Süddeutsche Zeitung

Portugal:Auferstanden aus Ruinen

Das Ende der Mietpreisbremse löste einen Renovierungsboom aus. Das freut Investoren und Touristen, verdrängt aber viele Bewohner.

Von Thomas Urban

Mit aller Macht scheint die portugiesische Hauptstadt beweisen zu wollen, dass sie die große Wirtschaftskrise hinter sich lässt: An allen Ecken und Enden wird gehämmert, gefräst, geschliffen. Von der Burg über der Stadt sind Dutzende Baukräne auszumachen. Baulärm übertönt in vielen Vierteln den Straßenlärm. Doch entstehen meist keine neuen Gebäude, vielmehr werden Altbauten renoviert. Hunderte Fassaden in den älteren Stadtteilen sind eingerüstet und von riesigen Plastikplanen verhüllt. Viele der renovierten Fassaden erstrahlen in Rosa in allen möglichen Tönen und Schattierungen: Einst war es die Farbe von Liegenschaften der portugiesischen Krone, die später auch das wohlhabende Bürgertum übernommen hat. Rosa wurde so zur Farbe Lissabons.

Vor fünf Jahren hatte hier noch lähmender Stillstand geherrscht, die Stadt schien in Depression verfallen zu sein. Damals war Portugal am Rande des Staatsbankrotts gestanden, Kredite über 78 Milliarden Euro, die der Internationale Währungsfonds, die Europäische Zentralbank sowie die Europäische Union zur Verfügung stellten, retteten das Land in letzter Minute vor der Zahlungsunfähigkeit. Nicht nur Staat und Kommunen waren völlig überschuldet, sondern auch die Privathaushalte. Zu den Hauptursachen für die Krise gehörten überdimensionierte Infrastrukturprojekte und, wie im benachbarten Spanien, das Platzen einer Immobilienblase.

Vier Zimmer in bester Lage, für 100 Euro im Monat? Diese Zeiten sind vorbei

Zu den Bedingungen für das Kreditpaket zählte die Kontrolle des Staatshaushalts durch Experten der Geldgeber, der "Troika". Und die Verpflichtung, tief greifende Strukturreformen umzusetzen. Eine der Maßnahmen, die die konservative Reformregierung vor vier Jahren ergriff, war die Aufhebung der Mietpreisbremse. Vermieter bekamen die Möglichkeit, über fünf Jahre gestaffelt die Marktpreise zu erreichen, also bis 2017. Für viele Menschen war dies ein fundamentaler Eingriff in ihre Lebensbedingungen, doch löste diese Maßnahme den Renovierungsboom aus.

Lissabon hat während der vergangenen Jahrzehnte ein abschreckendes Beispiel für die Auswirkungen einer sozial gemeinten, allerdings völlig starren Mietpreisbindung abgegeben. Ausländische Touristen, die in die Stadt kommen, sind verstört von den auffallend vielen heruntergekommenen Häusern mit vernagelten Fenstern und verdreckten Fassaden. Im ganzen Stadtgebiet sind es mehrere Tausend. Es ist ein düsteres Erbe aus der Zeit der Diktatur, die 1974 mit der Nelkenrevolution endete. Zu den Maßnahmen des Regimes, die Bevölkerung ruhigzustellen, gehörte die Garantie für billigen Wohnraum: Mieter waren faktisch unkündbar, die Mieten konnten nur in wenigen Ausnahmefällen erhöht werden. Dieses System funktionierte, solange die Währung stabil war.

Doch in den Sechzigerjahren stieg die Inflation sprungartig an, weil das Regime die Unabhängigkeitsbewegungen in den Kolonien in Afrika bekämpfte und dafür zeitweise die Hälfte des Staatshaushalts verplemperte. Die Wirtschaftskrise führte 1974 zum Untergang des Regimes. Die neue Führung war links orientiert und dachte nicht im Geringsten daran, den Hausbesitzern, die als Kapitalisten geschmäht wurden, das Recht auf Mieterhöhungen als Inflationsausgleich zuzugestehen. Dabei blieb es die nächsten Jahrzehnte. "Keine der demokratischen Regierungen traute sich, die Mietpreisbremse anzutasten", sagt Manuel Neto, Experte der Lissaboner Niederlassung des Makler-Unternehmens Engel & Völkers.

Neto führt Beispiele von Häusern mit acht bis zehn Mietparteien an, die dem Eigentümer nur 1000 Euro brutto im Monat einbringen, obwohl der Marktwert das Zwanzigfache wäre. Er kennt Vier-Zimmer-Wohnungen in bester Lage, deren Mieter aufgrund der alten Verträge nur 100 Euro pro Monat zahlen, obwohl der Marktwert heute bei 3000 Euro läge. Die alten Bestimmungen sahen nämlich auch vor, dass Mietverträge vererbt werden können, falls einer der Nachkommen beim Tod des Hauptmieters dort mindestens sechs Monate gemeldet war. Die Garantien für die niedrigen Mieten wurden auch deshalb nicht von den Politikern angerührt, weil die Grundeinkommen im Durchschnitt überaus niedrig waren und es auch bis in die Gegenwart sind. Renten von 300 Euro sind keine Seltenheit.

Tausende Eigentümer sahen daher ihre Häuser mitsamt den Mietern als Verlustbringer an. Sie investierten nichts, die Häuser kamen herunter, viele wurden unbewohnbar und verfielen. Erst vor einem Jahrzehnt versuchte die damalige sozialistische Regierung, den augenfälligen Verfall im Herzen der Stadt aufzuhalten: Eine Gesetzesnovelle gestand Mieterhöhungen von bis zu zehn Prozent zu. Doch die Maßnahme blieb erfolglos, sie bedeutete nämlich, dass beispielsweise pro Quadratmeter in der Innenstadt nicht mehr ein Euro, sondern 1,10 Euro an Monatsmiete zu zahlen waren - zu wenig, um den Trend zu drehen. Erst die große Krise mit der Aufhebung der alten Mietpreisbindung brachte die Wende.

Allerdings sollen mehrere Bestimmungen verhindern, dass nun die Schwachen aus den angestammten Wohnungen verdrängt werden. So gelten die alten Garantien und Niedrigmieten weiter für alle Personen über 65 Jahre und für stark Behinderte. Doch sind die Verträge nicht mehr vererbbar. Wenn sich Vermieter und Nachkommen des bisherigen Hauptmieters nicht einigen können, so bleibt Letzteren immerhin ein volles Jahr, sich eine andere Bleibe zu suchen.

Mit den neuen Bestimmungen von 2012, besonders mit der Verdoppelung der Grundsteuer für leer stehende Häuser, kamen schlagartig auch viele der Ruinenhäuser auf den Markt. Manuel Neto berichtet, dass anfangs der Quadratmeter bei noch bewohnbaren Immobilien in guter Innenstadtlage für 800 bis 1000 Euro gehandelt worden sei. Innerhalb von drei Jahren haben sich die Preise für noch nicht renovierte Immobilien verdoppelt. Modernisierte Wohnungen im Zentrum kosten pro Quadratmeter mittlerweile 5000 bis 6000 Euro, in den besseren Wohngegenden sind die Preise teilweise bereits über 10 000 Euro geklettert. Wegen der steigenden Renditen ist Lissabon auch für internationale Investoren und Fonds interessant geworden.

Einen weiteren Impuls für den Renovierungsboom machten die wachsenden Touristenzahlen aus; Portugal konnte in der vergangenen Sommersaison neue Rekorde vermelden. Wie Spanien profitierte das Land von der Terrorangst, die viele Touristen aus den Ländern nördlich der Alpen Nordafrika und die Türkei meiden lässt. Einen beispiellosen Aufschwung nahm die Vermittlung von Privatwohnungen für Touristen über das Internet, vor allem über Airbnb. Hier versucht die Stadt gegenzusteuern, weil die private Vermietung an Touristen den bezahlbaren Wohnraum für die Einwohner der Stadt weiter verringert: Bislang wurde die Branche kaum kontrolliert, der Steuersatz lag bei ganzen fünf Prozent, damit sollte der Tourismus gefördert werden. Er soll nun, wie bei Langzeitvermietungen, auf 28 Prozent steigern.

Der Renovierungsboom dürfte indes zu einer Gentrifizierung ganzer Viertel führen, wie Manuel Neto von Engel & Völkers voraussagt: Sie werden sauberer, edler, aber auch viel teurer, sodass ein Teil der alteingesessenen Bewohner wegziehen muss. Die Meinungen darüber sind geteilt. Um das Problem abzufedern, haben Stadt und Regierung die steuerliche Begünstigung von renovierten Immobilien angekündigt, in denen die bisherigen Mieter bleiben können. Doch stehen dafür nur beschränkte Mittel zur Verfügung. Denn die Krise ist noch nicht bewältigt, die Staatsfinanzen sind noch längst nicht saniert.

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Quelle:
SZ vom 25.11.2016
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