Peking:Im post-olympischen Blues

Ein Jahr nach den pompösen Spielen veröden in China Hotels, Bürotürme, Stadien - und die Hoffnung auf politischen Wandel und Verbesserung der Menschenrechte sinkt.

Von Henrik Bork, Peking

Das größte verlassene Vogelnest der Erde steht in Peking. Das Olympiastadion wird kaum noch genutzt. Straßenhändler verhökern vor seinen Toren falsche Goldmedaillen an Touristen. "Olympische Goldmedaillen, billig, billig", rufen sie. Touristen zahlen dafür, die leere Arena fotografieren zu dürfen. Aber als Sportstadion oder für Konzerte ist der riesige Prestigebau mit seinen 90.000 Plätzen zu groß. Genau ein Jahr nach den Olympischen Spielen in Peking symbolisiert das Vogelnest das zweifelhafte Erbe dieser Mega-Party.

Peking: Das riesige Olympiastation von Peking, genannt "Vogelnest", ist verwaist. Allenfalls dient es noch als Kulisse - hier für ein öffentliches Tischtennisturnier.

Das riesige Olympiastation von Peking, genannt "Vogelnest", ist verwaist. Allenfalls dient es noch als Kulisse - hier für ein öffentliches Tischtennisturnier.

(Foto: Foto: Reuters)

Wie schon bei der Eröffnungsfeier am 8. August 2008 soll nun wieder Regisseur Zhang Yimou mit einem Massenspektakel das Nest füllen. Zum 60. Geburtstag der Kommunistischen Partei im Herbst wird der Künstler seine Version der Puccini-Oper Turandot neu inszenieren. Die Olympiastätte dient also weiter dem propagandistischen Glanz der Einparteien-Diktatur. Kritische Fragen hingegen, welches wirtschaftliche Erbe diese Spiele der Stadt hinterlassen haben, Fragen also, wie sie in jeder anderen ehemaligen Olympiastadt selbstverständlich wären, dürfen von Chinas gleichgeschalteter Presse nicht gestellt werden.

Leerstand allenthalben

Mehr als 100 Millionen Euro Profit wollen die Kommunisten mit den Spielen gemacht haben. Aber wer glaubt das in einem Land, in dem Wirtschaftsstatistiken genauso gefälscht werden wie das Alter der turnenden Olympiakinder? Der "post-olympische Blues" jedenfalls ist in Peking deutlich zu spüren. Dass kurz nach den Spielen die Weltwirtschaftskrise ausgebrochen ist, hat die Sache nicht besser gemacht.

Die Hotels in Peking waren in diesem Juni nur zu 49,7 Prozent belegt. Und die Zimmer, die noch gebucht waren, erwirtschafteten 28,1 Prozent weniger Einnahmen als im Vorjahr. Im "Central Business District" der Hauptstadt stehen viele Bürohochhäuser leer, die im vorolympischen Bauboom wie Bambussprossen hochgeschossen waren.

Doch ein Regime, das seinen Bürgern gegenüber nicht rechenschaftspflichtig ist, braucht sich um all das keine Sorgen zu machen. Die ganz großen Immobiliengeschäfte, möglicherweise ein heimlicher Hauptgrund für die Ausrichtung olympischer Spiele schlechthin, hatten die Parteibonzen ohnehin schon im Vorfeld gemacht.

Nur hier und da musste einer geopfert werden, der es übertrieben hatte. Du Shicheng, Ex-Parteisekretär von Qingdao, wo die olympischen Segelwettbewerbe ausgetragen wurden, war schon vor den Spielen verhaftet worden, weil er knapp eine Million US-Dollar an Bestechungsgeldern kassiert hatte.

Grüner als vorher

Doch das war geradezu bescheiden im Vergleich zu dem, was Li Pei Ying eingesteckt hat: Hundert Millionen chinesische Yuan, rund zehn Millionen Euro, hatte der Topmanager der Pekinger Flughafengesellschaft während des Olympiabooms in die eigene Tasche gewirtschaftet. Im Februar ist er zum Tode verurteilt worden, mit einer zweijährigen Gnadenfrist.

Das neue, von Sir Norman Foster gebaute Terminal 3 des Flughafens allerdings gereicht der Stadt eindeutig zur Zierde. Auch andere positive Veränderungen sind zu verzeichnen. Die Stadt ist grüner als vorher. Die Wohnungen rund um den neuen Olympiapark sind bei den Pekingern sehr beliebt. Und die neuen U-Bahnen sind so voll, dass es aberwitzig erscheint, dass die Stadt jemals ohne sie auskommen konnte.

Die Luft scheint auch besser zu sein, auch wenn die Ursache dafür umstritten ist. 146 "Blaue-Himmel-Tage" hat die Stadtregierung in der ersten Hälfte dieses Jahres (181 Tage) gezählt, mehr als im gesamten Jahrzehnt davor. Allerdings waren mehr als die Hälfte der kleinen Stahl- und Zementwerke rings um die Stadt, die schon während der Spiele abgeschaltet waren, wegen der Wirtschaftskrise langfristig eingeschlummert. Und blauer Himmel ist nicht unbedingt ein Beweis für gesunde Atemluft.

Verhaftungen und Gefängnis

Nach wie vor weigern sich Chinas Behörden, die wichtigsten Schadstoffe in der Luft überhaupt zu messen. An einem Tag, an dem die Luft laut Regierung mal wieder besonders gut sein sollte, verschickte die amerikanische Botschaft kürzlich per Twitter eine Warnung vor "Gesundheitsrisiken" an ihre Landsleute. An vielen Tagen hängt noch immer eine dicke Smogwolke über Peking. Möglicherweise aber haben all die Presseberichte über die Luft ein neues Umweltbewusstsein geschaffen. So etwas ist schlecht messbar.

Die Wunschträume des Auslands, die Olympiade könnte auch die Lage der Menschenrechte in China verbessern, haben sich hingegen in Luft aufgelöst. Hu Jia, wegen olympiakritischer Äußerungen im Gefängnis, hat gerade einen weiteren Geburtstag in seiner Zelle verbracht. Vor wenigen Tagen ist zudem der Anwalt Xu Zhiyong festgenommen worden, weil er eine unabhängige Untersuchung der vorolympischen Tibetunruhen veröffentlicht hat. Der große Zirkus mit den bunten Ringen mag weitergezogen sein, wird nun im Osten Londons die Immobilienpreise entfesseln, doch Chinas politische Gefangene sitzen weiter hinter Gittern.

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