Süddeutsche Zeitung

Reden wir über Geld: Berthold Huber:"Ich wollte die Weltrevolution"

IG-Metall-Chef Berthold Huber über seine radikale Vergangenheit, Prügel vom Musiklehrer, Verlockungen aus der Privatwirtschaft - und sein Gehalt.

Alexander Hagelüken und Thomas Öchsner

Berthold Huber, 60, ist seit drei Jahren Vorsitzender der IG Metall. Einen solchen Arbeiterführer stellen sich viele Menschen laut und fordernd vor; "heißer Herbst", "Ende der Bescheidenheit" und so. Huber war schon immer anders - und hat es doch an die Spitze von Europas größter Gewerkschaft geschafft. Im Gespräch erzählt er sehr persönlich über Brüche und Umbrüche in seinem Leben. Beim Abschied sagt er: "Ich hoffe, ich wollte Sie nicht zu sehr überzeugen."

SZ: Berthold Huber, reden wir über Geld. Sie hatten sechs Geschwister. War das Geld knapp?

Huber: Mein Vater verdiente als Ingenieur gut. Aber bei sieben Kindern sind Sie immer arm. Ich trug die Kleider meiner älteren Geschwister auf und gab sie an die jüngeren weiter. Taschengeld gab es nicht. Als ich 14 war, arbeitete ich auf dem Bau, danach in einer Brauerei. Ständig klirrte es. Die Leute hielten das nur mit massivem Alkoholkonsum aus. Ich musste mit einer Hand vier Flaschen vom Band in die Kiste heben. Nach drei Tagen hab ich aufgehört.

SZ: Ihre Hände zittern.

Huber: Das hatte ich schon als Kind. Mein Vater schleifte mich durch Unikliniken, aber die fanden nichts. Meine Mutter hat eine einfache Erklärung: Als sie mit mir im siebten Monat schwanger war, starb meine dreijährige Schwester. Das war bestimmt ein Trauma.

SZ: Wie war das in der Schule, wenn einem die Hände zittern?

Huber: Manche Lehrer sagten: Du zitterst ja wie mein Opa. Dann lachten die anderen Kinder. In der siebten Klasse war ich Klassensprecher. Der Musiklehrer zwang mich, gerade Notenlinien an die Tafel zu malen, obwohl ich ihm sagte, dass ich das nicht kann. Als ich schiefe Linien malte und die ersten Kinder lachten, schlug er mir den Geigenbogen ins Gesicht. Ich drehte mich zur Klasse um, die mir nicht half, und sagte: Ihr seid richtige Arschlöcher, sucht Euch einen anderen Klassensprecher. Solche Erlebnisse haben mich stark geprägt.

SZ: Sie gelten als großer, aber moderater Reformer unter den Gewerkschaften. Waren Sie früher radikaler?

Huber: Ja, ich war in kommunistischen Gruppen.

SZ: Aber in der Uni wollten Sie den Marx nicht lernen. Warum haben Sie nach dem Abitur nicht studiert?

Huber: Aus Protest gegen meinen Vater. Der wollte, dass ich Jura studiere. Da hab ich mir was gesucht, wo ich mich selbst finanzieren konnte: Werkzeugmacher bei der Busfirma Kässbohrer in Ulm. Ich nahm von meinem Vater keine müde Mark an.

SZ: Wollten Sie die Arbeiter bei Kässbohrer klassenkämpferisch aufwiegeln, so wie Joschka Fischer bei Opel?

Huber: Ich wollte die Weltrevolution, das ist doch klar. Aber das können Sie ja in einer Fabrik nicht bewerkstelligen. Das hat sich dann schnell gegeben. Ich hab begonnen, die Lehrlinge für die IG Metall zu organisieren - und hab den Betriebsräten unterschriebene Mitgliedsanträge von den anderen Lehrlingen überreicht. Das hat die Funktionäre aber eher misstrauisch gemacht. (lacht)

SZ: Ihr Vorvorgänger Franz Steinkühler sagte mal, in einer Lohnrunde müsse man "aus Scheiße Gold machen können". Wann haben Sie das schon mal gemacht?

Huber: Da müsste ich Steinkühler fragen, ob er das ernst gemeint hat. Mein Prinzip war eher immer Wahrheit und Klarheit in den Tarifabschlüssen. Wenn ich den Leuten lange erklären muss, wie ihre Lohnerhöhung ausfällt, habe ich schon verloren.

SZ: Wie schlimm ist eine Entlassung für jemand? Es gibt ja immer wieder die Behauptung, der moderne Beschäftigte arbeite gerne als Nomade, voll flexibilisiert in unterschiedlichen Projekten für unterschiedliche Arbeitgeber.

Huber: Ich hab damals als Betriebsrat bei der Busfirma Kässbohrer einen Sozialplan für Entlassungen gemacht. Da kamen die Leute und sagten verzweifelt: "Berthold, was soll ich jetzt tun?" Sowas stecke ich nicht weg. Nie. Deshalb bin ich bei der IG Metall geblieben.

SZ: Gab es Angebote aus der Industrie?

Huber: Es gab immer wieder hoch dotierte Angebote ...

SZ: ... für?

Huber: Sag ich nicht.

SZ: Warum haben Sie es nicht gemacht?

Huber: Warum soll ich ein oder zwei Millionen verdienen? Das ist mir fremd. Bushido hat doch in einem Ihrer Geld-Interviews gesagt, Geld sei die geilste Droge. Für mich gilt das nicht.

SZ: Kommen Sie, Spitzengewerkschafter stehen doch auch auf Geld. Steinkühler, einer Ihrer Vorgänger als IG-Metall-Chef, stolperte über ein Insidergeschäft mit Daimler-Aktien.

Huber: Das war falsch. Ich frage mich allgemein: Dieser Drang nach Geld, woher kommt er? Ich entscheide in Aufsichtsräten über Vorstandsgehälter und wundere mich oft: Warum hat der unbedingt vier Millionen im Jahr nötig, der hat doch schon zwei?

SZ: Sie sitzen im Porsche-Aufsichtsrat, der eine Abfindung von 50 Millionen Euro für den damaligen Chef Wendelin Wiedeking beschloss. War das nötig?

Huber: Die Anteilseigner argumentierten damals, aus ihrer Sicht werde die Abfindung schon aus vertragsrechtlichen Gründen zwischen 144 und 200 Millionen betragen. Wir sagten: Er kriegt nichts. Am Schluss stand ein Kompromiss. Fragen Sie mich nicht, ob ich es gerecht fand.

SZ: Was verdienen Sie als IG-Metall-Chef?

Huber: 261000 Euro im Jahr. Davon bleibt etwa die Hälfte übrig.

SZ: Dazu kommt das Geld für Ihre Aufsichtsratsmandate bei Siemens oder VW.

Huber: Zum Beispiel 253000 Euro von Siemens letztes Jahr. Davon gebe ich 90 Prozent an die gewerkschaftseigene Hans-Böckler-Stiftung, wie es bei uns verbindlich festgelegt ist. Der Rest wird normal versteuert. Mein Ältester sagt: Papa, bist du verrückt? Ich erklär ihm dann, warum das sehr in Ordnung ist.

SZ: Fliegt der IG-Metall-Chef eigentlich Business Class?

Huber: Nur auf Langstrecke. Innerhalb Europas fliege ich fast immer Economy.

SZ: Anders als viele Gewerkschaftsfunktionäre ...

Huber: ... und mit der Bahn fahre ich zweiter Klasse. Wenn ich mir im Bordbistro einen Kaffee hole, sagen manchmal Leute: Sie sind doch der Huber, warum fahren Sie nicht erste Klasse? Und ich sage: Warum fahren Sie nicht?

SZ: Sie wurden jung Betriebsratschef von Kässbohrer, einer Firma mit immerhin 5000 Mitarbeitern. Mit 34 Jahren schmissen Sie plötzlich hin, um zu studieren. Warum?

Huber: Weil ich nie damit zufrieden war und bin, wie viel ich weiß.

SZ: Warum landeten Sie dann wieder bei der IG Metall?

Huber: Als ich nach dem Zusammenbruch der DDR im Osten war für meine Magisterarbeit, las ich, was die Gewerkschaft so alles plante. Ich schrieb dem damaligen Vorsitzenden Franz Steinkühler einen Brief, dass er die Dynamik unterschätze. Er bügelte mich erst ab, wie er manchmal war. Zehn Tage später rief er an und sagte: Berthold, kannst Du da im Osten was für uns machen? So kam ich wieder zur Gewerkschaft. In so eine Organisation verstricken Sie sich schnell.

SZ: Was wurde eigentlich aus Ihrem Radikalismus?

Huber: Der nahm über die Jahre ab. Ein grundlegender Wendepunkt war, als ich im Osten gesehen habe, wie wenig Selbstbewusstsein die Menschen hatten. Die selbst ernannte Arbeiterpartei hat die Arbeiter entmündigt. Damals hab ich beschlossen, mich nie mehr nur ideologisch oder opportunistisch zu verhalten.

SZ: Kaum waren Sie hauptamtlich bei der IG Metall, haben Sie sich gegen die 30-Stunden-Woche gestellt, die der Vorsitzende Klaus Zwickel forderte.

Huber: Genau. Ich hab der IG Metall immer gesagt, dass ich bin, wie ich bin.

SZ: Sie sind nicht laut. Andere Gewerkschafter schon. Erwarten die Mitglieder keine Parolen von ihnen - "Arbeitgeber sind Schweine" und so?

Huber: Ich kann schon laut sein, wenn nötig. Aber eine Gewerkschaft braucht auch ein paar intellektuelle Siege, um einen Tarifabschluss durchzusetzen. Laut reicht nicht. Es beeindruckt meine Kinder überhaupt nicht, wenn ich laut bin.

SZ: 2003 wollte IG-Metall-Chef Klaus Zwickel Sie als Nachfolger. Aber sein Stellvertreter Jürgen Peters wollte selbst. Warum sind Sie nicht gegen Peters angetreten?

Huber: Die IG Metall kann nur geschlossen agieren. Man darf sich selber nicht so wichtig nehmen. Deshalb hab ich damals mein Ego zurückgestellt.

SZ: Bei Kässbohrer haben Sie vor 30 Jahren als Werkzeugmacher aufgehört. Wie würde sich Ihr Arbeitsalltag von damals unterscheiden, wenn Sie immer noch da wären?

Huber: Zumindest wäre die Arbeit nicht mehr so lange (lacht) - aufreibend aber schon.

SZ: Ist die Arbeitswelt für die meisten Deutschen besser geworden?

Huber: Die Produktionstakte sind heute schneller, die sind brutal: Nach 70 Sekunden muss ein Auto-Arbeiter wieder denselben Handgriff ausführen. Einen Tag. Einen Monat. Zehn Jahre lang. Viele Beschäftigte sind erschöpft, haben Burn-out. Meistens geringer ist die physische Beanspruchung, es muss weniger gehoben werden, es gibt weniger Lärm und Gifte. Bei Kässbohrer kam ein Lackierer und sagte: Auf diesem Topf steht, das ist hochgefährlich. Das mussten wir dann mit der Betriebsleitung durchfechten.

SZ: Heute machen Sie die Zunahme unsicherer Jobs zum großen Thema. Ist das wirklich so schlimm?

Huber: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Meine Tochter hat einen Magister in Anglistik und BWL, Note 1,3, spricht vier Sprachen, war mehrfach im Ausland. Und sie hat jetzt eine Stelle als freie Mitarbeiterin in einem Verlag. Es gibt zu viele unsichere, befristete schlechter bezahlte Jobs. Wir haben mit den Firmen flexible Lösungen vereinbart. Jetzt überdrehen sie und lassen Arbeit zur Ramschware verkommen. Wir kämpfen darum, dass das nicht ausartet. Die Kapitalisten sind am längeren Hebel, so lange der Staat nichts macht - wie jetzt bei der Leiharbeit.

SZ: Sie haben gefordert, dass Leiharbeiter ab dem ersten Tag genauso viel Geld bekommen wie die Stammbelegschaft - aber Arbeitgeber und Bundesregierung wollen nicht.

Huber: Zeitarbeitsfirmen kündigen schon an, dass die Zahl der Leiharbeiter auf zwei Millionen steigt. Wenn das so zunimmt, verändert sich die ganze Arbeitswelt: Unternehmen fühlen sich nicht mehr für ihre Beschäftigten verantwortlich. Sie entledigen sich der Mitarbeiter. Der Mensch wird zur Ware. Um das zu verhindern, werden wir keine Ruhe geben.

SZ: Die Frage ist, ob Sie bei der Leiharbeit noch etwas durchsetzen können. Woran messen Sie eigentlich ihren Erfolg als IG-Metall-Chef?

Huber: An der Zahl der Mitglieder.

SZ: Nachdem die Mitgliederzahlen bei allen Gewerkschaften seit Jahren schrumpfen, sind Sie eher erfolglos.

Huber: Mir geht es um die Arbeitnehmer, und da gehen die Zahlen langsam nach oben. Das ist mein Maßstab. Dass uns Mitglieder verlassen, die inzwischen Rentner sind, ist bedauerlich, aber etwas anderes. Generell müssen wir Versäumnisse bei den jungen Menschen aufholen. In den neunziger Jahren haben wir zu wenig geworben. Wir dachten, wenn wir gute Tarifabschlüsse machen, werden die Beschäftigten automatisch Mitglied. Aber so einfach ist das nicht.

SZ: Heute ist es für junge Väter viel selbstverständlicher, sich um die Kinder zu kümmern. Stimmt es, dass Sie sich früher allein um Ihre damals sehr junge Tochter kümmerten? Wie fand man das im Männerclub IG Metall?

Huber: Ich handelte wie andere Alleinerziehende auch. Brachte Sie morgens zur Schule, holte sie um sechzehn Uhr. Und wenn sie schlief, dann arbeitete ich. Ich möchte daraus nichts besonderes machen. Aber es war natürlich nicht immer ganz einfach. Die IG Metall verlangte schon viel von ihren Leuten. Mein damaliger Chef war ja kein Schmusejunge, der öfter fragte: Berthold, wie geht's dir denn?

SZ: Wurden Sie dumm angeredet, wenn sie um vier Uhr gingen?

Huber: Ach wissen Sie, das ist eine Frage, was man sich gefallen lässt. Im übrigen: Ich finde die autoritäre Art falsch. Einer befiehlt, die anderen folgen, das konnte man vielleicht früher machen. Heute geht es nicht mehr, und das ist gut so.

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Quelle:
SZ vom 11.02.2011/ema/hgn
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