Reden wir über Geld (20): Alexander Drumm:"Einer drohte mir sogar Schläge an"

Alexander Drumm spürt Versicherungsbetrüger auf - ein Gespräch über renitente Kunden, dilettantische Brandstifter und weihnachtliche Finanznöte.

Thomas Öchsner

Alexander Drumm, 38, ist ein Mann der langen Distanzen. Jeden Monat spult er mit seinem Opel Vectra bis zu 8000 Kilometer ab. Der Versicherungskaufmann schaut sich Wohnungen an, in denen eingebrochen wurde. Er wird gerufen, wenn ein Brand einen Bauernhof vernichtet hat. Und er ertappt Menschen, die die Versicherung reinlegen wollen. Seit 16 Jahren prüft Drumm, ob und wie viel die Allianz für Schäden zahlen muss, die das Unternehmen versichert hat. Drumm ist ein "Schadenregulierer", so heißt es im Fachjargon. In seinem Auto liegen Helm und Gummistiefel, die bis zur Hüfte gehen ("Die sind bei Hochwasser besser"). Jetzt sitzt er mit schwarzem Anzug und Krawatte in einem Konferenzraum der Allianz in Unterföhring bei München - und erzählt Geschichten mitten aus dem Leben.

Reden wir über Geld (20): Alexander Drumm: Alexander Drumm: "Die weit überwiegende Mehrheit unserer Kunden ist ehrlich."

Alexander Drumm: "Die weit überwiegende Mehrheit unserer Kunden ist ehrlich."

(Foto: Foto: Robert Haas)

SZ: Sind Sie eigentlich notorisch misstrauisch?

Drumm: Überhaupt nicht, warum sollte ich das sein?

SZ: Sie haben doch den ganzen Tag mit Leuten zu tun, die Sie womöglich übers Ohr hauen und der Allianz möglichst viel Geld aus der Tasche ziehen wollen.

Drumm: Da übertreiben Sie aber ziemlich. Die weit überwiegende Mehrheit unserer Kunden ist ehrlich.

SZ: Umfragen, die teilweise aus der Versicherungswirtschaft selbst stammen, besagen eher das Gegenteil. Mehr als die Hälfte der Deutschen meint: Versicherer sind gierig beim Kassieren, aber knausrig beim Auszahlen von Leistungen. Jeder Vierte gibt zu, schon einmal eine Versicherung betrogen zu haben.

Drumm: Mir scheinen diese Zahlen zu hoch gegriffen. Richtig ist, dass Versicherungsbetrug in weiten Kreisen der Bevölkerung als Kavaliersdelikt gilt. Dabei ist das ganz klar eine Straftat. Wenn Sie in einen Laden gehen und werden beim Klauen erwischt, sind Sie sicherlich nicht überrascht, dass es zu einer Strafanzeige kommt. Wenn man aber die Versicherung um ein paar hundert Euro betrügen will oder betrogen hat, soll das nicht so schlimm sein. Das ist wirklich nicht einzusehen.

SZ: Viele Menschen denken aber: Ich habe jahrelang bei der Versicherung eingezahlt, da muss ich irgendwann auch mal etwas zurückbekommen.

Drumm: Das höre ich auch immer wieder, dies ist allerdings ein Trugschluss. Wir sind keine Bank mit Sparvertrag. Die Versicherungsprämie ist auch keine Anzahlung. Wir decken über einen langen Zeitraum Risiken, das kostet Geld. Und wenn es in dieser Zeit einen Schaden gibt, erstatten wir das dem Kunden.

SZ: Nicht immer.

Drumm: Wir übernehmen das, wozu wir auf Grund des Vertrages verpflichtet sind. Betrügereien sind damit natürlich nicht abgedeckt.

SZ: Wann werden Sie eigentlich misstrauisch?

Drumm: Ich gehe zunächst einmal davon aus, dass das, was mir die Menschen sagen, der Wahrheit entspricht. Wenn es anders wäre, würde mir mein Beruf keinen Spaß machen. Doch es gibt Momente, da werde ich hellhörig. Das ist ein Gefühl meistens, dass da etwas nicht zusammenpasst.

SZ: Können Sie ein Beispiel nennen?

Drumm: Ich war beispielsweise bei einem Brandschaden in einem Hochhaus mit Ein-Zimmer-Appartements. Ein Allianz-Kunde gab an, das Feuer habe unter anderem Hummer in der Tiefkühltruhe, Pelzmäntel und teure Skianzüge vernichtet. Da frage ich mich natürlich schon, ob sich derjenige das wirklich leisten kann. Ich habe dann nach Belegen und Fotos gefragt. Aber die gab es nicht, und verkohlte Hummerscheren habe ich auch nicht gefunden. Der Mann hat dann seine Forderung ziemlich schnell zurückgezogen.

"Einer drohte mir sogar Schläge an"

SZ: Ist das nicht unangenehm, die Leute bei einer Lüge zu ertappen?

Drumm: Am Anfang war das nicht einfach. Man weiß ja, man produziert jetzt eventuell einen Konflikt, wenn man die Leute mit der eigenen Meinung konfrontiert. Konfliktscheu darf man nicht sein.

SZ: Und auch nicht zu gutgläubig?

Drumm: Wie gesagt, die allermeisten Kunden machen korrekte Angaben. Aber zu gutgläubig darf ein Schadenregulierer nicht sein. Und das war ich am Anfang vor 16 Jahren schon. Ich bin gar nicht davon ausgegangen, dass die Hose nicht - wie angegeben - 70 Mark, sondern nur 50 Mark gekostet hat. Inzwischen kenne ich die Preise viel besser, egal ob es sich um ein Ferkel oder einen Diamanten handelt.

SZ: Dann kann Ihnen so leicht keiner etwas vormachen.

Drumm: Manchmal helfen auch Zufälle. Ich war zum Beispiel wegen eines Brandschadens bei einer Frau, die den Wert eines Sonnenschirmes mit 180 Euro bezifferte. Zufällig hatte ich zwei Tage vorher den Sonnenschirm im Baumarkt gesehen. Da kostete er 49,90 Euro. Als die Frau auf ihrem Preis beharrte, bin ich mit ihr drei Kilometer weiter zum Baumarkt gefahren und habe ihr gezeigt, dass die 49,90 Euro richtig sind. Damit war das Thema erledigt.

SZ: Ziemlich peinliche Situation. Wie reagieren die Leute eigentlich, wenn Sie sie bei einer Betrügerei erwischen?

Drumm: Die wenigsten werden ungehalten. Die meisten entschuldigen sich. Oft geht es ja gar nicht um Betrug. Kürzlich gab eine Kundin den Wert von einem Paar Wanderschuhe mit 260 Euro an. Ich wusste aber, dass die nur 129 Euro kosten. Die Frau hatte die Preise in DM und Euro durcheinandergebracht. So etwas merke ich sehr schnell, weil ich ständig Werbeprospekte durchsehe. Ich trainiere sozusagen beim Einkaufen.

SZ: Werden Sie auch beschimpft?

Drumm: Das kommt schon ab und zu mal vor, wobei "Du Depp" dann eher noch eine harmlose Formulierung ist.

SZ: Und Sie bleiben immer ganz ruhig, obwohl Sie innerlich vor Wut kochen?

Drumm: Ich habe volles Verständnis dafür, dass Menschen, denen das Haus abgebrannt ist und die um ihre Existenz fürchten, mal was herausrutscht. Ich versuche dann, den Leuten ihre Angst zu nehmen und ihnen klarzumachen, dass wir ihnen helfen wollen. Ich bin aber auch schon aufgestanden und habe gesagt: "Wir können wieder reden, wenn Sie sich beruhigt haben." Einmal hat mir sogar ein Sägewerksbesitzer Schläge angedroht - und der war größer als ich. Ich bin dann auch laut geworden, und später sind wir uns doch noch einig geworden.

SZ: Was war Ihr nervigster Fall in den 16 Jahren als Schadenregulierer?

Drumm: Eine ältere Frau hat mich einmal zur Weißglut gebracht. Im Stockwerk über ihrer Wohnung hatte es einen Brand gegeben. Sie hatte deshalb in ihrer Wohnung auf Grund der Löscharbeiten Russ- und Wasserschäden. Wir haben eine Spezialfirma anrücken lassen. Die hat alles hundertprozentig gereinigt. Aber die Frau hat mit einer Lupe auf einem Sofa Flecken gesucht, die sonst keiner gesehen hat. Die hat uns wochenlang gelöchert, genervt, beschimpft, bis wir dann mit ihrer Schwiegertochter eine Lösung fanden.

"Einer drohte mir sogar Schläge an"

SZ: Gibt es in bestimmten Jahreszeiten besonders viele Betrügereien?

Drumm: Ich führe darüber keine Statistiken. Aber vor Weihnachten gibt es schon gewisse Häufigkeiten.

SZ: Vor Weihnachten? Brauchen die Leute Geld für Geschenke?

Drumm: Das kann ich nur vermuten.

SZ: Was unterscheidet den Gelegenheitsbetrüger vom Profi?

Drumm: Grundsätzlich gibt es Versicherungsbetrug in allen Schichten der Bevölkerung, egal ob arm oder reich. Ich halte deshalb auch nichts davon, hier eine Typologie für bestimmte Personen zu entwerfen. Nur so viel lässt sich sagen: Der Profibetrüger tritt meistens selbstbewusster auf, der ist darauf gefasst, dass ich nachfrage. Bei Wiederholungstätern handelt es sich oft um Leute, die permanent wenig Geld haben oder permanent mehr Geld haben wollen und schnell daran kommen wollen. Um diesen Profis den Betrug nachweisen zu können, arbeiten wir manchmal auch mit externen Ermittlern und Sachverständigen zusammen. Die Gelegenheitsbetrüger sind meist weniger selbstbewusst, die legen den Betrug häufig so dilettantisch an, dass ich da sehr schnell dahinterkomme, wobei ich in vielen Fällen gar nicht von Betrug sprechen möchte.

SZ: Was meinen Sie damit?

Drumm: Es werden die Schadensaufstellungen ein bisschen ausgeschmückt.

SZ: Ausgeschmückt?

Drumm: Na ja, die Leute neigen eben dazu, den Wert der einzelnen Sachen nach oben zu setzen. Es wird alles herangezogen, was irgendwie greifbar ist. Und die Sachen werden aufgeschrieben, egal ob es nun endgültig schadhaft ist oder nach einer Reinigung oder einer Reparatur noch verwendet werden könnte. Sie empfinden das nicht als Unrecht, und dafür habe ich durchaus auch ein gewisses Verständnis. Ich sage den Leuten dann eben zum Beispiel, dass ein rußgeschwärztes Glas kein Totalschaden ist. Das lässt sich durchaus so reinigen, dass man wieder daraus trinken kann. In der Regel lässt sich hier auch schnell ein Einvernehmen erzielen, so dass beide Seiten mit dem Gesamtergebnis zufrieden sind.

SZ: Das hört sich so nach heiler Welt an. Versicherungsgesellschaften, die wie die Allianz an der Börse notiert sind, müssen doch die Auszahlungen für Schäden möglichst gering halten und die Rendite zugunsten ihrer Aktionäre maximieren. Bekommen Sie keinen Druck von oben, möglichst wenig Schäden anzuerkennen?

Drumm: Nein, das kenne ich nicht. Wir gehen zu den Kunden, sie bekommen bei uns einen sehr guten Service vor Ort. Und wenn die Kunden damit zufrieden sind, empfehlen sie uns weiter, und davon profitieren schließlich auch die Aktionäre. Wenn die Kunden weglaufen, weil der Service nicht stimmt, haben unsere Anteilseigner davon gar nichts.

SZ: Manchmal sind Sie aber gezwungen, Ihre eigenen Kunden anzuzeigen. Melden Sie eigentlich jeden Betrugsversuch bei der Polizei?

Drumm: Es kommt immer darauf an, um wie viel Geld es geht und mit welcher Dreistigkeit jemand vorgeht. Es kann Fälle geben, da drücke ich schon mal das Auge zu. Aber ich war zum Beispiel einmal bei einer Kundin, deren Wohnung die Polizei bei einer Durchsuchung aufgebrochen hat. Die hat das bei uns als Diebstahl gemeldet und geltend gemacht, dass Schmuck und Uhren im Wert von 160.000 Euro entwendet worden seien. Die Belege hat sie gefälscht, unter anderem, indem sie eine Rolex aus einem Katalog abfotografiert hat. Es ist doch klar, dass so ein Fall bei der Polizei landet.

SZ: Machen es Ihnen viele Betrüger so einfach?

Drumm: Kunden stoßen uns immer wieder von selbst darauf, dass etwas nicht stimmen könnte. Da wird zum Beispiel ein Vertrag wenige Tage vor dem Schaden abgeschlossen oder kurz vorher die Versicherungssumme erhöht. Oder die Kunden fragen bei ihrem Vertreter nach, ob ihr Vertrag noch gilt oder die Versicherungsprämie eingetroffen ist. Und dann gibt es auch noch den Kommissar Zufall: Ein Landwirt hat sich einmal im Gasthaus damit gebrüstet, dass er einen Brand gelegt hat, ohne dass die Versicherung es gemerkt hat. Sein Pech war, dass ein Polizist zufällig mithörte.

SZ: Nichts als Lug und Trug. Können Sie noch ans Gute im Menschen glauben?

Drumm: Ich kann wirklich nicht sagen, alle Mensch sind schlecht. Für mich ist Versicherungsbetrug kein Massenphänomen. Deshalb glaube ich nach wie vor an das Gute im Menschen. Es gibt sogar Kunden, die fordern weniger, als ihnen zusteht. Die haben nicht das Anspruchsdenken. Solchen Leuten helfe ich besonders gerne.

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