Radikale Reform in Dänemark:Rente - mit 74!

Ruhestand? Ja, aber deutlich später: In Dänemark dürfte das Rentenalter in absehbarer Zeit auf bis zu 74 Jahre steigen. Und in Deutschland wird über ein Ruhealter von 69 Jahren diskutiert.

Gunnar Herrmann und Thomas Öchsner

Die Wirtschaft sucht händeringend Fachkräfte - doch die gehen lieber in den Ruhestand als in die Arbeit. Dieses Szenario ist in Dänemark bereits Wirklichkeit. Nun soll eine radikale Reform das Problem lösen, das Rentenalter dürfte langfristig auf bis zu 74 Jahre steigen. In Deutschland wollen die Politiker von einer noch höheren Lebensarbeitsgrenze nichts wissen - noch nicht.

Senioren im Park -  Nullrunde für Rentner

In Dänemark sollen die Menschen länger arbeiten, die Anhebung des Rentenalters von derzeit 65 bis auf 67 Jahre ist dabei nur ein erster Schritt.

(Foto: dpa)

Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen sparte nicht mit dramatischen Worten, als er seinen Reformvorschlag präsentierte. "Es geht um das Überleben der dänischen Wirtschaft", sagte er. Und es geht, wie in anderen Ländern Europas auch, um die öffentlichen Finanzen. Der Regierungschef will deren Kollaps durch steigende Ausgaben für die Rentenversicherung vermeiden.

Rasmussen möchte die Dänen deshalb zwingen, künftig länger zu arbeiten. Die Anhebung des Rentenalters von derzeit 65 bis auf 67 Jahre ist dabei nur ein erster Schritt. Die heute 30-jährigen Dänen könnten bis weit über die 70 arbeiten müssen, bevor sie ihren Ruhestand genießen können.

In dem Land sind die Probleme einer alternden Gesellschaft bereits deutlich zu sehen. Vor der Finanzkrise litt die Wirtschaft unter akutem Fachkräftemangel. Mit einer Arbeitslosenquote von nur wenig mehr als drei Prozent herrschte zeitweise praktisch Vollbeschäftigung. Zugleich verabschiedeten sich qualifizierte Arbeitnehmer in Rente - die kann dank einer großzügigen Frühpension manchmal schon mit 60 Jahren beginnt. Es sei auf Dauer nicht machbar, dass man "völlig gesunde Menschen dafür bezahlt, dass sie aufhören zu arbeiten", wetterte Rasmussen.

Wenn es nach ihm ginge, soll es bereits von 2022 Rente erst mit 67 Jahren geben, also sieben Jahre früher als in Deutschland. Und von 2030 an ist sogar geplant, das Rentenalter an die durchschnittliche Lebenserwartung zu koppeln. Der Durchschnitts-Däne soll dann nur noch etwa 15 Jahre seines Lebens im Ruhestand verbringen, was für das Arbeitsleben der Menschen dramatische Folgen hätte: Experten rechnen vor, dass die Lebenserwartung in Dänemark von gut 82 Jahren bis 2030 stark steigt. Das Rentenalter würde sich dann letztlich auf 71 oder gar 74 Jahre erhöhen.

Noch ist die Reform äußerst umstritten, im Parlament gibt es dafür keine Mehrheit. Die sozialdemokratische Oppositionsführerin Helle Thorning-Schmidt nannte den Vorschlag einen "brutalen Eingriff". Die Opposition kritisiert aber vor allem die ebenfalls geplante Abschaffung der Frühpension. Die Anhebung des Rentenalters und dessen Koppelung an die Lebenserwartung sind dagegen kaum umstritten - anders als in anderen europäischen Nationen, wo die Pläne für ein höheres Rentenalter die Menschen teilweise auf die Straßen treiben. In Spanien könnte es deshalb zum Generalstreik kommen. In Frankreich gingen Hunderttausende auf die Straße. Und in Großbritannien dürften die Gewerkschaften wegen der geplanten Abschaffung der Zwangsrente mit 65 auch nicht schweigen.

Eine mathematische Notwendigkeit

Ob Rente mit 67, 69 oder 71 - in Deutschland ist eine noch höhere Altersgrenze bisher kein Thema. "Darüber jetzt zu diskutieren, ist unsinnig. Wir sollten zunächst die Rente mit 67 konsequent umsetzen", heißt es bei dem Arbeitgebern. Und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) will erst recht nichts davon hören: "Ein Rentenalter von 68 oder gar 71 ist völlig absurd", sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Weniger als zehn Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten schafften es, überhaupt bis 65 zu arbeiten. Daher werde schon die Rente mit 67 "für die meisten zu einer reinen Kürzung der Altersbezüge". Falsch sei es auch, die flexiblen Übergänge vor dem gesetzlichen Rentenalter zu beseitigen. "Wir brauchen abgesicherte Übergänge zwischen Arbeitsleben und Rente, damit diejenigen, die es nicht bis zum Rentenalter schaffen, nicht abstürzen", forderte Buntenbach.

Trotzdem gibt es nicht wenige Experten, die prophezeien: An der Rente mit 69 führt auf Dauer kein Weg vorbei. Das meint zum Beispiel die Bundesbank. Deren Volkswirte schrieben im Juli 2009, dass "bis 2060 eine weitere Anhebung des Rentenalters auf 69 Jahre notwendig" sei. Ein Sturm der Entrüstung, zumindest in Berlin, war die Folge - es war damals gerade Wahlkampf.

Die Argumente der Banker orientieren sich am kleinen Einmaleins des Rentenversicherungssystems: So wird zwar mit Einführung der Rente auf 67 Jahre die Altersgrenze erhöht. Doch auch danach sei "mit einem beinahe konstanten Anstieg der ferneren Lebenserwartung um gut einen Monat pro Jahr" zu rechnen. Der Beitragssatz von derzeit knapp 20 müsste deshalb bis 2060 auf 24 Prozent steigen, um die höhere Ausgaben zu decken. Und wolle man steigende Abgaben für Arbeitnehmer und Arbeitgeber vermeiden, ließe sich dies nur durch eine Anhebung des Rentenalters auf 69 Jahre verhindern, so die Bundesbank.

Genauso sieht es Bernd Raffelhüschen, Leiter des Forschungszentums Generationenverträge an der Universität Freiburg, ein bekannter aber nicht gerade unumstrittener Kritiker des deutschen Rentensystems. Er sagt: Man müsse über den Vorschlag der Bundesbank ernsthaft diskutieren, "wenn wir auch in den nächsten Jahren nicht mehr Kinder bekommen". Für Raffelhüschen ist dies sozusagen eine mathematische Notwendigkeit: "Von Generation zu Generation verlängert sich unsere Lebenszeit um vier Jahre." Es sei deshalb nur logisch, dass die Erwerbstätigen länger arbeiten müssen, um gleichzeitig für die Rentner weiter zahlen zu können.

Die Rente mit 69 ist aber noch weit weg. Politiker, die eine Reform der Reform nicht ausschließen, werden sofort zurückgepfiffen. Dazu ist das Thema zu unpopulär. Die Kritiker der Rente mit 67 führen an, dass viele Ältere vor Eintritt in den Ruhestand arbeitslos seien, weil es nicht genügend Jobs für Menschen über 60 Jahre gebe. Außerdem schafften es Arbeitnehmer mit körperlich anstrengenden Tätigkeiten, nicht einmal bis 65 zu arbeiten. Das Bundesarbeitsministerium hält entgegen, dass sich die Zahl der Erwerbstätigen im Alter zwischen 55 und unter 65 Jahren seit 2005 um 23,5 Prozent erhöht hat.

So oder so: Es ist noch viel Zeit, um sich aufs längere Arbeiten einzustellen. Von 2012 an steigt die Altersgrenze in insgesamt 18 Schritten, bis 2030 die Rente mit 67 endgültig gilt.

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