Süddeutsche Zeitung

Reden wir über Geld (10): D. Rockefeller:"Gier ist ein Teil der menschlichen Natur"

David Rockefeller, Enkel des legendären John D. Rockefeller, über das Erbe seiner Familie, Moral im Kapitalismus - und über die Grenze zwischen Gier und dem Streben nach Glück.

Nikolaus Piper

David Rockefeller ist 92 Jahre alt und der letzte überlebende Enkel des legendären Unternehmers John D. Rockefeller (1839 bis 1937), bis heute der reichste Mensch aller Zeiten. Von 1960 bis 1981 leitete er die Chase Manhattan Bank (heute JP Morgan Chase). Das Magazin Forbes schätzt sein Vermögen auf 2,7 Milliarden Dollar, womit er in der Liste der reichsten Männer der Welt an 428. Stelle steht.

SZ: Herr Rockefeller, was bedeutet es eigentlich, mit einem so bedeutungsvollen Namen durchs Leben zu gehen? Ist es eine Chance oder ist es eine Last?

Rockefeller: Ich denke, es ist ein Privileg. Ich bin stolz darauf, was meine Familie getan hat und fühle mich geehrt, denselben Namen tragen zu dürfen.

SZ: Und Sie hatten nie mit Ablehnung oder Vorteilen zu kämpfen?

Rockefeller: Es ist klar, dass nicht alle Leute gut finden, was die Familie gemacht hat. Aber ganz ehrlich: Im Prinzip bin ich immer positiven Gefühlen mir gegenüber begegnet.

SZ: Wird Ihr Großvater John D. Rockefeller in den Geschichtsbüchern ungerecht behandelt? Er gilt vielen als rücksichtsloser Monopolkapitalist oder gar als Räuberbaron. In Deutschland nannte man den alten Thyssen einst den "Rockefeller des Ruhrgebiets''.

Rockefeller: Lange Zeit war das so, in der Tat. Mein Eindruck ist allerdings, dass die Leute heute mehr und mehr die positiven Dinge erkennen, die er getan hat, sowohl als Unternehmer in der Ölindustrie als auch als einer der ersten, der der Philanthropie eine zentrale Rolle gegeben hat. Ich bewundere ihn und ich habe ihn geliebt.

SZ: War er ein guter Großvater?

Rockefeller: Ja, das war er.

SZ: Und wie ist er mit seinem schlechten Ansehen umgegangen?

Rockefeller: Es hat ihn nicht besonders interessiert.

SZ: Die meiste Zeit Ihres aktiven Berufslebens waren Sie Banker in New York. Sie haben die Bank Chase Manhattan geleitet, die heute zu JP Morgan Chase gehört. Wie sehen Sie die Kreditkrise, die gegenwärtig die globalen Finanzmärkte erschüttert?

Rockefeller: Zweifellos ist dies eine Zeit, in der kluge und vorausschauende Entscheidungen nötig sind. Man darf das Ausmaß der Krise nicht unterschätzen, man sollte aber auch anerkennen, dass unsere Finanzinstitutionen stark sind und dass die Behörden in den Vereinigten Staaten ihre Rolle wahrnehmen, besonders die Notenbank Federal Reserve.

SZ: Vielleicht sollte man die Banken wesentlich strenger regulieren. Früher gab es in den USA eine scharfe Grenze zwischen Geschäfts- und Investmentbanken. War es ein Fehler, diese Grenze zu schleifen?

Rockefeller: Ich denke nein. Wer heute eine globale Geschäftsbank betreiben will, muss seinen Kunden auch Investmentbanking anbieten können. Es wäre daher falsch, zur kompletten Trennung der beiden Bereiche zurückzukehren.

SZ: JP Morgan hat gerade zu einem Spottpreis die von der Insolvenz bedrohte Investmentbank Bear Stearns gekauft. Die Bank scheint zu den Gewinnern der Krise zu gehören.

Rockefeller: Der Kauf scheint ein angemessener Schritt gewesen zu sein. Er war mutig, zudem erwirbt die Bank etwas, was uns schon zu meinen Zeiten gefehlt hat - einen Investmentbank-Bereich.

SZ: Gibt es heute zu viel Gier an der Wall Street?

Rockefeller: Das ist etwas dran. Wir haben Jahre der Prosperität erlebt, nicht nur an der Wall Street. Viele Leute, die zuvor wenig besaßen, haben enorme Summen verdient und sind mit dem Geld nicht sehr verantwortungsbewusst umgegangen.

SZ: Wo liegt die Grenze zwischen Gier und dem Streben nach Glück, wie es die amerikanische Verfassung garantiert? Rockefeller: Gier ist Teil der menschlichen Natur. Und in guten Zeiten ist die Versuchung einfach größer. Die Menschen, die der Gier erliegen, schaden der gesamten Gemeinschaft.

SZ: Haben Ihr Vater und Ihr Großvater mit Ihnen über solche Dinge wie Gier und Moral gesprochen?

Rockefeller: So wie sie ihr Leben gelebt und uns erzogen haben, war die Botschaft immer klar: Wer mehr Chancen hat, hat auch mehr Verantwortung für die Gesellschaft. Und ich bin stolz darauf, dass unsere Familie im Großen und Ganzen nach dieser Regel gelebt hat.

SZ: Was bedeutet diese Regel heute, zum Beispiel für all die jungen Leute, die an der Wall Street reich geworden sind?

Rockefeller: Am wichtigsten ist es, sein Geschäft auf eine ethische, verantwortungsbewusste Weise zu führen. Man darf sich nicht nur darauf konzentrieren, so viel Geld wie möglich zu machen. Und man darf sein Leben nicht so führen, dass andere Menschen dies als anstößig empfinden. Man sollte nicht nur seinen Spaß haben, sondern das, was man verdient, zum Nutzen der Gesellschaft einsetzen.

SZ: In den letzten Jahren ist demonstrativer Konsum an der Wall Street schick geworden: teure Yachten, teure Partys, teure Wohnungen.

Rockefeller: Ich finde das ziemlich unattraktiv. Es ist nicht unmoralisch, es ist einfach nur schlechter Geschmack.

SZ: Welche Rolle spielt Wohltätigkeit wenn man reich ist?

Rockefeller: Ich geben Ihnen ein Beispiel. Als ich jung war, bekam ich von meinen Eltern ein monatliches Taschengeld. Zehn Prozent davon musste ich für einen wohltätigen Zweck spenden, zehn Prozent investieren. Genau so habe ich es mit meinen eigenen Kindern gehalten. Das ist eine gute Lehre, um die Bedeutung der Wohltätigkeit zu begreifen. Ohne diese Art verantwortungsbewussten Verhaltens wäre eine Gesellschaft des freien Unternehmertums kaum akzeptabel. An der Idee des Sozialismus ist ja einiges durchaus attraktiv, nur hat eben keiner der sozialistischen Staaten bisher funktioniert. Deshalb lohnt es sich, die freie Marktwirtschaft zu erhalten. Schon Churchill hat diesen Zusammenhang treffend beschrieben...

SZ: ,,Das Problem des Kapitalismus ist, dass er das Glück ungleich verteilt, das Problem des Sozialismus ist, dass er das Unglück gleich verteilt...''

Rockefeller: In Amerika hat der Kapitalismus zum Nutzen der meisten Menschen ziemlich gut funktioniert. Jedenfalls ist er die am wenigsten schlechte Alternative, die wir haben.

SZ: Ihre Kinder haben ja eine Zeitlang auch mit dem Sozialismus geliebäugelt.

Rockefeller: Das stimmt, und das halte ich für verständlich und akzeptabel. Heute würden sie die meisten Aussagen nicht wiederholen, die sie in jungen Jahren gemacht haben.

SZ: Aber Kapitalismus ist ja nicht gleich Kapitalismus. Seit Ronald Reagan haben die USA eine Phase des radikalen Kapitalismus erlebt mit dem weitgehenden Abbau von Regulierungen. Wird das Pendel jetzt zurückschwingen zu einer Art Sozialstaat im europäischen Sinne?

Rockefeller: Ich könnte mir denken, dass sich viele in der Demokratischen Partei an Tony Blair orientieren: mehr Verantwortung für den Staat, aber Beibehaltung der Rolle des freien Unternehmertums. Im Vergleich zu Europa gibt es dabei immer einen Unterschied. Auch Politiker wie Barack Obama oder Hillary Clinton sehen vor allem die Chancen des Kapitalismus und wollen ihn allenfalls durch Rahmengesetze regulieren.

SZ: Ihre Familie hat immer auch eine politische Rolle in Amerika gespielt. Die Rockefellers haben einen Ruf als gemäßigte Republikaner. Ihr Bruder Nelson wäre Ende der siebziger Jahre Präsident der USA geworden, hätte sich nicht der konservative Flügel der Partei unter Ronald Reagan durchgesetzt.

Rockefeller: Der Aufstieg von Reagan war nur eines der Hindernisse. Die Tatsache, dass Nelson sich von seiner Frau scheiden ließ und eine andere heiratete, spielte vermutlich eine größere Rolle. Scheidungen waren damals nicht akzeptabel für die Öffentlichkeit.

SZ: Gibt es heute noch so etwas wie Rockefeller-Republikaner?

Rockefeller: Die Leute verwenden den Begriff, und das sagt natürlich schon etwas aus. Unter einem Rockefeller-Republikaner versteht man jemanden, der in einem gewissen Sinne europäischer ist als die meisten amerikanischen Politiker, der in der Finanzpolitik konservativ ist, in gesellschaftlichen Fragen liberal, und der eine starke Rolle für die Regierung in der Wirtschaft sieht. Einige Leute, die im jetzigen Wahlkampf John McCain nahestehen, gelten in diesem Sinne als Rockefeller-Republikaner. Das sagt einiges darüber aus, wie McCain ist. McCain würde sich aber selbst nie als Rockefeller-Republikaner bezeichnen.

SZ: Das wäre zu gefährlich für ihn?

Rockefeller: Ja, natürlich.

SZ: New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg ist ein Unabhängiger. Ist er trotzdem ein Rockefeller-Republikaner?

Rockefeller: Er macht jedenfalls einen tollen Job. Ich hoffe, er kandidiert für das Amt des Gouverneurs von New York und wird vielleicht eines Tages sogar Präsident. Er ist eine große Hoffnung für das Land. Was mir besonders gefällt, ist, dass er so großen Wert er darauf legt, dass öffentliche Institutionen gut und effizient geführt werden. Das ist eine häufig vergessene Tradition in Amerika, die auf das Vorbild der großen deutschen Bürgermeister im 19. Jahrhundert zurückgeht: die gut geführte Großstadt.

SZ: Wie ist ihr eigenes Verhältnis zu Deutschland?

Rockefeller: Ich war zum ersten Mal mit 18 Jahren in Deutschland, um die Sprache zu lernen.

SZ: Sie haben auch die Nazis kennengelernt?

Rockefeller: Ich war im Sommer 1935 in München. Damals habe ich mir die Parade zum Begräbnis von General Ludendorff in der Ludwigstraße angesehen und ein Foto von Hitler gemacht.

SZ: Und was haben Sie dabei empfunden?

Rockefeller: Niemand konnte sich damals vorstellen, was Hitler tun würde. Aber alle meine Freunde machten sich große Sorgen wegen seiner Politik.

SZ: Sie sind später oft in der Bundesrepublik gewesen. Was halten Sie von der sozialen Marktwirtschaft, so wie sie sich in Deutschland entwickelt hat?

Rockefeller: Ich habe Helmut Schmidt kennen- und schätzen gelernt. Seine Art zu regieren hat mir sehr gut gefallen. Auch Hermann Josef Abs (der frühere Vorstandssprecher der Deutschen Bank) hat mich sehr beeindruckt. Mit Otto Wolff von Amerongen (dem früheren Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages) arbeitete ich in der Bilderberg-Gesellschaft eng zusammen.

SZ: Manche halten Bilderberg für eine Weltverschwörung. Was machen Sie eigentlich dabei?

Rockefeller: Das mit der Verschwörung ist kompletter Unsinn. Wir sitzen zusammen und diskutieren. Bilderberg ist eine Gruppe von Leuten, die sich um die Welt Gedanken machen und glauben, dass der Privatsektor eine wichtige Rolle dabei spielen kann, die Zeitläufte besser zu verstehen. Wir haben niemals versucht, Regierungen zu beeinflussen.

SZ: In Ihrer Ausbildung als Ökonom haben Sie bei den berühmtesten Ökonomen der Zeit gehört: Joseph Schumpeter, Gottfried Haberler, Friedrich v. Hayek. Wer hat Sie am meisten beeinflusst?

Rockefeller: Es gibt jemand, den Sie gar nicht erwähnt haben: Mein Doktorvater Frank Knight von der Universität Chicago. Er war ein Ökonom und Philosoph, der weniger gepredigt hat, sondern zu ausgewogenen Schlüssen gekommen ist. Seine Botschaft war: Es gibt wenig Situationen im Leben, in denen es ein klares Richtig oder Falsch gibt. Deshalb habe ich mich nie einer ökonomischen Schule angeschlossen.

SZ: Wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken: Was war Ihre wichtigste Errungenschaft?

Rockefeller: Meine Fähigkeit, die Dinge objektiv zu analysieren und nicht vorgefasste politische Meinungen zu übernehmen. Ich würde mich weder einen Kapitalisten noch einen Sozialisten nennen, ich habe meine unabhängige Meinung.

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Quelle:
SZ vom 1.4.2008/jkf/mel
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