Reden wir über Geld (19): Ludwig Poullain:"Banker sind maßlos habgierig geworden"

WestLB-Gründer Ludwig Poullain stürzte in den 70er Jahren über einen Skandal - jetzt spricht er über die Defizite der Geldmanager von heute.

Interview: Caspar Dohmen

Ludwig Poullain hat sich immer gerne eingemischt. Der 88-Jährige wohnt am Aasee in Münster, nahe der Landesbank, die er einst formte. In seinem Arbeitszimmer steht ein Modell seiner Segelyacht, mit der er mehrmals jährlich von Mallorca aus in See sticht. Auf den Tischen liegen Bücher, an den Wänden hängen Kunstwerke. Die Renditen der Banken hält er für überhöht. Er kritisiert, dass man heute mit Geld Geld verdient. Den Antrieb dafür sieht er in einer maßlosen Habgier.

Reden wir über Geld (19): Ludwig Poullain: "Die Motive der Banker haben sich geändert." Ludwig Poullain hat viele Finanzkrisen erlebt - aber keine wie diese.

"Die Motive der Banker haben sich geändert." Ludwig Poullain hat viele Finanzkrisen erlebt - aber keine wie diese.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Oscar Wilde sagte, "Als ich jung war, glaubte ich, dass Geld wichtig ist. Jetzt bin ich alt und weiß, dass es wichtig ist." Wie ging es Ihnen, Herr Poullain?

Poullain: Wenn ich zurückblicke, dann meine ich, dass ich in meiner Jugend Geld dringender brauchte als heute. Dies lag sicher daran, dass es damals weniger Geld gab. Wünsche sind in der Jugend auch häufig intensiver als im Alter. Wenn ich heute von meinem Vermögen spreche, dann bedeutet dies für mich die Sicherheit, dass ich in meinem häuslichen Umfeld leben kann, bis ich in der Waagrechten herausgetragen werde.

SZ: Wie erlebten Sie als Kind die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre?

Poullain: Ich bin im Haushalt eines Bäckermeisters groß geworden. Es waren kleinbürgerliche Verhältnisse. Wir litten in unserer Familie während der Weltwirtschaftskrise keine Not. Allerdings habe ich das Elend gesehen. Ich traf die Arbeitslosen, etwa wenn ich Fußball spielen ging und sie warteten, dass jemand kam, der einen Ball hatte.

SZ: Wie kamen Sie zur Sparkasse?

Poullain: Der Musiklehrer meiner Schule fragte meinen Vater, ob er vom Talent seines Sohnes wüsste. Doch Vater beschied ihm, das könne ich immer noch tun, wenn ich einen ordentlichen Beruf gelernt hätte. Dann schickte er mich bei der Sparkasse in die Lehre, 1937.

SZ: Sie kehrten nach dem Krieg zur Sparkasse Remscheid als Angestellter zurück. Wie viel verdienten Sie?

Poullain: Das waren nach der Währungsreform ungefähr 200 Mark. Ich weiß noch, dass ich damals monatelang Überstunden bis tief in die Nacht gemacht habe. Das Geld hat gerade einmal gereicht, um mir ein paar einfache Skier und Stiefel zu kaufen und in Oberstdorf Ski zu laufen.

SZ: Heute mischt sich die Politik häufig bei der WestLB ein. Viele angedachte Fusionen scheiterten am Widerstand der Politik. Wie verhielten sich die Politiker 30 Jahre zuvor bei der Fusion, bei der die WestLB entstand?

Poullain: Die Politik interessierte sich erst für die Bank, als sie später gewachsen war. Ich dachte, ich könnte sie dauerhaft aus dem Würgegriff der Politik fernhalten - ein Irrtum. Ich war damals 48 Jahre und wollte mich nach einem Nachfolger umschauen. Dazu kam ich nicht mehr, auch durch eigene Fehler.

SZ: Sie stolperten 1977 über ein Beratungshonorar von dem Konstanzer Finanzmakler Franz Josef Schmidt in Höhe von einer Million Mark. Brauchten Sie das Geld damals?

Poullain: Nein, ich hatte es nicht einmal verlangt. Eines Tages saß er da mit einem Koffer voller Geld für meine Nebentätigkeit. Ich habe das Geld mitgenommen, eingezahlt und versteuert. Mein Vertrag erlaubte die Beratertätigkeit.

SZ: Wie viel haben Sie damals als Vorstand der WestLB verdient?

Poullain: 510.000 DM.

SZ: War der Beraterjob ein Fehler?

Poullain: Das war die Torheit meines Lebens. Ich hatte mich meiner Handlungsfreiheit beraubt, weil ich angreifbar geworden war.

SZ: Sie hatten öfter Ärger mit der Politik, beispielsweise mit dem damaligen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Heinz Kühn.

Poullain: Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt hat ihm wegen Äußerungen von mir bei einer Präsidiumssitzung der SPD in Bonn den Kopf gewaschen, unterstützt von Willy Brandt und Herbert Wehner. Kühn könne doch nicht zuschauen, wie der Chef der WestLB, die zu einem Großteil dem Land gehöre, die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung angreife. Kühn forderte mich auf, dies zu unterlassen. Ich habe ihn auf das Grund-recht der freien Meinungsäußerung und auf die Pflicht hingewiesen, mich gerade als gut informierter Vorstandsvorsitzen-der einer öffentlichen Bank zu wirtschaftspolitischen Fragen zu äußern.

SZ: Was brachte das Fass zum Überlaufen?

Poullain: Ich war am Abend des Tages Gast in der ZDF-Fernsehsendung Bilanz, als Kanzler Schmidt von einer US-Reise zurückgekehrt war und gesagt hatte, fünf Prozent Arbeitslosigkeit seien wesentlich schlimmer als fünf Prozent Inflation. Ich sagte, etwas Dümmeres hätte ich noch nie gehört. Es gebe kein Entweder-oder zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation. Arbeitslosigkeit sei auch eine Konsequenz der Inflation.

Lesen Sie weiter, wie Poullain über die aktuelle Banker-Genration denkt und wie es zu einer wundersamen Geldvermehrung kam.

"Banker sind maßlos habgierig geworden"

SZ: Haben sich Manager früher mehr in die Politik eingemischt?

Poullain: Ja, die führenden Männer der Wirtschaft waren präsenter und kritischer. Alfred Herrhausen war einer der Letzten. Er hat sich beispielsweise für eine Entschuldung der Entwicklungsländer eingesetzt. Er ist dann von der RAF 1989 ermordet worden. Heute wagt niemand mehr, etwas zu kritisieren. Ein Sparkassenpräsident müsste doch bei drei Prozent Inflation auf der Barrikade stehen. Schließlich vertrauen Millionen Sparer seiner Organisation ihr Geld an. Es sind ja nicht nur die Rohstoffpreise, die heute zu einer höheren Inflation führen. Es ist auch ein politisches Versagen. Die Politik gibt viel zu viel Geld für den Konsum aus, etwa für soziale Leistungen, statt die Staatsverschuldung und damit die Belastung durch Zinszahlungen zu senken.

SZ: Warum sind Manager heute nicht mehr kritisch?

Poullain: Viele Manager sind glatter als früher. Vor allem aber wollen sie sich ganz und gar auf ihren Job konzentrieren. Sie wollen nicht noch eine zusätzliche Front aufmachen, indem sie sich in die Politik einmischen. Dabei wissen sie aufgrund ihrer internationalen Kontakte und ihres Geschäfts über viele Dinge gut Bescheid. Es ist zwar schön, wenn ich wegen kritischer Äußerungen über die Finanzwelt vom Bundespräsidenten Horst Köhler gelobt werde. Richtig wäre es, wenn sich die aktiven Manager einmischen würden.

SZ: Haben die Manager überhaupt noch Zeit für die Gesellschaft?

Poullain: Das Geldverdienen nimmt die Manager heute so in Anspruch, dass sie sich absolut darauf konzentrieren. Meiner Meinung nach hat ein Mensch, der verantwortlich an einer wichtigen Stelle im Unternehmen steht, auch eine gesamtvolkswirtschaftliche Verantwortung. Er muss sich da stellen.

SZ: Setzen sich die Banker heute zu wenig für die Belange der Sparer ein?

Poullain: Bei der Einführung des Euro haben sie jedenfalls die Gelegenheit ge-nutzt und die Sparerschutzgemeinschaft abgeschafft, die ihnen immer lästig war.

SZ: Sie haben schon viele Finanzkrisen erlebt. Hat sich etwas verändert?

Poullain: Die Motive haben sich verändert. Mir fiel vor kurzem ein Büchlein des verstorbenen Publizisten Johannes Gross in die Hände, der vor etwa zehn Jahren sinngemäß schrieb, diese Generation werde mit einer Sache fertig werden müssen, welche die Menschheit bisher nicht kannte, dem Mangel an Knappheit. Dies bezieht sich besonders auf das Geld.

SZ: Die Geldmenge hat sich drastisch erhöht?

Poullain: Es hat eine wundersame Geldvermehrung stattgefunden. Geld ist heute eine Ware. Ich habe mich schon vor Jahren gefragt, wie es sein kann, dass Banken in Relation zu erfolgreichen Industriekonzernen phänomenale Gewinne ausweisen können, die heute sogar völlig überhöht sind. Sind die tüchtiger, schaffen die Banker mehr Werte? Nein, dies liegt daran, dass Geld eine Ware an sich geworden ist. Man hat begonnen, mit Geld Geld zu verdienen. Der Antrieb dafür ist eine maßlose Habgier.

SZ: Wer ist der Gierige?

Poullain: Wenn ich lese, dass die SachsenLB, als es gut lief, 80 Prozent ihrer Erträge aus Geschäften mit riskanten Kreditpapieren bezogen hat, da stimmt doch die Welt nicht mehr. Wie kann es sein, dass Banker, die ihren Kunden zur Vorsicht raten, selbst ganz anders auf Rechnung der eigenen Bank handeln, wenn ihnen jemand hohe Zinsen anbietet? Warum werden hohe Zinsen für ein Darlehenspaket vergütet? Doch nur, weil der Risikogehalt gewaltig ist. Die Banker haben die Augen zugemacht.

SZ: Eigentlich ein simpler Sachverhalt: höherer Zins für mehr Risiko.

Poullain: Absolut. Das lerne ich im ersten Lehrjahr bei einer Sparkasse.

SZ: Wie erklären Sie sich die Gier an den Finanzmärkten?

Poullain: Ich denke, es ist ein Ausdruck der gesellschaftspolitischen Situation, die wir als Globalisierung bezeichnen. Diese Entwicklung brachte Anreize, immer mehr zu nehmen. Das fing mit der Vergütung von Managern an. Da wurden die amerikanischen Verhältnisse nach Deutschland übertragen.

SZ: Sollten die Staaten die Finanzmärkte strenger kontrollieren?

Poullain: Sicher kann man strengere Regeln einziehen, wie die Finanzminister der G8-Staaten es jetzt auch vorgesehen haben. Die werden aber nicht wirken, wenn den handelnden Personen die Triebhaftigkeit nicht genommen wird, der Antrieb der Raffgier. Mit anderen Worten: Die Gesellschaft muss sich ändern. Ich bin 88 Jahre, ich werde es nicht mehr erleben. Jedenfalls ist es ein sehr langer Prozess. Ich habe das Verhalten der Banker in meiner ungehaltenen Rede vor drei Jahren kritisiert. Ich bekam damals viel Beifall. Doch seitdem hat sich die Landschaft doch nur verbösert.

SZ: Wo müsste eine Veränderung ansetzen? Ist es eine Frage der Erziehung?

Poullain: Die Frage beschäftigt mich sehr. Kürzlich diskutierte ich darüber mit vier Doktoranden der Universität Witten/Herdecke, wo es ein Studium Fundamentale gibt, bei dem sich Studenten aller Fakultäten mit ethischen Fragen befassen. Die Ansichten der Doktoranden haben mich ermutigt. Wenn diese Knaben einmal an den Schalthebeln der Macht sitzen, könnte es besser werden.

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