Räumungsverkauf bei der Commerzbank:Alles, nur keine Staatshilfe

Die Commerzbank verkauft alles, was nicht niet- und nagelfest ist, um sich Eigenkapital zu besorgen. Analysten zweifeln dennoch, dass das ausreicht. Staatliche Hilfe will Commerzbank-Chef Martin Blessing aber auf keinen Fall wieder annehmen. Das hat er auch Aktivisten von "Occupy Frankfurt" versprochen.

Harald Freiberger

In der vorletzten Woche bekam Commerzbank-Chef Martin Blessing, 48, in seinem Turm am Kaiserplatz Besuch von zwei Nicht-Schlipsträgern. Der Spiegel hatte ein Streitgespräch mit Aktivisten von "Occupy Frankfurt" arrangiert. Er könne von seinem Arbeitsplatz aus auf das Zeltlager gucken, erzählte Blessing, einmal sei er selbst hingegangen und habe gesehen, "dass es eine große emotionale Unzufriedenheit gibt".

Griechenland reißt Commerzbank in rote Zahlen

Dunkle Gewitterwolken über der Zentrale der Commerzbank AG in Frankfurt am Main: Neue Abschreibungen auf ihre Griechenland-Anleihen haben die Commerzbank nach Analystenschätzungen im dritten Quartal tief in die roten Zahlen gerissen.

(Foto: dpa)

Am vergangenen Wochenende gab es im selben Turm ein Treffen der anderen Art, und die emotionale Unzufriedenheit dürfte kaum geringer gewesen sein. Es handelte sich um ein Krisentreffen. Blessing rief 60 Top-Führungskräfte zusammen. Bei der Commerzbank brennt es wieder einmal, zum x-ten Mal seit 2008, als das Institut nach der Lehman-Pleite in eine existenzielle Krise geriet, die sie nur mit 18 Milliarden Euro vom Staat überstand.

Diesmal kommt der Druck von einer Behörde mit 70 Mitarbeitern in London, der europäischen Bankenaufsicht Eba. Sie ermittelte in einem Blitz-Stresstest bei der Commerzbank einen Kapitalbedarf von 2,9 Milliarden Euro bis Juni 2012. Das Geld ist nötig, weil sich Europas Banken mit einem Eigenkapitalpuffer von neun Prozent gegen die Staatsschuldenkrise schützen müssen. Bei dem Krisentreffen im Turm ging es nur um ein Thema: Woher die 2,9 Milliarden Euro nehmen, wenn nicht vom Staat?

Denn vom Staat sollen sie auf keinen Fall mehr kommen, davor hat Blessing einen Horror. "Ich gehe da nicht noch mal hin", verkündete er kürzlich resolut. Im Streitgespräch mit Occupy Frankfurt gab er einen Einblick in seine verletzte Bankerseele: Es habe ihn immer gestört, als "teilverstaatlicht" bezeichnet zu werden, das "klingt nicht so, als sei es wertschätzend gemeint".

Woher also das Geld nehmen? Blessing sprach von einem "Bündel von Maßnahmen". Am Freitag konkretisierte die Bank, was damit gemeint ist, als sie die Zahlen für das dritte Quartal vorstellte. Die Immobilientochter Eurohypo vergibt keine neuen Kredite mehr, die Bank selbst nur noch in den Kernländern Deutschland und Polen. Vergebene Kredite und Wertpapiere sollen verkauft oder abgebaut werden, genauso wie "Finanzbeteiligungen", also Töchter. Nur die Direktbanktochter Comdirect und die polnische BRE Bank sind sakrosankt, sie gehören zum Kerngeschäft.

Kurzum: Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, soll raus, so schnell wie möglich. Dazu will Blessing möglichst viel Gewinn einbehalten und weiter Kosten abbauen.

Hohe Verluste beim Verkauf

Analysten zweifeln an dem Vorhaben. "Es wird schwierig für die Commerzbank, in so kurzer Zeit auf eine Eigenkapitalquote von neun Prozent zu kommen", sagt Konrad Becker von Merck Finck. Die Bank beschränke sich schon seit Jahren auf die Kernmärkte, "außerhalb wird nicht mehr so viel einzustampfen sein". Es gebe auch nicht viele schöne Töchter, die sich mit Gewinn verkaufen ließen. Einzig realistische Perspektive ist es Becker zufolge, massenhaft Wertpapiere abzustoßen.

Commerzbank-Vorstandsvorsitzender Blessing pocht auf Reform des Marktes fuer Kreditversicherungen

Commerzbank-Vorstandsvorsitzender Martin Blessing stellte am Freitag ein "Bündel von Maßnahmen" vor, mit dem die Bank mehr Eigenkapital generieren will.

(Foto: dapd)

Da die Papiere je nach Risiko mit Eigenkapital hinterlegt werden müssen, macht das Kapital frei. Doch der Räumungsverkauf hat seinen Preis. "Wegen der schwierigen Marktlage sind viele Papiere im Wert gesunken, es wird beim Verkauf Verluste geben", sagt Becker.

Die Rechnung, die die 60 Führungskräfte im Commerzbank-Turm für alle Beteiligungen und Wertpapiere gemacht haben, geht so: Ist die Entlastung beim Eigenkapital größer als der Wertverlust, lohnt sich der Verkauf. Das führt zu einer skurrilen Situation: Um die Eigenkapitalquote zu stärken, muss die Commerzbank ihre Verluste erhöhen.

Die Bank wird wieder nicht die Zinsen auf die Staatshilfe zahlen

Schon im dritten Quartal machte das Institut unter dem Strich ein Minus von 678 Millionen Euro. Der Hauptgrund war, dass griechische Anleihen wegen des geforderten Schuldenschnitts um 50 Prozent um weitere 800 Millionen abgeschrieben werden mussten. Auch Anleihen aus Italien und Spanien verkaufte die Bank im großen Stil - und mit Verlust. Das Ziel von vier Milliarden Euro operativem Vorsteuergewinn im nächsten Jahr kassierte Blessing ein. Die Aktie fiel deswegen um mehr als sechs Prozent.

Nach neun Monaten weist die Commerzbank nun nur noch einen Gewinn von 330 Millionen Euro aus. Analyst Becker erwartet, dass dieser bis Ende des Jahres zusammenschmilzt. Selbst Finanzchef Eric Strutz gibt zu: "Wir gehen derzeit nicht davon aus, dass wir in diesem Jahr nach deutschem Bilanzrecht Gewinn schreiben werden." In dem Satz steckt Brisanz: Er bedeutet, dass die Commerzbank auch für 2011 wieder nicht die Zinsen auf die Staatshilfe zahlen wird. Schon 2009 und 2010 hatte das für einen öffentlichen Aufschrei gesorgt.

Da ein großer Teil der Staatshilfe im Sommer zurückgezahlt wurde, beläuft sich der Zinsausfall nicht mehr auf 1,5 Milliarden Euro wie in den Vorjahren, sondern nur noch auf 170 Millionen Euro. Die Folgen für die Vorstände aber bleiben dieselben: Ihr Gehalt bleibt auf 500 000 Euro gedeckelt. Ein Satz, den Blessing zu den Occupy-Aktivisten sagte, gilt jedenfalls auch für seine Bank: "Wir werden immer darüber nachdenken müssen, wie wir die Welt besser machen können."

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