Süddeutsche Zeitung

Oscar-Verleihung:Der Zorn des Charles F.

Ein US-Millionär sorgt für den einzig politischen Moment der Oscar-Verleihung. Sein Film ist eine so penible wie bittere Analyse der Finanzkrise. Und seine Wut auf die Banker ist noch nicht verraucht.

Angelika Slavik

Da stand er also auf dieser Bühne im Kodak-Theater, in der Hand die Oscar-Statuette für den besten Dokumentarfilm, und beschimpfte den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Sehr laut und ziemlich derbe. "Shame on you!", rief er und auf seiner Stirn glänzte der Schweiß. "Shame on you!"

Das war 2003, der Mann auf der Bühne war der US-Filmemacher Michael Moore und der Präsident, dem seine Worte galten, hieß George W. Bush. Und die Oscar-Verleihung? Die war damit zu einer durch und durch politischen Veranstaltung geworden.

Acht Jahre später ist die Oscar-Zeremonie für Washington weit weniger bedeutend. Vier Stunden lang schleppte man sich durch laue Gags, die Favoriten räumten die Preise ab, keine Überraschungen, nichts. Bis zur Auszeichnung des besten Dokumentarfilms. Da stand plötzlich ein Mann auf der Bühne, den Oscar in der Hand, und schimpfte. Es war Charles Ferguson, und sein Zorn galt nicht dem Weißen Haus, sondern der Wall Street: "Drei Jahre, nachdem Betrüger eine Weltfinanzkrise verursacht haben, sitzt nicht ein einziger dieser Finanzmanager im Gefängnis", sagte Ferguson. "Das ist einfach nicht richtig."

Fergusons Kritik reichte freilich nicht aus, um den Charakter der Preisverleihung zu prägen, wie das Moore acht Jahre zuvor gelungen war. Die Oscars 2011 waren keine politische Veranstaltung - aber sie hatten einen politischen Moment, und dafür war Charles Ferguson verantwortlich.

"Inside Job" heißt sein oscarprämierter Film, der Gier und Verantwortungslosigkeit der Finanzszene anprangert, und es ist nicht die erste filmische Anklage des 55 Jahre alten Amerikaners. 2007 legte er mit "No End in Sight" sein Debüt vor; darin zerlegte er mit mathematischer Genauigkeit die Irak-Strategie der Bush-Administration.

Dritte, vielleicht vierte Karriere

Im Filmgeschäft ist Ferguson ein wahrlich spät Berufener - aber es ist ja auch schon seine dritte, vielleicht vierte Karriere. Geboren in San Francisco, studierte Ferguson Politikwissenschaft und Mathematik in Cambridge, nach dem Abschluss am Elite-Institut M.I.T. arbeitete er unter anderem als Berater für das Weiße Haus. 1994 schließlich gründete er ein eigenes Unternehmen, Vermeer Industries. Die Firma entwickelte eines der ersten Programme zur Erstellung von Webseiten. Nur zwei Jahre nach der Gründung verkaufte Ferguson Vermeer an Bill Gates' Microsoft-Konzern - für mehr als 113 Millionen Dollar.

Finanziell wohl lebenslang abgesichert widmete sich Ferguson nun wieder der Wissenschaft, unterrichtete in Cambridge und in Berkeley, schrieb Bücher über die verschiedensten Aspekte der Software-Entwicklung.

Dann eine erneute Metamorphose: Aus dem Wissenschaftler und New-Economy-Millionär wird ein Filmemacher. Zwei Millionen aus seinem privaten Vermögen investierte Ferguson in seinen Film-Erstling. "No End in Sight" wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Auch bei "Inside Job" ging Ferguson ebenso engagiert wie penibel zu Werke. Sein Film zeigt die Finanzkrise als "den größten Bankraub aller Zeiten", der zudem in aller Öffentlichkeit stattgefunden habe. Fergusons Kritik an der mangelnden juristischen Aufarbeitung der Vorgänge bekam bei der Oscar-Verleihung übrigens nur verhaltenen Applaus: Die Filmszene, so hieß es, wolle es sich ja nicht mit ihren Geldgebern verderben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1066580
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 02.03.2011/wolf/pak
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.