Peer Steinbrück:Gruselige Optionen

Wer auch immer vom Herbst an Finanzminister sein wird - er muss einen aberwitzigen Schuldenberg abtragen und sich in wilde Verteilungskämpfe stürzen.

Claus Hulverscheidt

Noch weiß niemand, was die Gefühlslage der zuletzt 515.538 Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands am frühen Abend des 27. September prägen wird - das Entsetzen über eine krachende Niederlage oder die Verzückung über einen nicht mehr für möglich gehaltenen Sieg. Für einen Genossen aber wird der Tag der Bundestagswahl so oder so zu einer Art Heimsuchung werden: Verliert die SPD, dann wird auch er sein Amt verlieren. Rettet sich die Partei dagegen erneut in eine Koalition, dann muss Peer Steinbrück Finanzminister bleiben. Welches der gruseligere Gedanke ist, kann nur er selbst beantworten.

Peer Steinbrück, AFP

Egal, wer ab dem Herbst Finanzminister sein wird: Peer Steinbrück oder sein Nachfolger muss einen immensen Schuldenberg abtragen.

(Foto: Foto: AFP)

Wer auch immer in den nächsten vier Jahren im ehemaligen Reichsluftfahrtministerium an der Berliner Wilhelmstraße das Sagen haben wird, er wird wenig anderes tun können, als den Mangel zu verwalten. Potentielle Bewerber sollten dazu einen Blick in Steinbrücks Finanzplanung für die Jahre 2010 bis 2013 werfen, die das Kabinett an diesem Mittwoch verabschieden will. Allein 2010, dem ersten vollen Amtsjahr der nächsten Bundesregierung, wird die Neuverschuldung demnach bei gut 100 Milliarden Euro liegen. Das ist zweieinhalb Mal so viel wie der bisherige Rekordwert Theo Waigels aus dem Jahr 1996.

Noch schlimmer aber ist: Selbst wenn die Wirtschaft nach der tiefsten Rezession der Nachkriegszeit wieder mit annähernd zwei Prozent wachsen sollte, wie Steinbrück hofft, wird am Ende der Legislaturperiode noch immer ein Defizit von etwa 45 Milliarden Euro zu Buche stehen. Damit würde die nächste Regierung dort enden, wo die derzeit amtierende 2005 angefangen hatte.

Aber auch damit ist es nicht genug, denn zu allem Überfluss greift von 2011 an die soeben im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse. Sie zwingt den Bund dazu, die Lücke im Etat bis 2016 in kleinen Schritten auf 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung zu verkleinern. Will die Politik ihr vermeintliches Jahrhundertwerk nicht gleich desavouieren, wird sie allein im Jahr 2013 zusätzlich fast 20 Milliarden Euro auftreiben müssen. Man muss kein studierter Volkswirt sein, um zu wissen, dass bei einer solchen Größenordnung nur zwei Möglichkeiten bleiben: Entweder müssen die Sozialausgaben drastisch gekürzt oder aber die Steuern ebenso drastisch angehoben werden.

Sollte nach dem 27. September eine bürgerlich-liberale Koalition regieren, darf sich vor allem die Bundesagentur für Arbeit auf erhebliche Einschnitte einstellen. Der politische Preis, den Kanzlerin Angela Merkel dafür zahlen müsste, wäre allerdings hoch, denn er würde den nach einer SPD-Wahlniederlage ohnehin zu befürchtenden Linksruck der Partei erheblich beschleunigen. Im Ergebnis käme es zu einem Wettlauf zwischen Sozialdemokratie und Linkspartei um die vermeintlich sozialste Politik und wohl auch zu heftigen Protesten auf den Straßen.

Merkels Alternative wäre aber eine neuerliche Anhebung der Mehrwertsteuer auf womöglich gleich 25 Prozent. Das wäre aber nicht nur höchst unpopulär, sondern würde auch die von Union und FDP zugesagten Steuersenkungen konterkarieren. Bliebe dagegen die SPD an der Macht beteiligt, dürfte es zu einer Debatte über die Einführung einer wie auch immer gearteten neuen "Reichensteuer" kommen. Dies wiederum würde weder die Union noch die FDP als Koalitionspartner mitmachen. Ein Bruch des Regierungsbündnisses wäre programmiert.

Die nächste Wahlperiode wird wegen der katastrophalen Finanzlage von Verteilungskämpfen geprägt sein, wie sie die Republik lange nicht gesehen hat und in deren Zentrum auch der Finanzminister stehen wird. Sein Name wird zudem auf Jahre hinaus mit der größten Neuverschuldung aller Zeiten verbunden bleiben. Für einen selbsternannten Haudegen wie Peer Steinbrück, der es mit ein bisschen mehr Mumm noch vor sechs Monaten in der Hand gehabt hätte, erstmals seit 1969 ein Jahr ohne neue Kredite abzuschließen, wahrlich trübe Aussichten.

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