Ökonom Lord Skidelsky:"Der Euro - ein Kaiser ohne Kleider"

Der britische Ökonom Lord Skidelsky über die Euro-Krise, die Gefahr einer Rezession - und den Charme einer neuen Reservewährung.

Andreas Oldag

Lord Robert Skidelsky, Professor und Mitglied des britischen Oberhauses, hat sich mit Arbeiten über John Maynard Keynes einen Namen gemacht. Nun wurde er in das Beratergremium des von George Soros geförderten Institute of New Economic Thinking in New York berufen.

Lord Robert Skidelsky, Foto: oh

Lord Robert Skidelsky: "Die Briten sind derzeit froh, dass sie nicht den Euro haben."

(Foto: Foto: Robert Skidelsky)

SZ: Die Briten proben ein neues Regierungsmodell. Eine Koalition zwischen Konservativen und Liberalen soll das Land nun auch aus der Wirtschaftskrise führen. Was muss die neue Regierung vorrangig tun?

Lord Robert Skidelsky: Der konservative Schatzkanzler George Osborne steht vor der schwierigsten Aufgabe, die je ein Finanzminister nach 1945 hatte. Das britische Haushaltsdefizit ist gewaltig. Die öffentlichen Finanzen müssen jetzt saniert werden. Das wird harte Einschnitte für die Bürger bringen. Trotzdem will die neue Regierung das Defizit innerhalb der nächsten drei Jahre halbieren. Aber ich bin skeptisch, dass die Koalition lange zusammenhält. Es gibt zu wenig Gemeinsamkeiten zwischen Tories und Liberalen, so dass die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass die Regierung auseinander bricht.

SZ: Und wie sind die Aussichten für eine Wirtschaftserholung in Europa?

Skidelsky: Nicht nur Großbritannien, sondern auch Europa könnte im Zuge der Griechenland-Krise eine erneute Rezession, ein "double dip", bevorstehen. Natürlich sind die Briten derzeit froh, dass sie nicht den Euro haben. Die Pfund-Schwäche hilft der britischen Exportindustrie. Doch das Problem ist, dass die Weltwirtschaft auf wackeligen Beinen steht.

SZ: Was heißt das genau?

Skidelsky: Einerseits geht es dabei um die strukturellen Ungleichgewichte in der Eurozone, die jetzt die Griechenland-Tragödie hervorgebracht haben. Andererseits stellen die Währungsungleichgewichte zwischen den USA und China eine Gefahr dar. Wir brauchen deshalb eine neue Reservewährung, die an die Stelle des Dollars und auch des Euros tritt.

SZ: Ist das nicht ein bisschen weit gegriffen?

Skidelsky: Es ist kein Zufall, dass die Goldbestände bei vielen Zentralbanken der Welt im Verhältnis zu ihren übrigen Währungsreserven seit etwa zehn Jahren zugenommen haben. Das heißt, die Notenbanken suchen einen sicheren Hafen. Ich denke, es gibt sogar einen Trend zurück zum Goldstandard. Der hätte allerdings für die Weltwirtschaft starke deflatorische Effekte, weil Gold weltweit knapp ist. Ich bin ein Fan des britischen Ökonomen John Maynard Keynes. Der hatte Anfang der 40er Jahre die Idee einer Welt-Zentralbank beziehungsweise International Clearing Union.

SZ: Was sollte diese tun?

Skidelsky: Ziel war es nach Meinung Keynes, ein weltweites Gleichgewicht zwischen Sparen und Investieren zu schaffen. Ein Überschussland, das seine Überschüsse aus Exporteinnahmen in Währungen hortete, statt sie als Darlehen an andere Länder zu vergeben, sollte Handelsdefizit-Staaten nicht mehr das Geld vorenthalten. Keynes wollte die Exportüberschuss-Staaten sogar mit Sanktionen belegen, wenn sie sich nicht an die Spielregeln hielten. Die Defizitländer würden dagegen Guthaben von der Bank erhalten. Diese würden sich nach ihrer jeweiligen Quote an der Clearing Union und ihrem Anteil am Welthandel richten. Keynes wollte mit diesem System eine Weltwirtschaftskrise wie die von 1929 bis 1932 verhindern, die er auf eine globale Sparwut zurückführte.

"Ein besserer Anti-Krisenmechanismus - dringend benötigt"

SZ: Der Internationale Währungsfonds IWF ist doch eine durchaus geeignete Institution...

Öffentliches Defizit, Grafik: sueddeutsche.de
(Foto: Grafik: sueddeutsche.de)

Skidelsky: Der IWF ist historisch betrachtet auch ein Ergebnis der Bemühungen von Keynes. Nur der IWF ist damals bei den Verhandlungen über das Währungssystem von Bretton Woods 1944 leider die kleine Lösung geblieben, weil die nationalen Zentralbanken weiterhin ihre nationalen Reserven horten durften. Aber jetzt könnte sich das ändern. Die G20-Staaten haben ja vergangenes Jahr beschlossen, die Mittel des IWF aufzustocken. Das könnte ein erster Schritt sein, eine internationale Reserve als Ersatz für den Dollar zu schaffen. Die Weltwirtschaft braucht dringend einen besser funktionierenden Anti-Krisenmechanismus.

SZ: Und den Euro haben Sie schon abgeschrieben?

Skidelsky: Die Währungsunion ist in einer Existenzkrise. Sie basierte auf der Annahme einer strikten Finanzdisziplin und ebenso auf Angleichung der Wettbewerbskraft. Beides ist nicht eingetreten. Mit dem Euro ging auch die Möglichkeit für nationale Regierungen verloren, die Währung abzuwerten, als wichtiges konjunktursteuerndes Instrument. Jetzt steht der Euro da wie ein Kaiser ohne Kleider.

SZ: Und was hat das nun für praktische Folgen?

Skidelsky: Es kann zwei Möglichkeiten geben: Entweder raufen sich die Mitglieder zusammen und koordinieren ihre Finanzpolitik. Dazu ist auch ein Europäischer Währungsfonds notwendig. Das neue Rettungspaket für die Euro-Wackelkandidaten geht da in die richtige Richtung. Das hat dem Euro vielleicht eine Atempause verschafft. Doch die Ursachen der Krise sind nicht beseitigt. Die andere Möglichkeit - das wäre der Worst Case - ist ein Auseinanderbrechen der Währungsunion. Wahrscheinlich würde in diesem Fall nur ein kleiner Kern von Mitgliedern übrig bleiben, die sich um Deutschland und Frankreich sammeln.

SZ: Die Spekulanten an den internationalen Finanzmärkten haben die Lage verschärft, indem sie jetzt nicht nur Griechenland, sondern auch die Euro-Mitglieder Spanien und Portugal aufs Korn genommen haben...

Skidelsky: Aber wir haben doch den Spekulanten genau jenes Umfeld geschaffen, das sie jetzt für ihre Geschäfte nutzen. Es gibt keine ausreichende Regulierung. Die Lösung kann nur darin bestehen, die wild gewordenen Märkte an die Kette zu legen. Banken müssen sich an strikte Regeln halten und für ihre Fehler zahlen. Die Vorschläge des ehemaligen amerikanischen Notenbankpräsidenten Paul Volcker, den Eigenhandel von Banken zu verbieten, sind richtig. Es muss allerdings einen internationalen Rahmen geben, ansonsten tricksen die Banken die nationale Regulierung aus.

SZ: Was sollen die Briten tun?

Skidelsky: London ist mit seiner Bankenbranche zu mächtig. Großbritannien sollte stattdessen seine Industrie revitalisieren. Das macht die Menschen ohnehin glücklicher. Sie wollen etwas produzieren. Die Krise ist auch eine Chance, wirtschaftlich umzusteuern. Das geht sicherlich nicht von heute auf morgen. Doch der Staat muss mit gezielter Förderung helfen.

SZ: Aber das ist doch von der neuen Regierung in London nicht zu erwarten?

Skidelsky: Vor allem bei den Konservativen sehe ich kaum einen Ansatz zum neuen Denken. Sie sind nach wie vor der Idee verfallen, dass vor allem der Markt alles regelt. Ein Denken, das auch die derzeitige Krise mit hervorgebracht hat. Im übrigen denke ich, dass der konservative Finanzminister auch das entscheidende Wort bei der Bankenregulierung haben wird. Er ist mächtiger als der liberale Wirtschaftsminister Vince Cable.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: