Süddeutsche Zeitung

Online-Casinos:Las Vegas in der Studentenbude

Online-Casinos setzen Milliarden um, zunehmend auch in Deutschland, dabei umgehen sie mit fragwürdigen Tricks das Glücksspiel-Gesetz - und den Fiskus

Reinhold Rühl

"Zack - wieder n' Hunni weg!" Christian Kemphöfer* kann es nicht fassen. In seiner Hand hält er drei Könige und zwei Neuner - ein "Full House". Normalerweise schwer zu schlagen. Doch das Pokerface am Tisch gegenüber präsentierte einen "Straight Flush", eine Folge von fünf Karten mit der gleichen Farbe, und die Jetons in der Mitte des grünen Filztuches wandern zu dem glatzköpfigen Spieler. 498 Dollar liegen im Pot.

Zocken wie in Las Vegas. Kemphöfer sitzt allerdings nicht in einem Casino, sondern in seiner Studentenbude im westfälischen Münster, starrt auf den 19-Zoll-Flachbildschirm. "Figool" nennt sich der 22-Jährige am ovalen Tisch des Online-Casinos Everest Poker. Auch seine Gegner haben Phantasienamen, spielen als "Twisted Donkey", "Shinomori" oder "Drunkenboxer". Ein virtueller Dealer verteilt die Karten, gesetzt und geboten wird per Mausklick und über Tastatur. Jetons und Karten wechseln fast so schnell wie der Ball in einem Tennismatch. "Klick, klick - plop, plop, plop", tönt es aus dem Lautsprecher.

Doch "Figool" hat heute einen schlechten Tag. Entnervt lässt der Jurastudent den Mauszeiger auf dem Bildschirm kreisen - zwischen den Buttons "Jetons holen" und "Tisch verlassen". In dieser Nacht entscheidet er sich für Letzteres, denn sein Spielerkonto ist wieder beträchtlich geschrumpft: 2500 Dollar Minus in zehn Tagen.

Der Rubel rollt im grenzenlosen Internet - sehr zum Ärger der deutschen Casinobetreiber. Denn während die Umsätze der klassischen Casinos stagnieren, herrscht dank Poker, Roulette und Black Jack wieder Goldgräberstimmung im Netz. Über 2700 Internet-Kasinos wurden in den vergangenen Jahren weltweit gegründet. Sie erzielen nach Einschätzung von Branchenkennern derzeit ein jährliches Wachstum von gut 20 Prozent. 15,2 Milliarden Dollar Umsatz waren es im vergangenen Jahr. Geld, das überwiegend in den Steueroasen Gibraltar, Antigua und der Isle of Man mehr oder weniger versteuert wird.

Deutschland gilt bei den internationalen Glücksspielkonzernen als vielversprechendes Entwicklungsland - obwohl das Zocken via Internet hierzulande für Anbieter ohne staatliche Lizenz verboten ist. Anfang nächsten Jahres wird der neue Glücksspiel-Staatsvertrag die Hürden noch etwas höher legen. Dann herrscht in Deutschland ein totales Werbeverbot für Glücksspiele im Internet.

Raymond Stuwe kann das nur recht sein. Der 43-Jährige betreibt das Internet-Portal poquer777.com fernab der deutschen Gesetzgebung auf der Kanaren-Insel La Gomera. Das ehemalige Aussteigerparadies am Rande Europas ist zwar kein rechtsfreier Raum, bietet aber für Menschen wie Stuwe einige Vorteile. Der wichtigste, abgesehen vom frühlingshaften Klima: Er zahlt auf den Kanaren maximal 20 Prozent Einkommensteuer.

Bonus von bis zu 1500 Dollar

Stuwe, der vor gut zehn Jahren sein Handwerk als Profi-Pokerspieler in Las Vegas erlernte, bietet den Internet-Casinos eine Dienstleistung, die diese in Deutschland nicht erhalten, zumindest nicht legal. Auf seiner Webseite gibt es, so ist dort zu lesen, eine "vorurteilslose und kritische Rezension von Online-Pokerräumen".

Wer den entsprechenden Artikel anklickt, kann sich sofort die Software des Anbieters herunterladen. Für jeden Spieler, den er auf diese Weise vermittelt, zahlen ihm die Pokerräume eine Provision, vorausgesetzt der Spieler zockt fortan mit Echt-Geld.

Von solchen Deals profitieren auch Spieler wie Christian Kemphöfer, denn das Vermittlungsportal auf der Urlauberinsel gewährt den Nutzern der Seite einen Bonus von bis zu 1500 Dollar, den sie in den Pokerräumen der gewählten Anbieter abspielen können.

Das wird im Branchenjargon "Rakeback" genannt. Nun muss man wissen, dass die Online-Casinos von jedem gespielten Pot eine Provision, den sogenannten Rake, kassieren. Damit verdient der Pokeranbieter sein Geld. Üblich sind fünf Prozent. Meist ist der Rake auch nach oben gedeckelt. Online werden in der Regel nicht mehr als drei Dollar aus jedem Pot entnommen.

Doch der Rake summiert sich allein bei Party Poker, einem der weltweit größten Online-Anbieter, auf 637.000 Dollar - pro Tag. Ein Teil davon fließt wieder zurück an die Spieler. Die Höhe des Rakeback hängt von der Spiellust jedes einzelnen Spielers ab. "Wer häufig und mit hohen Limits spielt, produziert viel Rake und bekommt somit auch viel Rakeback", sagt Stuwe. Auch in der Zockerbranche wird auf Kundenbindung großer Wert gelegt.

*) Name von der Redaktion geändert

In Deutschland umgehen die Glücksspielanbieter das Werbeverbot mit einem simplen Trick: Sie werben nicht für ihre Geldspielseiten, sondern für abgespeckte, speziell auf den deutschen Markt ausgerichtete Versionen, bei denen sich nur mit Spielgeld zocken lässt. Das jedoch, findet Hobbyspieler Kemphöfer, "ist auf Dauer ziemlich langweilig". Den richtigen Kick gibt's beim Poker nur mit Echtgeld. Die meisten Internet-Nutzer landen deshalb auch schnell bei den gleichnamigen Webseiten mit der Endung ".com". Auf diese Weise halten Betreiber wie Everest Poker, Pokerstars oder Full Tilt Poker klammheimlich Einzug auf dem deutschen Markt.

Eine Schlüsselrolle bei der Erschließung der deutschen Zockerszene spielt ein TV-Nischensender in München. Beim Deutschen Sportfernsehen (DSF) können Laien den Profis bis zu drei Stunden täglich über die Schulter schauen. Auf deren T-Shirts leuchten die Logos der Sponsoren, in den Werbepausen laufen die Spots für eine Pokerschule.

Fisch im Haifischteich

Den Durchbruch bei der breiten Masse schaffte Pokern aber erst dank Entertainer Stefan Raab: Bei seiner nächsten "Promi-Poker-Nacht" am 13. Dezember auf Pro Sieben treten drei Prominente mit einem Zuschauer-Kandidaten gegeneinander an. Doch der Nobody muss seine Fähigkeiten erst beweisen: "Zeigen Sie Stefan Raab, was ein echter Zocker ist und qualifizieren Sie sich noch heute bei Poker Stars für die nächste TV Total PokerStars.de Nacht", wirbt das Portal des weltgrößten Pokerraumes. Die Software lässt sich kostenlos herunterladen. Gezockt wird allerdings nur mit Spielgeld - aus gutem Grund. Der Einsatz von harten Euro würde den Staatsanwalt auf den Plan rufen.

Noch schwieriger dürfte die Gratwanderung für die Online-Casinos von Januar 2008 an werden, wenn in Deutschland die Internet-Werbung für Glücksspiel generell verboten wird. "Dann ist Kreativität gefragt, die Kampagnenstrategien für das Internet müssen überdacht werden", sagt der Münchner Branchenberater Jens H. Leinert: Das Keyword-Marketing, also die Optimierung von Schlüsselworten bei den Internet-Suchmaschinen, würde an Bedeutung verlieren, die Werbung über Partner-Webseiten dagegen zunehmen. "Schon heute kann bei Google Deutschland der Begriff Poker nicht mehr gebucht werden", bedauert Leinert. Selbst neutrale Begriffe wie "Pokerschule" würden "erst nach umfangreicher Prüfung der Zielseite freigegeben".

Trotzdem gelingt es den Internet-Portalen, immer neue "Fische" in die virtuellen Casinos zu locken. Fishes, so nennen Insider unerfahrene Spieler, denen die Sharks (Haie) das Geld aus der Tasche ziehen. Die beste Zeit zum Fischen sei Freitag- und Samstagnacht "von ein bis vier Uhr", plaudert ein Pokerspieler aus dem Rheinland im Chat bei pokern.com. "Dann kommen viele völlig besoffen aus Kneipen und Discos und spielen auch entsprechend." Ein anderer Spieler hat ähnliche Erfahrungen: "Sonntagmorgen, wenn es in den USA tief in der Nacht ist, stehen die Chancen auf einen schönen Gewinn besonders hoch. Viele Amis sind dann blau."

Sonntagabend, mitteleuropäische Zeit, ist die Hauptzeit am virtuellen Fischtisch. Dann zocken bei Everest Poker weltweit mehr als 32.000 Spieler an 12.100 Tischen gleichzeitig. Dreimal so viele Besucher sind es beim größten Online-Casino Poker Stars. Die Statistik des Portals meldet über 100.000 Spieler, die sich an 15.000 Tischen drängen.

Einen deutlichen Rückschlag erlitt die Zockergemeinde vor gut einem Jahr. Die US-Regierung verbot den Kreditkartenunter-nehmen, Zahlungen an die Online-Casinos entgegenzunehmen. Deshalb fließt nun das Marketinggeld in Richtung Europa. Seitdem agierten hier die Kasinos "ganz unverhüllt", sagt Reinhold Schmitt.

Er ist Chef des Informationsdienstes "Isa-Casinos" und kennt die Branche wie kaum ein anderer. Noch gibt es nur grobe Schätzungen, aber Schmitt geht für den deutschsprachigen Raum von rund 2,9 Millionen Online-Spielern aus, die sämtliche Angebote der Internet-Casinos nutzen. Rund 70.000 entfallen dabei auf das Pokerspiel. Tendenz: stark steigend, weil der Online-Poker gerade bei jungen Leuten unter 30 Jahren weit verbreitet ist.

Kemphöfer sprang vor zwei Jahren als Fisch in den Haifischteich, lernte zunächst "mit Beträgen im Centbereich", wie er bluffen kann und mit welchen Karten es sinnvoll ist, den Einsatz zu erhöhen. Heute tummelt er sich als Shark im Schnitt drei Stunden pro Tag in den Zockerräumen des World Wide Web. An Wochenenden nimmt er sich spielfrei. Lockt allerdings ein gut dotiertes Turnier, "kann die Sitzung schon mal sieben Stunden dauern", sagt Kemphöfer.

Manchmal spielt der Münsterländer an acht Pokertischen gleichzeitig, hofft auf den großen Pot. Anfang Oktober landete er endlich seinen Coup. Mit einem Einsatz von nur 24 Dollar kämpfte er bei einem Turnier gegen 1187 Spieler und gewann den ersten Preis: 5412 Dollar. Mit dem Geld flog Kemphöfer mit seiner Freundin für eine Woche nach Fuerteventura. Als "Poker-Profi" will er nun sein Spielerkonto fünfstellig ausbauen.

Therapie gegen seine Spielsucht

Berufsspieler Stuwe warnt dagegen vor schnellen Höhenflügen. "60 Prozent ist Können, der Rest Glück." Auch die Statistik spricht eher gegen eine Karriere am Bildschirm. 95 Prozent der Online-Spieler zählen zu den Verlierern. "Nur fünf Prozent verdienen unter dem Strich bei der Zockerei", sagt Stuwe. Aber auch diese Gewinner kassieren durchweg weniger, als es manche Schlagzeile auf dem Boulevard suggeriert.

Tatsächlich werden beim Online-Poker bis auf wenige Ausnahmen bei sogenannten Sit-and-go-Turnieren für den Sieger Beträge in der Größenordnung von 5000 oder auch mal 50 000 Dollar ausgelobt. Die immer wieder kolportierten Summen von einer halben oder ganzen Million gibt es online nicht, sondern, so Stuwe "nur in den hochsubventionierten Live-Turnieren".

Abseits von sozialer Kontrolle und in der Anonymität des Internets erliegen viele den Verlockungen des schnellen Geldes. Jonas Becker* aus München war schon immer "ein leidenschaftlicher Spieler", fuhr auch mal mit Freunden in die Spielbank nach Bad Wiessee.

Dann entdeckte der 27-jährige Fotograf das virtuelle Casino von Euro Poker, spielte nächtelang an vier Tischen gleichzeitig. "Irgendwann hatte ich kein Verhältnis mehr zu Geld", sagt er. 3000 Euro verzockte Becker in wenigen Wochen, bevor er sich in eine Therapie gegen seine Spielsucht begab. Zweimal hatte er bereits einen Rückfall. Die Schulden drücken ihn noch heute.

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Quelle:
SZ vom 10./11.11.2007/woja
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