich habe es sehr genossen, dass immer jemand da war. Vor allem, weil ich nach dem Tod meiner Eltern mit 17 ganz allein gelebt hatte. Im Grund lebe ich immer noch in einer Art WG. In unserem Haus in Frankfurt gehören die anderen Wohnungen alten Bekannten, wir sitzen öfter zusammen, wissen, der andere ist da. Eine Art Senioren-Hausgemeinschaft. (lacht)

SZ: Haben Sie in den Siebzigern in den Wohngemeinschaften das Geld geteilt?

Cohn-Bendit: Eine Zeit lang waren wir in einer WG zu acht und teilten das Geld auf. Eine wunderbare Erfahrung.

SZ: Wie lange funktionierte das?

Cohn-Bendit: Zwei Jahre. Dann gab es zu viele Wechsel, so dass wir aufhörten.

SZ: War das in der Zeit, als Sie mit Joschka Fischer zusammenwohnten?

Cohn-Bendit: Mit Fischer war vorher. Der war damals manchmal in der WG-Küche genauso muffig wie später als Minister.

SZ: Gab es Streit über den Abwasch?

Cohn-Bendit: Weniger über den Abwasch als über Politik.

SZ: Das heißt, die Frauen haben abgewaschen, während Sie und Fischer über Politik stritten?

Cohn-Bendit: Nein. Die Frauen gründeten damals häufig eigene WGs. Den Abwasch mussten wir schon selber machen.

SZ: Und wie ist Ihr Verhältnis zu Fischer heute?

Cohn-Bendit: Gut! Er hat mich und meine Meinungen immer respektiert. Einmal sagte der damalige Bundeskanzler Schröder zu ihm: "Joschka, ruf den Dany an, die Grünen im EU-Parlament dürfen nicht gegen dieses Vorhaben stimmen." Joschka sagte zu ihm: "Ruf ihn selber an. Wenn ich den Dany anrufe, macht er das Gegenteil von dem, was ich sage." (lacht)

SZ: Sehen Sie sich oft?

Cohn-Bendit: Des Öfteren, aber Fischer ist ja heute als Lobbyist Großunternehmer, der hat einen ganz anderen Lebensstil als ich. Das war schon so, als er Außenminister war.

SZ: Wie meinen Sie das?

Cohn-Bendit: Der Unterschied zwischen Joschka und mir ist: Er wollte Macht, ich Einfluss. Als Minister war er wichtig, hatte Bodyguards, einen Chauffeur, ein Riesenauto. Statussymbole bedeuten ihm viel, mir nicht so viel. Ich fahre einen gebrauchten Volvo und würde ihn am liebsten verscherbeln.

SZ: Sie hätten ein Ministeramt in Berlin abgelehnt? Das glauben wir nicht.

Cohn-Bendit: Ich finde nationale Politik langweilig. Ich habe schon immer lieber in der Europa- und Kommunalpolitik gearbeitet, das ist viel spannender.

SZ: Das ist nicht der einzige Grund.

Cohn-Bendit: Stimmt, viel wichtiger ist: Als Minister ist man versklavt, das ist nichts für mich. Das ist doch kein Leben! Ich bin wahrscheinlich der Politiker, der am meisten Ferien macht - drei Monate im Jahr. Das brauche ich einfach.

SZ: Nachdem Sie die französischen Grünen 2009 mit sensationeller Stimmenzahl ins EU-Parlament führten, wurden Sie schon als nächster französischer Präsident gehandelt.

Cohn-Bendit: Ich wäre kein Präsident geworden, da muss man mal alle Tassen im Schrank lassen. Das wäre für mich purer Selbstmord. Ich will normal durch die Straße gehen. Die Leute in Frankreich grüßen mich, die lieben mich. Die sagen: Gut, dass es dich gibt.

SZ: Wie eitel sind Sie?

Cohn-Bendit: Ich bin schon eitel. Ich genieße es, wenn die Leute im EU-Parlament sagen: Hey, das war die beste Rede heute.

SZ: Sie sagten mal, jeder Politiker will in die Geschichte eingehen. Sie auch?

Cohn-Bendit: Klar. Ich bin zufällig ganz früh in die Geschichte eingegangen, mit 23, als Anführer der 68er-Studentenbewegung in Frankreich. Andere müssen richtig arbeiten, um in die Geschichte einzugehen. Bei mir ist es einfach passiert. Es war keine besondere Arbeitsleistung. Joschka Fischer hatte ein viel schwierigeres Leben als ich, der musste sich richtig abstrampeln, um in die Geschichte einzugehen. Ich bin genau wie Obelix in so einen Topf mit Zaubertrank gefallen, ich habe das Glück gepachtet.

SZ: Veränderten Sie sich, als Sie mit 23 in die Geschichte eingingen?

Cohn-Bendit: Ich wurde ein anderer Mensch. Plötzlich war mein Gesicht auf der Titelseite der Medien. Die Frauen schauten mich ganz anders an. Ich verlor die Bodenhaftung, wusste nicht mehr, wer und wo ich bin, habe irgendwelche Sätze gesprudelt. Mein Glück war, dass ich aus Frankreich ausgewiesen wurde.

SZ: Sonst wären Sie übergeschnappt?

Cohn-Bendit: Definitiv. In den WGs in Deutschland habe ich eine neue Heimat gefunden. Und ich habe mich verliebt. Dadurch konnte ich besser überwinden, dass ich aus meinem Land rausflog.

SZ: Wie sahen Sie den Sozialismus?

Cohn-Bendit: Ich hab ich immer gesagt: Sozialismus heißt Austern für alle.

SZ: Ihre langjährige Antipodin im EU-Parlament, Sahra Wagenknecht, isst lieber Hummer, und das alleine. Sie will nicht, dass es in der Zeitung steht.

Cohn-Bendit: Das ist das Verkniffene an der Wagenknecht: Heimlich Hummer essen. Die wird nie gut ankommen.

SZ: Sie haben es wahrscheinlich als einziger Europäer geschafft, je zweimal die deutschen und die französischen Grünen ins EU-Parlament zu führen. Was macht Ihren Erfolg aus?

Cohn-Bendit: Hm. Ich bin anders als viele Politiker. Lockerer, direkter, freier. Auch den eigenen Leuten gegenüber kritisch.

SZ: Ihrem alten Freund Fischer warfen Sie mal "Altersstarrsinn" vor.

Cohn-Bendit: Andere Grüne haben mich dafür furchtbar kritisiert: "Das kannst Du doch zu Joschka nicht sagen." Joschka hat sich gar nicht gemeldet. Der verstand, warum ich das sagte (lacht).

SZ: Sie werden bis heute ständig mit der Zeit als roter Dany 1968 auf den Pariser Barrikaden in Verbindung gebracht. Nervt das manchmal?

Cohn-Bendit: Ich finde es faszinierend, wie sich diese Zeit bei den Menschen eingeprägt hat. Aber: Vergesst 68, das ist vorbei. 68 war die Antwort auf die Fragen von damals, die autoritäre Gesellschaft zum Beispiel.

SZ: Vergesst 68, sagt eine Ikone der Bewegung. Welche Fragen stellen Sie denn heute?

Cohn-Bendit: Na schauen Sie doch auf die Finanzkrise. Das war der Zusammenbruch einer Weltreligion, die da hieß: Der Markt kann alles, richtet alles und bringt uns Glück. Plötzlich haben alle gemerkt, dass der Markt nicht alles kann. Und dass seine Logik zum Zusammenbruch führt.

SZ: Haben Sie das kommen sehen?

Cohn-Bendit: In meinem ganzen antikapitalistischen Denken hätte ich nie geglaubt, dass es die Banken so weit treiben. Es ist nach der Krise zu schnell vergessen worden, wie verrückt die Banker gehandelt haben. Die waren große Mephistos, die nichts mehr im Griff hatten.

SZ: Sie sagen, die Religion brach zusammen, aber was haben wir jetzt?

Cohn-Bendit: Immerhin: Vor der Krise war das Wort der Stunde Deregulierung, jetzt ist es Regulierung. Das ist schon ein Unterschied. Da können die Banker sagen, was sie wollen. Sie haben ja schon bewiesen, dass sie verrückt waren.

SZ: Gibt es etwas, das Sie in Ihrem Leben gerne anders gemacht hätten?

Cohn-Bendit: Nein, nichts. Doch, Moment! Ich wäre lieber früher Vater geworden. Das ist die Lebenserfahrung, die mich am meisten geprägt hat. Zu erleben, wie sich mein Sohn Bela entwickelt, das ist phantastisch. Ich war schon 40, als er geboren wurde, habe lang gezögert. Ich fühlte mich nicht reif und dachte, das kriege ich nicht hin. Ich wollte unbedingt ein guter Vater sein.

SZ: Und, sind Sie es?

Cohn-Bendit: Meine Frau sagt immer, ich sei die geborene jüdische Mamme. Ich hab eine sehr enge Bindung zu meinem Sohn. Loslassen ist nicht so meins.

SZ: Ist Ihr Sohn Ihnen ähnlich?

Cohn-Bendit: In manchem ja, in anderem gar nicht. Er ist sehr leistungsorientiert. Stellen Sie sich vor, er will Banker werden und viel Geld verdienen.

SZ: Ach was! Und was sagen Sie dazu?

Cohn-Bendit: Was soll ich schon sagen?

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Quelle:
SZ vom 15.10.2010/sop/mel
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