Reden wir über Geld: Blumenbach:"Ich war die Petersilie auf dem Salat"

Ulrich Blumenbach übersetzte den US-Kultroman "Unendlicher Spaß" von David Foster Wallace - und verdiente damit nur drei Euro pro Stunde. Um zu überleben, bearbeitete er nachts Börsenberichte für eine Bank.

Alexander Mühlauer und Hannah Wilhelm

Basel, Schweiz. Ulrich Blumenbach ist an diesem Spätsommertag leicht erklältet. Also gießt er sich schwarzen Tee auf und schüttet Milch dazu. "Gute Mischung", sagt der 46-Jährige und blickt nach draußen. Von seinem Schreibtisch aus kann der Übersetzer den Rhein sehen.

Blumenbach Ulrich

Ulrich Blumenbach übersetzte Unendlicher Spaß (Infinite Jest) von David Foster Wallace.

(Foto: Nicole Stoll)

Drinnen, in Blumenbachs Arbeitszimmer, leht zwischen all den Bücherregalen ein Poster an der Wand. Es ist das Bild jenes Mannes, dem Blumenbach seinen bislang größten Erfolg verdankt: David Foster Wallace, der inzwischen verstorbene US-Schriftsteller, dessen Roman "Unendlicher Spaß" hat Blumenbach ins Deutsche übersetzt. Das Ganze hat ihn viel Zeit und viel Geld gekostet. Warum hat er sich das für einen Hungerlohn angetan? Fragen wir ihn am besten selbst.

SZ: Herr Blumenbach, reden wir über Geld. Sie haben sechs Jahre lang das 1547-Seiten-Buch "Unendlicher Spaß" übersetzt und dafür 52.000 Euro bekommen. Haben Sie sich schon mal ihren Stundenlohn ausgerechnet?

Ulrich Blumenbach: Nein, das will ich gar nicht wissen. Ich nehme an, es sind so fünf Euro, wahrscheinlich weniger.

SZ: Wir haben gerechnet: drei Euro.

Blumenbach: Tja.

SZ: Wie können Sie, Ihre Frau und Ihre Kinder davon leben?

Blumenbach: Meine Frau arbeitet fest an der Uni, bei den Ethnologen. So haben wir ein stabiles Haushaltseinkommen. Das Geld, das ich mit dem Literaturübersetzen verdiene, genügt nicht. Aber da bin ich nicht allein: Fast alle Übersetzer müssen noch etwas anderes machen, um sich quer subventionieren zu können.

SZ: Was tun Sie?

Blumenbach: Ich übersetze abends Börsennachrichten und Unternehmensmeldungen für eine Schweizer Bank.

SZ: Eine schreckliche Sprache!

Blumenbach: Ganz recht. Es ist eine Baukasten-Prosa. Als Übersetzer darf ich da nicht mit einem ästhetischen Anspruch rangehen. Aber irgendwann übersetzt man aus dem Stammhirn, das Großhirn muss gar nicht mehr beteiligt sein.

SZ: Mussten Sie sich einarbeiten, um die Analysten-Sprache zu verstehen?

Blumenbach: Ich brauchte Wochen, bis ich diesen Bank-Jargon draufhatte.

SZ: Und wie klingt der?

Blumenbach: Die Sprache ist fokussiert und faktenorientiert. Aber sie ist wenig benutzerfreundlich. Der Satzbau ist eine Katastrophe, ein extremer Nominalstil. Eleganter deutscher Stil zeichnet sich durch Verbalkonstruktionen aus - die gibt es im Börsenjargon nicht.

SZ: Hat Sie der Inhalt der Texte überhaupt interessiert?

Blumenbach: Herzlich wenig. Wobei, meine Frau und ich besitzen Aktien. Da wollte ich schon wissen, welche Branchen Zukunft haben und welche nicht.

SZ: Und?

Blumenbach: Ach, das hat auch nichts geholfen. Wir haben dummerweise die Aktie der Deutschen Bank gekauft und die erholt sich irgendwie nicht.

SZ: Muss Ihnen als Übersetzer ein literarisches Buch gefallen?

Blumenbach: Nein, aber wenn es mir gefällt, übersetze ich es besser. Wenn ich mit einem Buch nicht warm werde, habe ich nicht die Phantasie, die ich bräuchte.

SZ: Haben Sie je eine Übersetzung abgebrochen, weil Ihnen der Text missfiel?

Blumenbach: Das nicht. Da bin ich zu sehr geprägt von der protestantischen Arbeitsethik. Wenn ich etwas anfange, wird das Ding auch durchgezogen.

SZ: Guter alter Lutheraner.

Blumenbach: Das passt! Luther hat ja die Bibel übersetzt und einen berühmten Essay geschrieben mit dem Spruch, man müsse dem Volks aufs Maul schauen, um zu übersetzen. Heute würde man sagen: Luther ist raus, um O-Töne einzuholen.

SZ: Wie pflegen Sie Ihren Wortschatz?

Blumenbach: Ich lese kreuz und quer. Ich muss meinen Wortschatz in zwei Richtungen erweitern, also zurück zu Goethe und hin zu Helene Hegemann. Da mag so mancher Kollege die Nase rümpfen, aber man muss ganz bewusst auch diese junge Autorin lesen. Natürlich ist es keine hohe Literatur, aber ich gucke mir die Sprache an: Inwiefern kann ich mir davon eine Scheibe abschneiden? Dasselbe gilt für angelsächsische Literatur: Ich muss alles beherrschen, von Shakespeare bis Ghetto-Slang.

SZ: Bei dem Roman von David Foster Wallace mussten Sie sich in verschiedene Themen einarbeiten. Über Seiten hinweg beschreibt der Autor die Wirkungen von Medikamenten - in einer nicht gerade einfachen Medizinersprache.

Blumenbach: Ich musste mir die Strukturformeln der Wirkstoffe ansehen und gucken, wie die im Deutschen heißen. Das dauerte ziemlich lange. Mein großer Vorteil war, dass mein Vater und meine Schwester Ärzte sind. Beide haben mich beraten. Wobei mein Vater mit einem erfreulichen Realismusbegriff behaftet ist: Wallace beschreibt ja medizinische Phänomene, die gar nicht möglich sind, etwa die Frau ohne Schädel. Da hat mein Vater gesagt: Da schreibt Wallace Blödsinn, das kannst Du so nicht übersetzen, diese Frau kann nicht leben! Damit hat er natürlich Recht, aber so ist eben Wallace.

"Ich bekomme bessere Bücher, aber nicht mehr Honorar"

SZ: Was machen Sie, wenn Sie nicht gerade Ihren Vater um Rat fragen können?

Blumenbach: Als ich Krimis übersetzt habe, bin ich mal in einen Waffenladen gegangen. Waffenfetischisten sind sehr auskunftsfreudig, gerade weil sie in der Gesellschaft nicht sehr angesehen sind. Ich lernte also diesen Waffenliebhaber kennen und später baten mich andere Übersetzer um dessen Telefonnummer. Plötzlich hatte ich einen heißen Tipp für alle, die mit irgendwelchen Schusswaffen in Krimis nichts anfangen konnten.

SZ: Hatten Sie einmal Schwierigkeiten, als es um Fachwissen ging?

Blumenbach: Ich musste für ein Buch wissen, welche Farbe das Gesundheitsattest einer deutschen Prostituierten hat, der sogenannte Bockschein. Ich rief bei der Berliner Polizei an. Aber die waren skeptisch und wollten mir nicht glauben, dass ich Übersetzer bin.

SZ: Dank "Unendlicher Spaß" sind Sie auch außerhalb des Kulturbetriebs bekannt. Bekommen Sie mehr Aufträge?

Blumenbach: Im Gegenteil: Ich bekomme weniger, aber dafür höherwertige Literatur angeboten.

SZ: Und natürlich auch mehr Geld?

Blumenbach: Nein. Ich bekomme bessere Bücher, aber nicht mehr Honorar. Das Problem ist, dass die Hochliteratur ein bisschen besser bezahlt ist als Genreliteratur, aber ich brauche mehr Zeit für die Übersetzung. Das heißt: Ich bekomme am Ende viel weniger Geld raus.

SZ: Was tun Sie dagegen?

Blumenbach: Es geht soweit, dass ich mich bei einem Verlag um einen Auftrag bemühte. Ich wollte so eine richtige Sommerschmonzette, einen Liebesroman.

SZ: Und, haben Sie den bekommen?

Blumenbach: Ja. Ich habe dem Verlag gesagt, dass ich etwas übersetzen muss, mit dem ich Geld verdiene: Bitte, bitte Unterhaltungsliteratur - in der Hoffnung, dass es schnell geht.

SZ: Es traut sich keiner, Ihnen leichte Literatur zum Übersetzen anzubieten?

Blumenbach: Genau, mir eilt dieser Ruf von vielen Hochliteratur-Übersetzern voraus. Ein Kollege sagte mal, er habe sich in die Armut hoch übersetzt. Diesen Aphorismus ausführend sagte er, ihm würde keine normale Erzählliteratur mehr angeboten, die flutscht, beim Lesen und beim Übersetzen.

SZ: Ein Kompliment, das arm macht.

Blumenbach: Ganz recht. Ein Jahr lang war ich die Petersilie oben auf dem Kulturbetriebsnudelsalat. Das ist keine Koketterie: Diesen Herbst wird ja eine neue Sau durchs Dorf gejagt.

SZ: Wobei Sie Glück hatten: Mit dem Erfolg des Buches war ja nicht zu rechnen. Was haben Sie gedacht, wie viele Exemplare davon verkauft werden?

Blumenbach: Auf keinen Fall die verkauften 70.000, ich hatte mit 5000 bis 10.000 gerechnet. Für den Verlag Kiepenheuer & Witsch ist Wallace ein kulturelles Aushängeschild. Geld verdient der Verlag mit Büchern, die im Laden an der Kasse liegen. Bei ,,Unendlicher Spaß'' muss ein Kultbuch-Faktor eingesetzt haben, der aus den USA zu uns rübergeschwappt ist. Ich saß gerade mal ein halbes Jahr an der Übersetzung und wurde schon interviewt. Und so zynisch es klingen mag: Auch der Selbstmord von Wallace hat die Auflage wohl gesteigert.

SZ: Warum haben Sie diesen Klopper überhaupt angenommen? Sie konnten doch nicht ahnen, dass es sich so gut verkaufen würde und schon gar nicht, dass Sie damit Geld verdienen würden.

Blumenbach: Ich wusste, ich würde wohl nie mehr ein so tolles Buch kriegen. Platt gesagt: Ich brauche Gegner, keine Opfer. Es gibt in den USA kein anderes Buch der neunziger Jahre, das so bedeutend ist wie "Unendlicher Spaß".

SZ: Wie viel haben Sie unter dem Strich mit dem Roman verdient?

Blumenbach: Der Verlag war sehr nobel und hat mir eine Erfolgsbeteiligung ab dem ersten verkauften Exemplar gegeben, 70.000 wurden bisher verkauft.

SZ: Sie sind in einer privilegierten Situation, von der die meisten ihrer Übersetzer-Kollegen nur träumen können.

Blumenbach: Das ist wahr, aber es gibt Klagen bis hin zum Bundesgerichtshof: Wir müssen deutlicher am Erfolg einer Übersetzung beteiligt werden.

SZ: Sie selbst machen noch Lesungen. Was bringt das?

Blumenbach: Schon einiges. Aber auch inklusive Preise und Tantiemen bin ich beim "Unendlichen Spaß" noch nicht in der Gewinnzone: Ich habe jetzt fünf Sechstel meiner Ausgaben während der Übersetzungszeit wieder reingeholt.

SZ: Die hohen Kosten in der Schweiz machen Ihnen das Leben nicht leichter. Wären Sie doch in Berlin geblieben.

Blumenbach: Ich bin wegen meiner Frau in die Schweiz gezogen. Ich lebe sehr gerne hier und überlege, Schweizer zu werden. Das kostet aber je nach Kanton zwischen 500 und 3000 Franken.

SZ: Welche Vorteile hätten Sie?

Blumenbach: Nicht viel, aber ich möchte gerne dort wählen, wo ich lebe.

SZ: Auch wenn's 3000 Franken kostet?

Blumenbach: Ach, dann überlege ich mir das noch mal.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: