Fast zehn Jahre war Theo Waigel, 69, deutscher Finanzminister, so lange wie keiner vor ihm (und keiner nach ihm). Heute ist er Anwalt mit einem schönen Büro am Odeonsplatz über den Dächern Münchens. Dort umgeben ihn Erinnerungen an früher, und sofort beginnt er zu erzählen: Das Foto mit dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow, das war direkt nach dem Putsch 1991. "Gorbatschow sah schlecht aus. Ich sagte ihm, das deutsche Volk habe für sein Wohlergehen gebetet. Da fing er an zu weinen."
Der damalige Finanzminister Theo Waigel untersucht die erste deutsche Euro-Münze.
(Foto: Foto: Reuters)SZ: Herr Waigel, reden wir über Geld. Genauer gesagt: über den Euro. Sie sind ja einer seiner Väter. Sind Sie für Ihre Vaterschaft mal beschimpft worden?
Theo Waigel: Jedes Mal wenn ich ein Interview zum Euro gebe, bekomme ich Briefe mit wüsten Beschimpfungen.
SZ: Heute noch?
Waigel: Sicher.
SZ: Was steht da drin?
Waigel: Sachen wie "Der liebe Gott wird Ihnen hoffentlich die gebührende Strafe geben." Oder: "Der Teufel soll dich holen." Oder: "Sie sind der Schlächter von Deutschland."
SZ: Hm.
Waigel: Bei Veranstaltungen sage ich: Zeigt mir alle Eure Einnahmen und Ausgaben, und nicht nur den Besuch beim Italiener um die Ecke. Dann werden wir sehen, dass die Statistik recht hat: Der Euro ist kein Teuro.
SZ: Und?
Waigel: Tja. Der Bankenverband hat vor ein paar Jahren ein Experiment gemacht. Den Leuten wurde im Restaurant eine Speisekarte gegeben, auf der die Preise dieselben waren wie vor der Euro-Einführung. Trotzdem haben 80 Prozent gesagt, die Preise seien höher. Wenn jemand eine Erwartung hat, will er darin nicht getäuscht werden. Das ist ein psychologisches Problem.
SZ: Hätten die Deutschen in einer Volksabstimmung für den Euro votiert?
Waigel: Nie. Wir hätten jede Abstimmung verloren.
SZ: Sie haben ja auch nicht abstimmen lassen. Sie finden also, Politiker sollten die Leute zu ihrem Glück zwingen.
Waigel: Nein. Aber wir haben alle großen Entscheidungen nach dem Krieg im Parlament getroffen: Grundgesetz, Nato-Beitritt, Nato-Doppelbeschluss, EU-Verträge. Alle diese großen umstrittenen Lebensentscheidungen. In der Weimarer Republik hatten wir Volksabstimmungen und keine guten Erfahrungen damit.
SZ: Fühlen Sie sich als Euro-Vater zu wenig anerkannt?
Waigel: Naja (Pause), also, nein. Ich bin keinem Mark-Anhänger böse. Die Mark war das erste nationale Symbol nach dem Krieg, vor der ersten Goldmedaille und dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft .
SZ: Damals in der Nachkriegszeit sind Sie in einem kleinen Dorf in Schwaben aufgewachsen. Wie oft konnten sich die Eltern neue Schuhe für Sie leisten?
Waigel: Fast nie. Und wenn, fragte man nicht, ob die neuen Schuhe passen. Zu meiner Kommunion bekam ich Schuhe, die passten nicht. Ich hatte Blasen an den Füßen. Die Eltern sagten: Das gibt sich.
SZ: Was war Ihr schönstes Geschenk?
Waigel: 1948, da war ich neun, lag ein Fußball unterm Weihnachtsbaum. Das war eine Sensation. Der erste richtige Fußball in unserem 500-Seelen-Ort! Am liebsten hätte ich noch in der Nacht die anderen Jungs zusammengetrommelt. Ein Fußball, und das von meinem Vater, der gegen Fußball war, weil es von der Arbeit auf dem Hof abhielt.
SZ: Mussten Sie viel mitarbeiten?
Waigel: Für uns Bauernbuben war das selbstverständlich: Nach der Schule so-fort aufs Feld, abends die Hausaufgaben. Nach kurzer Zeit hatten die Hände Schwielen, sodass es wenigstens keine Blasen gab. Neulich hat eine alte Nachbarin gesagt: "Weißt du, Theo, was Schönes hast du nicht gehabt in deiner Kindheit." Mei, das war halt die Zeit.
SZ: Ihr dreizehnjähriger Sohn hat viel mehr Spielzeug als Sie je hatten. Denken Sie manchmal: Mein Gott, ist der anspruchsvoll?
Waigel: Ich versuche schon, darüber zu reden, wie es früher war. Aber ich muss sehr vorsichtig sein, dass ich nicht belehrend klinge. Nach dem Motto: Du hast es gut, sag bitte jeden Morgen Dankeschön. Ich merke schon, dass bei ihm die Schotten ein bisschen runtergehen.