Reden wir über Geld (14): Sahra Wagenknecht:"Ich habe schon öfter mal Hummer gegessen"

Sahra Wagenknecht von der Linkspartei über Luxus und Klassenkampf, warum sie BMW verstaatlichen will und Deutschland nicht für eine Demokratie hält.

Alexander Hagelüken und Alexander Mühlauer

Sahra Wagenknecht, 38, wählt ein Café im Westteil Berlins, um ihre Sicht auf Geld und die Welt zu erläutern. Deutschlands Vorzeigekommunistin ist seit dieser Woche als Vizechefin der Linkspartei im Gespräch, die in der Bundesrepublik immer mehr zum Machtfaktor wird. Im Gespräch erklärt sie, wie sie das Land durch Verstaatlichungen von Konzernen und andere Eingriffe verändern will - und warum sie immer noch "wir" sagt, wenn sie von der DDR spricht.

Reden wir über Geld (14): Sahra Wagenknecht: Prominentes Aushängeschild der Linken: Sahra Wagenknecht.

Prominentes Aushängeschild der Linken: Sahra Wagenknecht.

(Foto: Foto: ddp)

SZ: Frau Wagenknecht, reden wir über Geld. Kürzlich waren Sie mit anderen linken EU-Abgeordneten Hummer essen. Ihre Kollegin knipste das. Sie haben sich die Kamera ausgeliehen und die Fotos gelöscht. Warum?

Sahra Wagenknecht: Ich sah auf den Fotos blöd aus. Niemand ist frei von Eitelkeit.

SZ: Ging es nicht um etwas anderes? Sie als Antikapitalistin und Anklägerin der Reichen wollten Schlagzeilen verhindern, zu denen es nach Bekanntwerden Ihrer Löschaktion doch kam: "Schöne Kommunistin isst Hummer im Nobelrestaurant".

Wagenknecht: Ist das so schlimm? Es war übrigens kein Nobelrestaurant. Der Fischteller, auf dem das beanstandete Hummerteil lag, hat etwas über 20 Euro gekostet. Ich weiß, dass sich viele Menschen das nicht leisten könnten. Trotzdem wird man mir nicht im Ernst unterstellen, dass ich für so ein Hummergericht meine Seele verkaufe.

SZ: Der Eindruck ist doch: Die Wagenknecht isst heimlich Hummer und möchte nicht, dass es bekannt wird.

Wagenknecht: Haben Sie wirklich keine anderen Probleme?

SZ: Haben Sie schon öfter Hummer gegessen?

Wagenknecht: Ich gestehe: Ich habe schon öfter mal Hummer gegessen.

SZ: Ein neues Geständnis.

Wagenknecht: Diese Debatte ist doch verlogen. Ich predige nicht Wasser und trinke selbst Wein. Für den Sozialismus zu sein, heißt, Wein predigen und meinetwegen auch Hummer, aber für alle. Ich bin für eine Gesellschaft, in der alle Menschen Hummer essen können.

SZ: Wir auch!

Wagenknecht: Sehen Sie.

SZ: Die Frage ist doch, ob selbsternannte Kämpfer der Entrechteten ehrlich sind. Und glaubwürdig. Ihr Parteivorsitzender Oskar Lafontaine kassierte lange Zeit ausgerechnet vom Springer-Konzern dicke Honorare für Kolumnen in der Bild-Zeitung.

Wagenknecht: Lafontaine macht linke Politik. Wo ist das Problem? Er hat die Linke zu einer bundesweiten Kraft gemacht, die die anderen Parteien zu sozialen Zugeständnissen zwingt. Er hat die Partei nach links gerückt - das ist gut so.

Lesen Sie weiter, wann staatliche Konzerne ähnlich effizient arbeiten wie private Unternehmen.

"Ich habe schon öfter mal Hummer gegessen"

SZ: Weit links, wohin er die Partei jetzt rückt, waren Sie als Chefin der "Kommunistischen Plattform" schon immer. Wollen Sie "Hummer für alle" wirklich realisieren, indem Sie Konzerne verstaatlichen?

Wagenknecht: Da, wo kapitalistisches Eigentum gesellschaftliche Macht erzeugt, bin ich für öffentliches Eigentum. BMW, Siemens, Nokia werfen trotz Rekordgewinnen Tausende auf die Straße und erpressen die Demokratie damit, ins Ausland zu gehen. RWE und Eon diktieren immer höhere Strompreise. Bei gleichen Anreizen arbeiten staatliche Firmen ähnlich effizient wie private.

SZ: Uns fällt kein staatlicher Vorzeigebetrieb ein.

Wagenknecht: Es gibt in Frankreich oder Schweden nicht wenige Staatsbetriebe, die genauso agieren wie private. Ob Gaz de France oder Vattenfall. Allerdings ist das genau nicht das, was ich will. Öffentliches Eigentum muss genutzt werden, um auch andere Prioritäten zu setzen. Also etwa: erneuerbare Energien statt Atomstrom, auch wenn das weniger rentabel ist.

SZ: Gaz de France ist Monopolist, der Verbrauchern die Preise diktiert. Als Kunde wird man von Staatsmonopolisten am schlechtesten behandelt. Meistens gewinnt man durch Privatisierung.

Wagenknecht: Wo denn? Wo Wasser privatisiert wurde, ist es viel teurer als in anderen Kommunen. Bei der Post gibt es seit der Privatisierung weniger Filialen und Briefkästen. Und da, wo Wohnungen privatisiert wurden, ist die Miete keinesfalls gesunken - im Gegenteil.

SZ: Telefonieren war noch nie so billig wie seit der Privatisierung und der Einführung von Wettbewerb. Und die Post hat länger auf.

Wagenknecht: Die Telekom ist das einzige Beispiel, wo die Preise gefallen sind. Aber um welchen Preis? Brutale Arbeitsplatzvernichtung und Lohndumping gehören immer dazu.

SZ: Der Antikurs der Linkspartei gegen die Marktwirtschaft kommt an, sie könnte erstmals im Westen Regierungen mitbestimmen. Sind Sie für Koalitionen?

Wagenknecht: Das Land Berlin zeigt, dass Koalitionen mit der SPD wenig bringen. Sie ist heute eine neoliberale Partei und für den sozialen Abriss seit 1998 hauptverantwortlich. Klaus Wowereit hat ja recht, wenn er sagt: Wer die Linke kleinhalten will, muss es machen wie ich. Aber wir sollten nicht so dumm sein, uns darauf einzulassen.

SZ: Jetzt wollen mehrere Mitglieder Ihrer Partei, dass Sie Vize-Chefin der Linken werden. Parteichef Lothar Bisky ist dagegen. Kandidieren Sie beim Parteitag in einem Monat dafür?

Wagenknecht: Ich habe mich noch nicht entschieden.

SZ: Setzt überhaupt ein Staat die Politik um, die Ihrem Ideal entspricht?

Wagenknecht: Kein Staat ist ideal. Aber Länder wie Venezuela zeigen, dass die von den Neoliberalen gepredigte Alternativlosigkeit eine Lüge ist, dass der Staat sich von den Konzernen nicht alles gefallen lassen muss. Heute wird die Rendite oft durch eine regelrechte Zerstörung von Produktion gesteigert. Der Kuchen für die Mehrheit wird kleiner, nur die Reichsten bekommen ein wachsendes Stück.

SZ: Nur noch Reiche? Der deutsche Kuchen ist größer, als er in sozialistischen Ländern je war.

Wagenknecht: Aber er schmeckt nicht, wenn selbst im Aufschwung Löhne und Renten fallen.

SZ: Sie sind noch im Frühjahr 1989 in die SED eingetreten, ein halbes Jahr vor dem Fall der Mauer. Warum?

Wagenknecht: Ich wollte einen reformierten Sozialismus. Man konnte den Leuten nicht jeden Abend in der "Aktuellen Kamera" die heile Welt vorspielen, und im realen Leben häuften sich die Probleme.

SZ: Warum reisten Sie erst ein halbes Jahr nach dem Mauerfall in den Westen?

Wagenknecht: Ich hatte dort damals nichts zu tun.

SZ: Was bedeutet der Fall der Mauer für Sie?

Wagenknecht: Mit der Mauer wurde auch die DDR weggefegt. Der Osten bekam den Anschluss und den Kapitalismus, der sich in Ost wie West von seinen alten sozialstaatlichen Zugeständnissen löste. Das war nicht die Perspektive, die ich wollte.

SZ: Für andere bedeutet das Ende der DDR das Scheitern einer Diktatur, die seine Bürger bespitzelte und an der Mauer erschoss.

Wagenknecht: Das wollte ich nicht. Aber wirkliche Demokratie gibt es im Kapitalismus so wenig wie in der DDR. Dafür ist die Macht der Wirtschaftslobbys viel zu groß. Viele Freiheitsrechte setzen voraus, dass man sie sich leisten kann.

Lesen Sie weiter, warum Aktien und Sozialismus nicht zusammenpassen.

"Ich habe schon öfter mal Hummer gegessen"

SZ: Sie halten die Bundesrepublik nicht für demokratisch?

Wagenknecht: Sie können heute das Parlament wählen, aber die Entscheidungen, die in den Zentralen der Dax-Konzerne fallen, sind von ungleich größerer Relevanz. Und wie groß ist die Freiheit eines Hartz-IV-Empfängers, der damit rechnen muss, dass überprüft wird, ob er um 18 Uhr am Abend auch zu Hause ist?

SZ: Wenn Sie die DDR meinen, sagen Sie "wir" und "uns". Von der Bundesrepublik reden Sie in der dritten Person.

Wagenknecht: In Ost wie West sagen die meisten "bei uns", wenn sie das Land meinen, in dem sie aufgewachsen sind. Aber richtig ist, dass ich mich mit den heutigen Machtverhältnissen nicht identifiziere.

SZ: War der Mauerbau richtig?

Wagenknecht: Sozialismus muss so attraktiv sein, dass man die Leute nicht einmauern muss. Ob die Mauer unter den damaligen Bedingungen vermeidbar war, mögen Historiker entscheiden. Fakt ist, dass darüber nicht primär in Berlin, sondern vor allem in Moskau und Washington entschieden wurde.

SZ: In Washington? Das glauben Sie doch selbst nicht. Was verdienen Sie eigentlich als Europa-Abgeordnete?

Wagenknecht: 7000 Euro brutto. Davon gehen Steuern und 1300 Euro Spenden im Monat ab. Wichtiger ist aber, ob man mit dem Parlamentsmandat seinen Lebensstil verändert. Ich wohne noch in meiner ersten Wohnung und habe kein Auto. Nicht aus Askese, sondern weil mir andere Dinge wichtiger sind. Ich habe früh eigenes Geld verdient.

SZ: Wie?

Wagenknecht: Als Jugendliche habe ich in den Ferien Post ausgetragen oder Tomaten geerntet. Letzteres war eine nachhaltige Erfahrung. Nach dem ersten Tag konnte ich nicht mehr stehen und sitzen. Ich verstehe jeden, der heute nicht bereit ist, für einen Hungerlohn Spargel zu stechen.

SZ: Bei Ihrem Gehalt können Sie jeden Monat 1000 Euro zurücklegen. Kaufen Sie Aktien?

Wagenknecht: Nein, denn dann müsste ich mich freuen, wenn Firmen Leute rauswerfen, dann steigt ja der Kurs.

SZ: Aktien sind doch das Eigentum an Produktionsmitteln, der Weg zur Macht. Bei der Hauptversammlung der Deutschen Bank könnten Sie die Geschäftspolitik kritisieren.

Wagenknecht: Herr Ackermann wird sich totlachen, wenn ich mit Aktien im Wert von ein paar tausend Euro seine Geschäftspolitik mitbestimmen will.

SZ: Wenn das viele Millionen Deutsche machen würden, dann nicht.

Wagenknecht: Viele Millionen wissen nicht, wie sie angesichts sinkender Realeinkommen ihren bisherigen Lebensstandard aufrechterhalten können. Sie haben andere Sorgen, als im großen Stil Aktien zu kaufen. So kann man den Kapitalismus nicht bezwingen.

SZ: Vielleicht ist der Marxismus eine Illusion. Hatten Sie nie Zweifel?

Wagenknecht: Nein. Die Welt von heute zeigt doch, wie aktuell Marx ist. Auch die Finanzmarktkrise wurzelt letztlich in Widersprüchen des Kapitalismus. Eine Illusion ist, dass entfesselte Märkte zum Gleichgewicht führen. Hier ist Marx viel aktueller als die moderne Mainstream-Ökonomie.

SZ: Selbst in Ihrer Partei waren Sie meist eine linke Randerscheinung. Haben Sie darunter gelitten?

Wagenknecht: Als Randerscheinung säße ich weder im Parteivorstand noch im Europaparlament. Auch bei Veranstaltungen bekomme ich in der Regel ziemlich viel Zuspruch.

SZ: Ihr eigener Parteichef Lothar Bisky nannte Sie einst die Njet-Maschine. Und: die Frau mit den kalten Augen.

Wagenknecht: Das ist lange her.

Sahra Wagenknecht wird 1969 in Jena als Tochter einer Deutschen und eines Iraners geboren. Ihren Vater lernt sie nie kennen. Sie wächst in Ostberlin auf, studiert Philosophie und tritt ein halbes Jahr vor dem Mauerfall 1989 in die SED ein. Sie leitet zusammen mit anderen Genossen die Kommunistische Plattform der Linkspartei und sitzt seit 2004 im Europaparlament. Wagenknecht ist Mitglied des Parteivorstandes der Linken und denkt darüber nach, auf dem Parteitag im Mai als Vize-Chefin zu kandidieren.

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