Reden wir über Geld (18): Janis Mastoridis:"Ich hätte gerne immer etwas zu essen"

Lesezeit: 6 min

Ein 13-Jähriger aus München-Neuperlach über Armut, Hänseleien in der Schule und wie es ist, als siebenköpfige Familie in einer Wohnung ohne Herd zu leben.

Alexander Mühlauer und Hannah Wilhelm

Laut neuem Armutsbericht der Bundesregierung ist jedes achte Kind in Deutschland arm. Nach Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ist sogar jedes vierte Kind arm. Zu ihnen gehört der 13-jährige Grieche Janis Mastoridis, den Lehrer als hochbegabt einstufen.

Möchte schneller groß werden: Janis Mastoridis. (Foto: Foto: Andreas Heddergott)

Janis lebt mit Eltern und vier Geschwistern in München-Neuperlach, das als Problemviertel gilt. Die älteste Schwester lebt in Griechenland und wird auch unterstützt. Janis' Vater verdient netto 2000 Euro, dazu kommen 1000 Euro Kindergeld. Wenn Miete, Strom und Telefon gezahlt sind, bleiben monatlich etwa 250 Euro pro Person übrig. Das sind 100 Euro weniger als ein erwachsener Hartz-IV-Empfänger bekommt. Ein Gespräch über Armut, Gerechtigkeit und Ziele im Leben.

SZ: Janis, reden wir über Geld. Ist deine Familie arm?

Janis Mastoridis: Arm sein bedeutet für mich, auf der Straße zu leben. Deshalb finde ich uns nicht arm. Wir haben eine Wohnung. Manchmal denke ich aber doch, dass wir arm sind. Wenn ich etwa eine neue Tasche für die Schule brauche und wir keine kaufen können.

SZ: Wie wohnt ihr?

Janis: Meine Eltern, meine Geschwister und ich haben eine Drei-Zimmer-Wohnung für sieben Personen. Das ist gut. Ich schlafe mit den zwölfjährigen Zwillingen in einem Zimmer auf einer Liege, Papa schläft mit meinem älteren Bruder in einem Raum und im Wohnzimmer sind meine Mutter und die Kleinste.

Vater Christos Mastoridis: Wir haben sogar einen Balkon. Aber keinen Keller, deshalb stapeln sich viele Sachen in der Wohnung.

Janis: Gerade haben wir aber etwas mehr Platz. Meine Mutter ist mit der kleinsten Schwester in Griechenland bei meiner Oma. Die Ärzte sagen, dass sie nicht mehr lange leben wird.

SZ: Das heißt, Sie sind mit den vier Kindern zurzeit alleine?

Vater: Ja.

Janis: Das ist schon in Ordnung. Mein Vater arbeitet von sechs Uhr abends bis halb drei Uhr nachts. Wir sind also abends alleine. Aber wir sind ja schon groß und wissen, wann wir ins Bett und wann wir zur Schule müssen.

SZ: Wo arbeiten Sie?

Vater: Bei einer großen Bäckerei im Lager. Ich packe immer acht Semmeln in eine Tüte.

SZ: Janis, bist du neidisch auf Menschen, die mehr haben als du?

Janis: Ja, schon. In der Schule haben andere bessere Sachen als ich, zum Beispiel Klamotten und Schuhe. Sie verarschen mich manchmal, sie sagen zum Beispiel, dass ich Gammelschuhe anhabe. Am liebsten möchte ich sie schlagen, aber dann gibt es einen Schulausschluss. Das ist doof, das will ich nicht.

SZ: Ist es dir peinlich vor den anderen, dass du kein Geld hast?

Janis: Meine Freunde wissen das ja nicht. Nur einer weiß es, der ist auch ein bisschen arm.

SZ: Versteht er dich?

Janis: Ja, er weiß wie es ist, Hunger zu haben oder ausgelacht zu werden. Der weiß, wie ich mich dann fühle, dass ich manchmal traurig bin.

SZ: Wenn du dir etwas wünschen dürftest, was wäre das?

Janis: Schneller groß zu werden und immer etwas zu essen zu haben.

SZ: Gibt es Tage, an denen ihr nichts zu essen habt?

Janis: Früher war das oft der Fall.

SZ: Was hast du dann gemacht?

Janis: Manchmal bin ich zu Freunden gegangen, wo es etwas zu essen gab. Heute ist es besser, weil uns der Verein Ghettokids hilft. Wenn uns jetzt das Essen ausgeht, kriegen wir dort etwas. Ich gehe jeden Samstag zu Ghettokids.

SZ: Was machst Du dort?

Janis: Essen. Da gibt es immer Essen. Etwa 45 Jugendliche kommen dort hin. Wir dürfen trommeln, malen, lernen und Klavier spielen. Man muss dafür aber auch was tun. Nur nehmen geht nicht. Man muss auch was geben. Zum Beispiel mache ich bei Trommel-Konzerten mit. Dafür bekomme ich dann auch mal eine Monatskarte für die U-Bahn. Für so eine Monatskarte muss jeder hart kämpfen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wo Janis einmal leben möchte.

SZ: Hast du mal daran gedacht, dir das Essen einfach zu klauen?

Janis: Klauen will ich nicht, dadurch wird man ein schlechter Mensch. Außerdem wird man nur erwischt und bekommt Ärger. Bei so was kann man im Knast landen und dann schaut es schlecht aus, wenn man, wie ich, Rechtsanwalt werden will. Ich sag' den anderen Jugendlichen immer: "Ihr dürft nicht zu spät nach Hause kommen oder euch schlägern. Setzt euch hin, lernt, damit ihr später einen besseren Job bekommt. Sonst muss eure Familie hungern." Ich schüttele die anderen manchmal. Aber sie sagen dann nur "Ja, ja" und machen so weiter wie vorher. Die werden es noch sehen, wenn sie größer sind. Dann werden sie sagen: Warum habe ich nicht auf den Janis gehört. Dann ist es zu spät.

SZ: Warum willst du Anwalt werden?

Janis: Weil ich da gutes Geld verdiene und Menschen helfen kann. Durch den Verein Ghettokids habe ich einen Rechtsanwalt als Paten bekommen. Der kümmert sich total nett um mich, hilft mir zum Beispiel beim Lernen . Manchmal gehen wir essen, wenn ich Hunger habe.

SZ: Ist er ein Vorbild für dich?

Janis: Ja. Einmal durfte ich bei ihm und seiner Familie in Murnau übernachten, eine Woche lang. Der hat eine Villa mit riesengroßem Garten. Da hatte jedes Schlafzimmer ein eigenes Bad, wie im Luxushotel. Seine Kinder waren auch dort. Der eine Sohn geht auf ein Gymnasium und eine Tochter studiert in Irland.

SZ: Findest du es ungerecht, dass manche viel und manche wenig haben?

Janis: Schon ein bisschen. Aber was will man machen? Das ist halt so. Manche verdienen mehr als andere, haben bessere Sachen. So ist es.

SZ: Wem willst du helfen, wenn du Rechtsanwalt bist?

Janis: Nicht den Kriminellen. Also niemandem, der eine Bank überfallen hat. Sondern Menschen, die wenig Geld haben und denen jemand etwas geklaut hat. Solchen Menschen.

SZ: Du müsstest auf ein Gymnasium gehen, damit das klappt.

Janis: Jetzt bin ich auf der Hauptschule, ich bin von der Sonderschule hochgestuft worden, wo ich vorher war. Meine Noten sind gut. Ich muss mein Verhalten verbessern, dann darf ich vielleicht auf die Realschule. Ich soll weniger im Unterricht schreien, weniger im Klassenzimmer rumlaufen. Ich habe mir fest vorgenommen, mich zu bessern. Ich will wirklich Anwalt werden.

SZ: Du sagst, dass Rechtsanwälte gut verdienen. Was ist für dich viel Geld?

Janis: 1500 Euro sind Hammer viel Geld. Und ein Rechtsanwalt verdient noch viel mehr. Der Rechtsanwalt, der mir beim Lernen hilft, hat zum Beispiel einen Porsche. Und noch ein Auto, das hat, glaube ich, acht Plätze. Und er fliegt sogar in die USA in Urlaub.

SZ: Wie viel Geld hast du?

Janis: Nichts, ich habe gar kein Geld.

SZ: Was machst du, wenn du zum Beispiel Schuhe brauchst?

Janis: Dann gehe ich zu Ghettokids. Gerade habe ich dort Geld für Fußballschuhe bekommen. Die haben 44 Euro gekostet, die sind echt gut. Wir müssen aber immer Quittungen vorlegen, damit wir von dem Geld keine Drogen, Zigaretten oder Alkohol kaufen.

Vater: Gerade hat uns eine ältere Frau einen neuen Herd gespendet. (Zeigt ein Foto vom neuen Herd.) Wir hatten 18 Monate keinen Herd und haben nur mit einer Mikrowelle gekocht.

SZ: Für sieben Personen?

Vater: Ja.

SZ: Ist es Ihnen manchmal unangenehm, Hilfe anzunehmen?

Vater: Wir brauchen die Hilfe dringend, wir brauchen den Herd und wir brauchen Essen. Aber ein bisschen peinlich ist mir das schon.

SZ: Janis, ist es dir unangenehm?

Janis: Mir ist es manchmal peinlich, wenn die Frau von Ghettokids fragt, ob wir Essen zu Hause haben. Dann schäme ich mich, zu sagen, dass wir gerade nichts haben. Ich bin dem Verein sehr dankbar. Jetzt habe ich viel mehr zu tun. Sie haben mir zum Beispiel ein Keyboard geliehen, damit ich üben kann.

SZ: Was hast du früher in deiner Freizeit gemacht?

Janis: Ich bin viel draußen auf der Straße rumgehangen und habe Mist gebaut. Damals haben wir im Hasenbergl gewohnt, da ist es noch härter. Da gehen 20 Leute auf einen los und verhauen einen. Neuperlach, wo wir jetzt leben, ist etwas besser. Hier ist es einer gegen einen.

SZ: Was würdest du mit viel Geld machen?

Janis: Erst würde ich meine Familie versorgen, meine Mutter und Geschwister. Dann würde ich eine Villa kaufen.

SZ: In Murnau?

Janis: Nein, in Los Angeles. Da will ich leben, wenn ich groß bin. Ich war noch nie dort, aber ich weiß, dass dort Hollywood ist und die ganzen Filmstars leben. Und dass alle dort viel Geld haben, deshalb will ich dort leben.

SZ: Hast du Angst vor der Zukunft?

Janis: Ich habe Angst, dass es nicht so wird, wie ich es mir erhoffe. Dass ich kein Rechtsanwalt werde und keine Chancen habe. Dass es so bleibt, wie es jetzt ist, und meine Kinder auch hungern müssen. Davor habe ich richtig Angst.

© SZ vom 23.5.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: