Preise im Sinkflug:Im Einkaufs-Paradies

Deutschland, ein Schlaraffenland: Die Preise für viele Produkte sind deutlich gefallen - davon profitieren vor allem die Geringverdiener.

Helga Einecke

Im Schlaraffenland fließen Flüsse aus Milch, Honig und Wein. Statt Steinen liegen Käseviertel herum. Brathendl fliegen durch die Luft. Von dieser Utopie voller Nahrung und Genuss träumten die Menschen im Mittelalter. Heute kennen es Omas, Opas und Kinder als ein Märchen. In diesem Sommer kommen die Verbraucher in Deutschland und Europa dem Schlaraffenland ein Stück näher. Die Preise steigen nämlich nicht mehr, sie sinken. Das ist eine angenehme Folge der Krise für Menschen. Die gute Nachricht ist ihnen nach all den Hiobsbotschaft zu gönnen. Die Deutschen sollten sie genießen, solange es geht.

Preisrutsch, Lebensmittel, Grafik: SZ

Die Preise für viele Lebensmittel sind zuletzt gefallen - andere Güter sind jedoch teurer geworden.

(Foto: Grafik: SZ)

Im Juli mussten die Verbraucher bereits etwas weniger aufwenden, um ihren Lebensstandard zu halten. Das hatte es zuletzt vor langer Zeit in Westdeutschland gegeben, nämlich vor dem Fall der Mauer. Die leichten Preisrückgänge könnten auch noch eine Weile anhalten, denn sie haben zwei entscheidende Ursachen. Erstens ist die Nachfrage nach Rohstoffen weltweit im Zuge der Krise zurückgegangen und hat deren Preise gedrückt.

Beim Füllen des Heizöl-Tanks spüren das die Deutschen in diesem Sommer am deutlichsten. Heizöl kostet fast die Hälfte weniger als vor einem Jahr. Der Treibstoff für das Auto lässt sich an der Tankstelle um ein Fünftel billiger zapfen. Trotz Reisezeit gaben die Preise für Super und Diesel nochmals leicht nach. Und sogar das Gas wurde etwas billiger.

Zweitens sorgen reiche Ernten und ein heftiger Wettbewerb im Einzelhandel für sinkende Preise der Lebensmittel. Die Ströme aus Milch bescheren tatsächlich Milchprodukte im Überfluss und wesentlich günstiger als vor einem Jahr. Selbst der Griff nach vitaminreichem Obst und Gemüse schont das Portemonnaie deutlich. Nur mit dem Honig klappt das nicht, der ist knapp und kostet.

Unter dem Strich überdeckt der Preisrutsch bei Energie und Lebensmitteln die Entwicklung der gesamten Kosten der Lebenshaltung. Rentner, Hartz-IV-Empfänger und andere Bürger mit geringen Einkommen geben einen relativ großen Teil für Lebensmittel, Miete und Nebenkosten aus, einfach weil sie für den Rest nicht so viel übrig haben.

Deshalb bedeuten die leicht sinkenden Preise auch, dass es derzeit ein wenig gerechter zugeht. Beispielsweise erhöhten sich die Wohnungsmieten im Juli ohne Nebenkosten nur leicht. Sie schlagen in den meisten Haushaltskassen als großer Posten zu Buche.

Nicht nur wegen der Bomben auf Mallorca, der Brände auf Palma oder der Hitzewellen im Süden bevorzugen viele Deutsche in diesem Jahr den Urlaub im eigenen Land. Bei den Flugreisen und Pauschal-Tripps haben Statistiker zweistellige Preisaufschläge registriert, wohl eine Folge des zuvor verteuerten Sprits für die Flugzeuge. Auch deshalb lässt es sich auf dem deutschen Campingplatz oder in der nahe gelegenen Ferienwohnung weit günstiger leben.

Im Idealfall wirkt der Stillstand bei den Preisen wie ein drittes Konjunkturpaket. Die Menschen kaufen mit dem Geld, das sie übrig haben, mehr Waren, sorgen für mehr Nachfrage und regen die Produktion an. Etliche haben das ja schon getan, sich ein neues Auto zugelegt und die Abwrackprämie kassiert. Bei anderen Produkten ist das weniger einfach. Keiner sollte essen, bis er platzt. Das Füllen des Heizöltanks schafft nicht mehr Arbeitsplätze in Deutschland, sondern bereichert Energiekonzerne und die Ölscheichs. Mit Gas kann man sich nicht in großem Umfang eindecken, auch nicht mit Strom.

Die Vertreibung aus dem Preis-Paradies wird kommen, eher im nächsten als in diesem Jahr. Sich gegen das nächste Anspringen der Inflation zu wappnen, ist äußerst schwer. Aber es gibt Möglichkeiten. Energie lässt sich dauerhaft sparen, etwa durch dichte Fenster oder einen modernen Eisschrank. Es steht jedem Verbraucher frei, gezielt Lebensmittel aus der Region zu kaufen. Das stützt die eigene Landwirtschaft und muss auch nicht immer teurer sein. Bei größeren Anschaffungen vergleicht der aufgeklärte Konsument die Preise und feilscht. So läuft das Spiel von Angebot und Nachfrage.

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