Süddeutsche Zeitung

Reden wir über Geld: Christine Bortenlänger:"Ich stehe lieber am Grill"

Die Chefin der Münchner Börse, Christine Bortenlänger, über Rollenklischees, ihre Jahre als Chauffeurin bei BMW - und ihr Gefühl für Traktoren.

S. Boehringer u. A. Hagelüken

Als Christine Bortenlänger, 43, im September vor zehn Jahren Deutschlands erste Börsenchefin wurde, war gerade die Internetblase geplatzt. Aus der Traum vom ewigen Gründerboom, auch für die damals 33-jährige Mutter. Sie hatte eigentlich Ärztin oder Bäuerin werden wollen - rückwärts Traktor fahren konnte sie da schon. Stattdessen promovierte sie über Computerhandel und empfahl sich damit als oberste Börsianerin in München. Doch statt sich als Henne im Korb ihrer Männerwelt zu sonnen, tritt die ehemalige Basketballspielerin nun für die Frauenquote in Aufsichtsräten ein. Viele Herren benähmen sich nämlich wie auf einer Grillparty. Jeder will der Meister sein. Nur Kuchen backen, das sollen die Frauen.

SZ: Christine Bortenlänger, reden wir über Geld. Sie waren lange Zeit Deutschlands einzige Börsenchefin, bei Ihrem Start vor zehn Jahren war niemand auf so einem Posten so jung. Hatten Sie ein Vorbild?

Bortenlänger: Ich habe mir nie vorgenommen, Chef einer Börse oder einer Bank zu werden. Meine Vorbilder kommen aus ganz anderen Welten.

SZ: Woher denn?

Bortenlänger: Insbesondere meine Grundschullehrerin faszinierte mich. Sie hatte selbst drei Kinder, war engagiert im Job und doch offen und fröhlich. Sie schien ein glückliches Familienleben zu haben, war attraktiv, mitreißend und fordernd. Genau so wollte ich werden.

SZ: Aber es lief ganz anders: Mitten in der Ausbildung wurden Sie schwanger.

Bortenlänger: Ja, mit 21. Das hat meine Berufswahl verändert.

SZ: Was wollten Sie ursprünglich werden?

Bortenlänger: Sportärztin zum Beispiel. Aber das schied mit Kind gleich mal aus, schon wegen der Sonderdienste und Nachtschichten. Alternativ wollte ich etwas in der Landwirtschaft machen, etwa einen Hof bewirtschaften.

SZ: Woher kam denn diese Vorliebe?

Bortenlänger: Einer meiner Onkel hatte einen großen Hof. Ich habe dort viele Schulferien verbracht und es sehr genossen, barfuß und mit dreckigen Knien herumzulaufen und viele Dinge zu lernen.

SZ: Was haben Sie auf dem Hof gelernt?

Bortenlänger: Rückwärts einen Traktor mit Anhänger rangieren, zum Beispiel (lacht). Nicht, dass ich das heute an der Börse bräuchte, aber solche Erfahrungen schulen die praktische Intelligenz, was ein Studium eher selten schafft. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich nach der zehnten Klasse die Schule beendet und mich Richtung Landwirtschaft orientiert.

SZ: Es ging aber nicht nach Ihnen.

Bortenlänger: Meine Eltern haben mich davon überzeugt, Abitur zu machen und dann eine Banklehre, damit ich lerne, mit Geld umzugehen.

SZ: War es wenigstens Ihr Wunsch, Betriebswirtschaft zu studieren?

Bortenlänger: Sagen wir, es war naheliegend. Das Grundstudium ging schnell wegen meines Vorwissens aus der Lehre. Für das Hauptstudium habe ich allerdings fast vier Jahre gebraucht, weil ich meinen Fahrerjob bei BMW so liebte...

SZ: Was war daran besonders?

Bortenlänger: Wir haben Prominente wie den damaligen Daimler-Chef Jürgen Werner zu Tennisturnieren oder den Salzburger Festspielen gefahren. Wir waren schick eingekleidet, fuhren coole Autos, und ich habe viel gelernt.

SZ: Traktorfahren konnten Sie ja schon. Was lernt man als Chauffeur?

Bortenlänger: Dass Prominente nur mit Wasser kochen. Und dass sie bodenständig und unkompliziert sein können.

SZ: Nahm Ihnen das in Ihrer Anfangszeit als junge Börsenchefin die Angst vor Namen und Titeln?

Bortenlänger: Angst? Hatte ich nie. Aber die Erfahrung half mir, gesellschaftlichen Persönlichkeiten genauso auf Augenhöhe zu begegnen wie Handwerkern, die mein Haus reparieren.

SZ: Wir dachten, Ihr Studium hätte wegen Ihres Sohnes länger gedauert. Wie haben Sie das überhaupt geschafft mit ihm?

Bortenlänger: Mein Sohn wuchs anfangs in unserer Wohngemeinschaft auf, das war für ihn gut und für mich leichter, als allein zu wohnen. Für meine Freunde war klar, dass sie zum Lernen, Kochen oder Reden zu uns kamen statt auszugehen.

SZ: Lief wirklich immer alles so glatt?

Bortenlänger: Bei Kinderkrankheiten lief nix mehr glatt. Zwei Wochen vor meinem Examen bekam er Windpocken. Die Lernerei hielt sich deshalb in Grenzen. Was zur Folge hatte, das ich eher entspannt zur Prüfung ging. Die Sorge um meinen Sohn relativierte alles. Wenn ich durchgefallen wäre, wäre die Welt nicht zusammengebrochen.

SZ: In Ihrer Doktorarbeit haben Sie sich mit Automatisierung an den Börsen beschäftigt. War das Ihre Eintrittskarte für den Job?

Bortenlänger: Das Thema bewegte die Regionalbörsen damals.

SZ: Sie waren 31 Jahre alt und Unternehmensberaterin, als die Börse das Angebot machte, als stellvertretende Geschäftsführerin anzufangen. Waren Sie überrascht?

Bortenlänger: Ich hatte wohl das richtige Thema zur richtigen Zeit.

SZ: Würden Sie heute den Job einer Anfang 30-Jährigen geben?

Bortenlänger: (lacht) Entscheidend ist nicht das Alter.

SZ: Viele Personalchefs würden eine junge Mutter aussortieren.

Bortenlänger: Was falsch ist. Man kann von Kindern viel für den Job lernen: Verantwortung übernehmen, flexibel sein, eigene Wünsche zurückstellen, offen sein für ungewöhnliche Lösungen.

SZ: Das klingt fast, als würden Sie Frauen raten, lieber früher als später im Berufsleben Kinder zu bekommen.

Bortenlänger: Ja, auf jeden Fall. Ich persönlich hätte es als deutlich schwieriger empfunden, wenn ich erst mit Ende 30 ein Kind bekommen hätte. Wenn man etabliert ist und sich Abläufe eingespielt haben, ist man wesentlich unflexibler als ein junger Mensch. Außerdem ist es einfacher, im Job zu pausieren oder in Teilzeit zu arbeiten, wenn man noch nicht so viel Verantwortung in einem Unternehmen trägt. Mein Sohn war schon zehn, als ich bei der Börse startete, er hatte einen Hortplatz und ging später auf eine Ganztagsschule.

SZ: Hm, versetzen wir uns in den Alltag einer Börsenchefin: Können Sie wegen eines Kindergeburtstags Termine absagen?

Bortenlänger: Ja, natürlich! Ich finde auch, dass Mitarbeiter zur Einschulung oder mal zu einer Geburtstagsfeier gehen sollen. Das sind wichtige Ereignisse im Leben der Kinder. Es muss auch voll Berufstätigen möglich sein, sie zu erleben.

SZ: Sie sind als Frau in einem Topjob die Ausnahme. Sind Sie für eine Quote?

Bortenlänger: Ich war lange dagegen. Inzwischen bin ich für eine Frauenquote in Aufsichtsräten. Wir reden seit mehr als zehn Jahre darüber, dass mehr Frauen in Führungspositionen gehören. In dieser Zeit hat sich praktisch nichts getan. Ich habe einfach die dauernden Ausreden satt. Die Gesellschaft kann es sich nicht leisten, gut ausgebildete Frauen nicht zu befördern...

SZ: ... weil die Kerle es nicht wollen.

Bortenlänger: Ich glaube gar nicht, dass das immer eine bewusste Ablehnung der Kandidatinnen ist. Das hat mehr mit Rollenbildern zu tun. Der Herr Abteilungsleiter stellt eben wieder einen Herrn als Abteilungsleiter ein. Die Rollen sind so klar verteilt wie bei einer Grillparty.

SZ: Wie meinen Sie das?

Bortenlänger: Wenn unsere Freunde ein Fest organisieren, kommt unweigerlich die Frage: Wer steht am Grill und wer backt die Kuchen? Bei den Kuchen gucken alle die Frauen an.

SZ: Und was machen Sie?

Bortenlänger: Ich grille lieber.

SZ: Und was macht dann Ihr Mann?

Bortenlänger: Der weiß, dass ich grillen will.

SZ: Haben Sie gedacht, dass Sie zehn Jahre an der Spitze der Börse durchhalten?

Bortenlänger: Ich hatte nicht die Sorge, dass man mich gleich wieder rausschmeißen würde. Aber ich dachte auch nicht in Zeiträumen, sondern in Aufgaben.

SZ: Was haben Sie noch vor?

Bortenlänger: Zum Jahresende werden wir einen Terminmarkt für Emissionsrechte und eine Warenbörse einführen. Überleben werden nur Regionalbörsen, die Trends setzen. Aktien- und Rentenhandel reichen nicht.

SZ: Wie viele der heute sieben deutschen Börsen gibt es in zehn Jahren noch?

Bortenlänger: Weniger als sieben. Aber mehr als eine. In den neunziger Jahren hatten Experten prognostiziert, dass bis heute nur eine übrig bleibt. Ha!

SZ: Als Sie anfingen, gab es die Euphorie um die vermeinliche New Economy. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Bortenlänger: Auch ich habe damals den Traum gelebt, dass wir ein Land der Gründer werden, der innovativen Erfinder, die uns lange Zeit viel Wachstum bringen. Der Traum war richtig, aber manche Ausprägung in der Realität eine Täuschung.

SZ: Haben Sie sich damals verzockt?

Bortenlänger: Ich hatte nur ein bisschen Geld angelegt in Aktienfonds und höchstens zweitausend D-Mark verloren.

SZ: Klingt vorsichtig.

Bortenlänger: Einmal kam eine alte Dame zu mir, nachdem ich einen Vortrag gehalten hatte. Die war bestimmt weit über achtzig. Sie war völlig entsetzt, dass ich zur Vorsicht riet. Sie hatte gerade die Hälfte Ihres Vermögens in Techologiewerte angelegt. Verkehrte Welt!

SZ: Sie selbst haben da ja mehr Glück gehabt. Vieles in Ihrer Karriere war vom Zufall geleitet, sagen Sie. Glauben Sie an Schicksal?

Bortenlänger: Auf jeden Fall. So einen Weg kann man nicht planen. Man kann ihn aber mit Begeisterung und Überzeugung gehen, dann ist einem das Schicksal vielleicht auch eher gewogen, als wenn man mit sich und der Umwelt hadert.

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Quelle:
SZ vom 03.09.2010/bbr
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