Probleme beim Tarifwechsel:Versichert und gefesselt

Wer Privatpatient ist, kann oft nur unter Mühen den Tarif wechseln. Die Taktik der Versicherungen: Sie reagieren nicht auf Anfragen oder greifen zu Ausflüchten. Die Finanzaufsicht hält das nur für Einzelfälle. Doch Verbraucherschützer sehen keinen Grund zur Entwarnung.

Von Ilse Schlingensiepen

Irgendwann wird es Günter Tembaak zu viel. Der selbständige Kaufmann aus dem westfälischen Lüdinghausen ist es gewohnt, dass die Beiträge für seine private Krankenversicherung (PKV) regelmäßig steigen. Aber dann kommt plötzlich ein Sprung, den er nicht mehr mitmachen will. "Seit April 2011 hatte ich 400 Euro im Monat gezahlt, im Mai 2012 sollten es plötzlich 640 Euro sein", berichtet Tembaak. Der heute 51-Jährige ist bei der Union Krankenversicherung (UKV) versichert, die zur Versicherungskammer Bayern gehört. Er wusste, dass er die Prämienerhöhung nicht klaglos hinnehmen musste.

Nach Paragraf 204 des Versicherungsvertragsgesetzes haben privat Krankenversicherte das Recht, bei ihrem Anbieter in einen anderen Tarif mit gleichartigem Versicherungsschutz zu wechseln und die angesparten Alterungsrückstellungen mitzunehmen. Dennoch versuchen eine Reihe von PKV-Unternehmen, den Kunden den Wechsel so schwer wie möglich zu machen. Schließlich fließt nach einem solchen Schritt in der Regel deutlich weniger Beitrag.

Die Taktik der Unternehmen: Sie reagieren nicht auf Anfragen, teilen den Versicherten mit, ein Wechsel sei nicht möglich, oder greifen zu Ausflüchten. Viele Kunden verzichten dann auf ihr Wechselrecht. Andere holen sich professionelle Hilfe bei spezialisierten Dienstleistern, die Kunden beim Wechsel unterstützen und dafür hohe Honorare nehmen.

Finanzaufsicht prüft Einzelfälle

Das hat Günter Tembaak getan. Er hat seinen Fall sofort an die Delegare AG aus Ulm gegeben. Das ist die Ausnahme, weiß Delegare-Vorstand Harald Leissl: "Fast jeder Kunde, der zu uns kommt, hat es vorher erfolglos selbst versucht." Nachdem Delegare für Tembaak eine günstige Alternative gefunden hatte, teilte der Versicherer mit, dass ein Wechsel nicht möglich sei. Begründung: Der Zieltarif sei ein geschlossener Tarif, also einer, der Neukunden nicht mehr offensteht. Häufig gelten diese Tarife als unattraktiv, weil dort starke Prämienerhöhungen drohen. Das ist aber nicht immer der Fall, betont Leissl. "Eine Menge geschlossener Tarife sind richtige Schnäppchen."

Die UKV beharrte lange auf ihrer Haltung. Erst als Delegare mit einem Prozess drohte, gab der Versicherer nach. Aus gutem Grund: Die Finanzaufsicht Bafin hält einen Wechsel in geschlossene Tarife durchaus für möglich. "Dem Gesetzeswortlaut sind keine Anhaltspunkte zu entnehmen, die auf eine Beschränkung des Wechselrechts auf Tarife, die ein Versicherungsunternehmen im Neugeschäft anbietet, hindeuten", sagt eine Sprecherin. Die UKV äußert sich nicht zu ihrem Vorgehen im Fall Tembaak. Heute würden solche Tarifwechsel nicht mehr abgelehnt, sagt ein Sprecher lediglich.

Die Bafin prüft zurzeit mehrere Fälle, in denen Versicherer den Wechsel mit Hinweis auf den geschlossenen Tarif verweigern. Sie hält das aber für Einzelfälle. "Die Bafin hat keine Anhaltspunkte, dass sich PKV-Unternehmen flächendeckend und systematisch nicht an das Tarifwechselrecht halten", sagt die Sprecherin.

"Viele Leute lassen sich abschrecken"

Grund zur Entwarnung besteht dennoch nicht, sagen Verbraucherschützer. "Es gibt große Probleme beim Tarifwechsel", berichtet Bianca Boss vom Bund der Versicherten (BdV). Der BdV bietet Mitgliedern Unterstützung beim Tarifwechsel an. Boss weiß, dass sich Versicherer immer neue Tricks einfallen lassen, um den Kunden ihr Recht zu verweigern. "Viele Leute lassen sich abschrecken, denn sie wissen gar nicht, dass sie sich wehren können."

Die sogenannten Beitragsoptimierer wie Delegare sieht Boss skeptisch. Zum Teil würden solche Unternehmen die Kunden in Tarife bringen, die zwar günstiger sind, aber schlechtere Leistungen bieten. Der Optimierer verdient trotzdem, sein Honorar bemisst sich daran, wie viel Geld die Versicherten bei der Prämie sparen.

Bei Delegare zahlt der Kunde nach erfolgreichem Tarifwechsel immerhin eine Netto-Jahresersparnis. "Es war mir klar, dass ich für die Dienstleistung bezahlen muss", sagt Günter Tembaak. Er spart jetzt fast 3900 Euro im Jahr, sein Leistungsumfang hat sich nicht verschlechtert, sagt er. "So viel hätte ich allein bestimmt nicht rausgeholt." Im Durchschnitt zahlen die Kunden hinterher 2500 Euro weniger, sagt Delegare-Chef Leissl.

"Wir müssen transparenter werden"

Der Branchenspitze sind die Probleme bewusst. Der Tarifwechsel gehöre zu den Themen, denen die Versicherer mehr Aufmerksamkeit geben müssten, sagt der Vorsitzende des PKV-Verbands Uwe Laue. "Wir müssen transparenter werden und den Kunden offensiv aufzeigen, welche Möglichkeiten sie bei ihrem Unternehmen haben", ,meint Laue, der Vorstandschef des Marktführers Debeka ist.

Laue lobt den Konkurrenten DKV. Er bietet Kunden einen Online-Tarifcheck an. Dort können sie sehen, welche anderen Tarife ihnen offenstehen, welche Leistungen diese umfassen und welche Beiträge dafür fällig werden. "So etwas wünsche ich mir von allen Unternehmen, die mehrere Tarife anbieten", sagt Laue. Die PKV-Branche weiß, dass sie sich bewegen muss. Das Thema Tarifwechselrecht steht in den laufenden Verhandlungen von Union und SPD über eine große Koalition auf der Agenda der Arbeitsgemeinschaft Gesundheit.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: