Süddeutsche Zeitung

Quartiere:Groß, grün, günstig

Um die Klimaziele zu erreichen, müssten in Deutschland viel mehr Häuser saniert werden. Effizienter als einzelne Maßnahmen sind Konzepte für ganze Quartiere. Diese Beispiele zeigen, wie es funktioniert.

Von Ralph Diermann

Hier eine dicke Dämmung auf die dünne Fassade, dort statt der alten zugigen Fenster neue mit Dreifachverglasung, ein paar Häuser weiter anstelle des betagten Ölkessels eine moderne Holzheizung: Solche punktuellen Maßnahmen verringern zwar den CO₂-Ausstoß - reichen aber längst nicht aus, um die deutschen Klimaschutzziele im Gebäudesektor zu erreichen. Gerade mal ein Prozent des Bestands wird heute pro Jahr energetisch saniert. Die Quote müsste jedoch annähernd doppelt so hoch liegen, hat die Deutsche Energie-Agentur dena ausgerechnet.

Die Klimaziele verlangen also ein großflächigeres Vorgehen. Hier setzen die sogenannten Quartierskonzepte an: Statt einzelner Gebäude nehmen sie ganze Straßenzüge, Siedlungen oder gar Viertel ins Visier, die dann in einem Zug saniert werden. Dabei entstehen allerlei Synergieeffekte. So sinken die Kosten, wenn Leistungen und Materialien in größeren Mengen eingekauft werden. Vor allem aber erlaubt der Quartiersansatz, Technologien zu verwenden, die sich für einzelne Häuser oft nicht eignen - effiziente Blockheizkraftwerke (BHKWs) beispielsweise, die mehrere Gebäude über ein Nahwärmenetz versorgen. Und: Der Quartiersansatz macht es möglich, die Strom- und die Wärmeversorgung sowie die Elektromobilität miteinander zu verknüpfen. Mit Solarstrom von den Dächern der Gebäude im Quartier zum Beispiel können nicht nur die Bewohner versorgt, sondern auch Wärmepumpen oder Ladestationen für E-Autos betrieben werden.

"Energetische Quartierskonzepte sind vor allem dann sinnvoll, wenn bei den meisten Gebäuden dort Sanierungsbedarf besteht und die Eigentümer bereit sind, zu investieren", sagt Kirsten Klehn vom Hannoveraner Büro "plan zwei Stadtplanung und Architektur", das im Auftrag des Bundes Quartierskonzepte wissenschaftlich begleitet. Am einfachsten, erläutert die Expertin, lassen sich solche Konzepte umsetzen, wenn die Immobilien einem einzigen oder wenigen Eigentümern gehören, wie es zum Beispiel meist bei den Großsiedlungen der Fünfziger- bis Achtzigerjahre der Fall ist.

Ist die Eigentümerstruktur dagegen sehr heterogen, etwa in Einfamilien- oder Reihenhaus-Siedlungen, wird es schwieriger. "Aber auch hier gibt es viele Erfolgsbeispiele", sagt Klehn. Klimaschutz allein reiche hier allerdings selten als Motivation. "Um private Eigentümer ins Boot zu holen, sollte man zum Beispiel mit dem Komfortgewinn und der Steigerung des Immobilienwertes für eine Beteiligung werben oder die energetische Sanierung mit einem altersgerechten Umbau der Häuser verknüpfen", meint die Architektin. Beim Quartiersansatz gehe es nicht nur um Energie und Klimaschutz, sondern darum, die Entwicklung der Quartiere ganzheitlich zu betrachten und ihnen insgesamt neue Perspektiven und Entwicklungschancen zu eröffnen.

Die staatliche Förderbank KfW trägt 65 Prozent der Kosten für das Erstellen eines Quartierskonzeptes. Ebenso übernimmt sie einen großen Teil der Kosten für Sanierungsmanager, die die Akteure vernetzen, die einzelnen Maßnahmen koordinieren und als Anlaufstelle für Eigentümer und Mieter dienen. Kommunen können die Mittel genauso in Anspruch nehmen wie Wohnungsbaugesellschaften oder Versorger. Fast 1000 Projekte hat die KfW seit der Auflage des Programms vor fast zehn Jahren gefördert. Nun könnten es noch einmal deutlich mehr werden, weil das Ende Juni im Bundestag verabschiedete Gebäudeenergiegesetz (GEG) Quartierskonzepten zugute kommt:

Werden im Zuge einer umfassenden Modernisierung einzelne Immobilien innerhalb eines Quartiers besonders ambitioniert saniert, sinken die Anforderungen an den energetischen Standard anderer Gebäude in der Nachbarschaft. Effizienzexperten und Klimaschützer kritisieren das allerdings als Rosinenpickerei - unter dem Strich bleibe damit viel Potenzial ungenutzt.

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Quelle:
SZ vom 10.10.2020
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