Süddeutsche Zeitung

Photovoltaik:Aus der Sonne

Für viele Tausend Photovoltaik-Anlagen auf Hausdächern endet demnächst die Förderung. Die meisten der 20 Jahre alten Module sind in sehr gutem Zustand - trotzdem müssen sie womöglich abgeschaltet werden.

Von Ralph Diermann

Die Nachbarn haben schon komisch geschaut, damals, als er sich Photovoltaik-Module auf das Dach seines Einfamilienhauses schrauben ließ, erinnert sich Karl-Heinz Kemper. Vor knapp zwanzig Jahren war das. "Solarenergie galt damals noch als Öko-Spinnerei", erzählt der Rentner aus Paderborn. Kemper, einst als Ingenieur tätig, störte das nicht. "Mich hat die Photovoltaik vor allem in technischer Hinsicht fasziniert", erklärt er. Als die damalige rot-grüne Regierung im Jahr 2000 das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) verabschiedete, war für ihn klar: Jetzt kommen Module auf's Dach. Die Drei-Kilowatt-Anlage tut bis heute verlässlich ihren Dienst.

Das EEG garantiert, dass Haushalte für jede Kilowattstunde Strom, die sie ins Netz einspeisen, einen fixen Betrag bekommen - zwanzig Jahre lang. Für Photovoltaik-Pioniere wie Kemper ist diese Schwelle nun bald erreicht. Einer Analyse des Umweltbundesamtes zufolge endet zum 31. Dezember dieses Jahres für insgesamt 18 100 Photovoltaik-Anlagen die Förderung. Bis Ende 2025 kommen weitere 176 600 Solarsysteme dazu. Die meisten davon seien noch gut in Schuss, sagt Susanne Jung, Geschäftsführerin des Solarenergie-Fördervereins Deutschland (SFV). "Alte Module sind in der Regel sehr robust. Viele dieser Anlagen könnten sicher noch zehn Jahre weiter laufen", erklärt sie. Das gilt auch für das Solarsystem von Karl-Heinz Kemper. "Die Stromerträge sind im Laufe der Zeit nur marginal gesunken", sagt der Westfale. "Ich gehe davon aus, dass das auch noch eine Weile so bleibt."

Vielen Anlagen droht aus rechtlichen Gründen das Aus

Doch was tun mit dem Strom, wenn es dafür keine gesetzlich garantierte Vergütung mehr gibt? Eine naheliegende Lösung ist, so viel wie möglich davon selbst zu nutzen, sodass die eigene Stromrechnung niedriger ausfällt. Allerdings werden dann für jede vor Ort verbrauchte Kilowattstunde vierzig Prozent der EEG-Umlage fällig, die den Ausbau der erneuerbaren Energien finanziert. Das entspricht derzeit knapp drei Cent pro Kilowattstunde. Nicht viel Geld, angesichts von Strompreisen um die dreißig Cent.

Deutlich stärker fällt jedoch ins Gewicht, dass die Anlagenbetreiber dafür ihren Zähler umrüsten und die Eigenverbrauchsdaten an ihren Netzbetreiber melden müssen. "Das ist ein enormer Aufwand", sagt Andreas Henze vom Solarverband Bayern.

Dazu kommt eine rechtliche Unsicherheit: Derzeit ist nicht klar, ob alte Anlagen, die künftig auch der Eigenversorgung dienen sollen, den neuesten technischen Normen entsprechen müssen. Wäre das der Fall, müssten die Haushalte mehrere Hundert Euro in die Modernisierung der Anlagen investieren. Henze ist deshalb überzeugt: "Unter der derzeitigen Rechtslage ist der Eigenverbrauch nicht sinnvoll."

Die ohnehin geplante Novellierung des EEG bietet nun die Gelegenheit, die Bedingungen für den Eigenverbrauch von Solarstrom aus Altanlagen zu verbessern. Das zuständige Bundeswirtschaftsministerium hat bereits signalisiert, hier tätig werden zu wollen. Doch auch wenn die rechtlichen Hürden aus dem Weg geräumt sind, können Haushalte nur einen kleinen Teil ihres Solarstroms selbst nutzen. Denn die Erzeugung richtet sich nicht nach dem Bedarf der Bewohner, sondern allein nach dem Wetter - an vielen Tagen im Jahr liefern die Anlagen mehr Strom, als die Haushalte benötigen. Zwar könnten sie die Eigenverbrauchsquote steigern, indem sie einen Batteriespeicher installieren. Das wäre jedoch nicht wirtschaftlich, da kleine Akkus noch vergleichsweise teuer sind.

Die Anlagenbetreiber stehen also vor der Aufgabe, für den Großteil ihres produzierten Stroms einen Abnehmer zu finden. Diese Pflicht zur sogenannten Direktvermarktung gilt für die Betreiber großer Erneuerbare-Energien-Anlagen schon länger. Sie beauftragen dazu Dienstleister, die für sie den Strom an der Börse verkaufen. Für kleine Photovoltaik-Anlagen sei das jedoch keine Option, sagt Henze. "Es gibt schlichtweg keine Anbieter, die dazu bereit wären, weil die zu vermarktenden Strommengen viel zu gering sind. Das lohnt sich für sie nicht", erklärt der Solarexperte. Und selbst wenn sich doch Unternehmen fänden, auch diese Kundengruppe zu bedienen, wäre das für die Haushalte nicht rentabel: "Sie müssten dafür ihre Anlage aufrüsten, unter anderem mit einem neuen Zähler. Diese Investitionen würden sie über die Erlöse an der Börse niemals wieder einspielen können", sagt Henze.

Den Strom verschenken? Auch das ist nicht möglich

Den Strom einfach zu verschenken, indem die Haushalte ihn ohne Vergütung ins Netz einspeisen, ist keine Alternative - das wäre rechtswidrig, da die Netzbetreiber ihn dann nicht bei ihrer Bilanzierung berücksichtigen können. Angebot und Nachfrage müssen im Stromnetz immer im Gleichgewicht sein. "Wildes Einspeisen" würde es erschweren, diese Balance zu wahren.

Der Eigenverbrauch nicht sinnvoll, eine Direktvermarktung nicht möglich, Verschenken nicht erlaubt - angesichts dessen sieht Susanne Jung vom Solarenergie-Förderverein Deutschland ein echtes Dilemma für die Solar-Pioniere. "Es ist zu befürchten, dass ein sehr großer Teil der Anlagen, die ab kommendem Jahr aus der Förderung fallen, einfach abgeschaltet werden, obwohl sie noch lange Zeit weiter Strom erzeugen könnten. Aus Klimaschutz-Sicht wäre das fatal", erklärt die Energieexpertin.

Laut Umweltbundesamt kommen die bis Ende 2025 betroffenen Anlagen auf eine Leistung von zusammen fast zwei Gigawatt, die dann für die Energiewende fehlen würde. Das entspricht drei mittelgroßen Kohlekraftwerksblöcken.

Das Umweltbundesamt hat deshalb vor Kurzem einen Vorschlag vorgelegt, der verhindern soll, dass die Anlagen tatsächlich vom Netz gehen: Der eingespeiste Strom sollte mit dem sogenannten Marktwert vergütet werden, ohne dass ein Dienstleister eingeschaltet werden muss. Der Marktwert bewegt sich derzeit zwischen 3,5 bis 4,5 Cent pro Kilowattstunde. Die Anlagenbetreiber könnten so ohne großen Aufwand ihren Strom loswerden, den sie nicht selbst verbrauchen - und erhielten dafür auch noch etwas Geld.

Jessica Berneiser vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) steht dieser Idee positiv gegenüber. "Das Durchleiten des Marktwertes ist für kleine Anlagen aus heutiger Sicht kurzfristig ein sinnvolles Instrument, um deren Weiterbetrieb zu sichern", erklärt sie.

Berneiser verweist darauf, dass die Bundesregierung ohnehin verpflichtet ist, eine Regelung dieser Art zu beschließen. "Die jüngste Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU sieht vor, dass Anlagenbetreiber das Recht haben, den Strom, den sie nicht selbst verbrauchen können, ins Netz einzuspeisen und dafür eine Vergütung zu Marktpreisen zu erhalten", erklärt Berneiser. Außerdem verlange die Richtlinie, dass der Eigenverbrauch von Abgaben und Umlagen freigestellt werden müsse. Die Bundesregierung ist nun gefordert, die EU-Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.

Die Bundesregierung hat das Problem erkannt. Eine Lösung gibt es aber noch nicht

Auch der Solarenergie-Förderverein begrüßt den Vorschlag des Umweltbundesamtes - hält den Marktwert aber für zu gering, um einen Anreiz für den Weiterbetrieb zu setzen. Stattdessen fordert der Verband eine Vergütung von 7 bis 7,5 Cent pro Kilowattstunde. "Die Betreiber machen damit keinen Gewinn, sondern kompensieren nur ihre Kosten, etwa für den neuen Zähler oder die Versicherung", sagt Geschäftsführerin Jung. Wobei aus einer Umfrage des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme unter fast 1400 Anlagenbetreibern, deren Förderung in den nächsten Jahren ausläuft, hervorgeht, dass es auf die Höhe der Vergütung letztlich gar nicht so sehr ankommt: "Vielen Anlagenbetreibern geht es nicht in erster Linie um Geld - sie wollen ihre Anlage weiter laufen lassen, um die Energiewende voranzubringen, das Klima zu schützen, oder auch, um sich ein Stück weit unabhängig von den Versorgern zu machen. Dafür brauchen sie einen rechtlichen Rahmen, der ihnen den Weiterbetrieb ermöglicht", sagt Berneiser.

Die anstehende EEG-Novelle bietet die Gelegenheit, nicht nur die Bedingungen für den Eigenverbrauch von Strom aus Altanlagen zu verbessern, sondern auch eine unbürokratische Regelung für die Einspeisung ins Netz festzulegen. Ursprünglich war vorgesehen, die Neufassung bis zum Sommer dieses Jahres zu verabschieden. Mit der Corona-Krise verzögert sich nun aber das Verfahren. Für die Eigentümer von Photovoltaik-Anlagen, deren Förderung demnächst ausläuft, bringt das eine große Unsicherheit - es ist nicht auszuschließen, dass sie ihre Solarsysteme zum Jahresende tatsächlich abschalten müssen, weil es an einer rechtlichen Basis für den Weiterbetrieb fehlt.

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Quelle:
SZ vom 02.05.2020
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