Süddeutsche Zeitung

Ökonom Flassbeck:"Ausscheiden und eine neue Währung einführen"

Unctad-Chefvolkswirt Heiner Flassbeck über den Rückzug Deutschlands aus der Eurozone und das Schreckgespenst Deflation.

Melanie Ahlemeier

Heiner Flassbeck ist Chefvolkswirt bei der United Nations Conference on Trade and Development (Unctad) in Genf, zuvor war er Staatssekretär im Bundesfinanzministerium unter Oskar Lafontaine. Flassbecks Schwerpunkt: internationale Finanz- und Währungsfragen sowie Europapolitik. Er ist Autor mehrerer Bücher, zuletzt erschien "Gescheitert. Wie die Politik vor der Wirtschaft kapituliert".

sueddeutsche.de: Herr Flassbeck, haben Sie schon griechische Staatsanleihen gekauft? Wer jetzt investiert, trägt fast kein Risiko - weil mehr als 22 Milliarden Euro aus Deutschland fließen.

Heiner Flassbeck: Ich habe vor einiger Zeit welche gekauft, als der Zins noch niedrig und völlig unklar war, ob Griechenland gestützt wird oder nicht. Da war durchaus auch ein Solidaritätsgedanke dabei.

sueddeutsche.de: Haben Sie zwischendurch ernsthaft darüber nachgedacht, die Papiere abzustoßen, weil die Einschläge an den Märkten einfach zu heftig wurden?

Flassbeck: Nein. Die ganze Diskussion über einen Bankrott von Griechenland ist extrem gefährlich und unsinnig.

sueddeutsche.de: Warum unsinnig?

Flassbeck: Griechenland ist nicht bankrott. Man ist bankrott, wenn man mehr Schulden als Vermögen hat. Das griechische Staatsvermögen ist aber weit größer als die 300 Milliarden Euro Staatsschulden, die Athen angehäuft hat. Wir haben es hier mit einer Finanzkrise zu tun, wie wir schon einige erlebt haben. Sie ist etwas untypisch, weil es keine Spekulation gegen eine Währung gibt, wie beispielsweise vor einigen Jahren in Argentinien. Im Fall Griechenland wird gegen Staatsanleihen spekuliert. Aber das hat mit einem Bankrott überhaupt nichts zu tun.

sueddeutsche.de: Warum ignorieren die Märkte die positiven Eigenschaften Griechenlands wie beispielsweise das Staatsvermögen?

Flassbeck: Das ist die typisch selektive Wahrnehmung, die wir von den Märkten kennen. Wenn ein Run eingesetzt hat, laufen die Märkte den Nachrichten hinterher, die ihnen passen. Das ist einfach Herdenverhalten. Nur: Als Politiker oder auch Staatenlenker muss man wissen, wie man damit umzugehen hat. Hier liegt das Manko. Viele Politiker in Europa hatten überhaupt keine Ahnung, wie sie sich verhalten sollen. Man muss dem energisch, klar und mit guten Argumenten entgegentreten.

sueddeutsche.de: Wie hat sich die Krisenmanagerin Angela Merkel in der Causa geschlagen?

Flassbeck: Die gesamte Politik hat sich schlecht geschlagen, das fängt in Brüssel an und hört in Berlin auf. Milde gesagt: Es ist mehr als erstaunlich, wie wenig die Politik auf eine solche Situation vorbereitet ist. Offensichtlich hat Frau Merkel auch keine Berater, die Ahnung haben, was in Finanzkrisen los ist und wie man reagiert.

sueddeutsche.de: Merkels Wirtschaftsberater Jens Weidmann war Ende der neunziger Jahre beim Internationalen Währungsfonds tätig und hat beim heutigen Bundesbank-Chef Axel Weber studiert.

Flassbeck: Na ja, die Bundesbank hat sich nicht durch Weitsicht in dieser Sache ausgezeichnet. Ich habe mit Herrn Weber vor einigen Jahren eine indirekte Kontroverse über den Euro gehabt, in der sich zeigte, dass er im Kern nicht verstanden hat, was in der Europäischen Währungsunion vor sich geht. Er hat das Auseinanderlaufen der Wettbewerbsfähigkeit kleingeredet. Später hat die Bundesbank selbst in einem Monatsbericht zugegeben, dass Webers Argument falsch war. Das zeigt: Da sind viele überfordert, einfach auch deswegen, weil die herrschende Ökonomie zu solchen Phänomenen keine Meinung hat, denn sie erwartet, dass der Markt immer alles perfekt und richtig regelt.

sueddeutsche.de: Wäre eine Umschuldung, der sogenannte Haircut, die bessere Alternative für Athen gewesen?

Flassbeck: Nein. Eine Umschuldung ist doch nichts anderes als ein Bankrott der milderen Art. Es gibt aber keinen Grund, Griechenland für bankrott zu erklären. Eine solche Erklärung hätte in Griechenland eine Panikreaktion ausgelöst, die Banken wären zusammengebrochen. Es ist bisher die große Ausnahme, dass Staaten ihre Schulden nicht voll bedienen. Argentinien hat nach der dramatischen Abwertung seiner Währung eine solche Ausnahme gemacht und ist heftig in die Kritik geraten. Griechenland hat Fehler gemacht, und es muss diese Fehler bereinigen - aber dafür braucht es Zeit. Das kann niemand über Nacht machen.

sueddeutsche.de: Warum fahren Politiker dermaßen auf das Vokabular "geordnete Insolvenz" ab?

Flassbeck: Das frage ich mich auch. Eine Staatsinsolvenz ist etwas völlig anderes als eine Unternehmensinsolvenz. Ein Unternehmen kann man abwickeln, die Beschäftigten gehen dann in die Arbeitslosigkeit. Bei einem Staat geht das nicht. Zehn Millionen Griechen haben Erwartungen, Hoffnungen und Ängste. Da kann man nicht einfach von Insolvenz reden.

sueddeutsche.de: Marschiert Athen in Richtung Inflation oder Deflation?

Flassbeck: Inflation ist lächerlich. Ich würde mir wünschen, dass alle, die dieses Wort in den vergangenen drei Jahren in den Mund genommen haben, jetzt mal für fünf Jahre dazu schweigen - das wäre ein toller Beitrag. Es besteht vielmehr die große Gefahr einer Deflation in Europa. Spanien und Portugal werden sich überlegen, ob sie auch dieser Panikreaktion der Märkte ausgesetzt sein könnten. Prophylaktisch könnten sie anfangen, den Gürtel massiv enger zu schnallen. Aber das ist alles viel zu früh. Wir haben keine Erholung in Europa, die das rechtfertigt.

sueddeutsche.de: Daraus folgt?

Flassbeck: Es besteht die große Gefahr einer zweiten Rezession, die Gefahr eines sogenannten Double Dip und dann einer Deflation. Und da man sich in Berlin weigert, über das eigentliche Thema Lücke in der Wettbewerbsfähigkeit zu reden und eine konstruktive Lösung in den nächsten zehn Jahren anzudenken, ist die Gefahr einer Deflation noch viel größer. Alle Länder werden wie verrückt sparen, die Haushalte werden zwar nicht konsolidiert, gleichzeitig wird aber über Lohnsenkung eine Deflation produziert. Das ist das schlimmste aller Szenarien.

sueddeutsche.de: Bricht die Eurozone auseinander?

Flassbeck: Diese Überlegung muss man einbeziehen. Vielleicht brechen der Norden und der Süden auseinander. Am besten wäre es, wenn Deutschland ausscheidet.

sueddeutsche.de: Warum?

Flassbeck: Das wäre der am wenigsten dramatische Fall, weil der von den Märkten nicht brutal ausgenutzt werden könnte. Deutschland würde ausscheiden und eine neue Währung einführen. Die würde dann stark aufwerten. Unser Wettbewerbsvorteil wäre über Nacht futsch, aber das könnte der Beginn der Möglichkeit eines neuen harmonischen Zusammenlebens in Europa sein.

sueddeutsche.de: Und der starke deutsche Export würde kippen.

Flassbeck: Deutschland würde seine Exportmärkte über Nacht verlieren, keine Frage. Aber die wird Deutschland ohnehin verlieren. Deutschland kann nur wählen zwischen einem geordneten Übergang, bei dem die anderen die Chance haben, sich allmählich an Deutschland heranzurobben und einem ungeordneten Übergang. Eine andere Wahl gibt es auf dieser Welt nicht.

sueddeutsche.de: Ist das Projekt Europa nicht ohnehin zum Scheitern verurteilt, weil es keine gemeinsame Fiskalpolitik gibt?

Flassbeck: Eine gemeinsame Fiskalpolitik ist viel weniger wichtig als eine gemeinsame Lohnpolitik. Wenn man keine eigene Währung mehr hat, muss man die Löhne koordinieren. Das ist versäumt worden. Es gab von Anfang an nur ein Gucken auf die Staatsdefizite, aber das reicht bei weitem nicht aus. Das sieht man jetzt.

sueddeutsche.de: Sie wollen am liebsten die Löhne erhöhen. Was sagen Sie den Arbeitgebern, die immer noch am Subventionstropf hängen und vom Staat Kurzarbeitergeld kassieren?

Flassbeck: Bei höheren Löhnen steigt die Nachfrage. Wie wollen wir sonst mehr Inlandsfrage bekommen? Das deutsche Wirtschaftswunder beispielsweise war ein Lohnwunder. Ein Land kann nicht nur exportieren, das funktioniert nicht. Entweder wir begreifen das jetzt, oder es wird uns mit Gewalt begreiflich gemacht.

sueddeutsche.de: Der Euro schwächelt und fällt nach gut einem Jahr unter die psychologisch wichtige Marke von 1,30 Dollar. Die Exporteure dürften vor Freude in die Hände geklatscht haben.

Flassbeck: Das ist die typisch deutsche Hoffnung nach dem Motto: "Jetzt zeigen wir es den Amerikanern oder den Chinesen." Das ist alles keine Lösung. Die deutschen Forschungsinstitute haben es allerdings geschafft, in ihre Prognose für dieses Jahr von 1,5 Prozent Wachstum wieder 0,9 Prozent dem steigenden Exportüberschuss zuzuschreiben. Das sind 30 Milliarden Euro - die gleiche Summe muss man im Rest der Welt abziehen. Wir können nicht dauernd andere Länder in die außenwirtschaftliche Verschuldung treiben, weil wir nur am Export hängen. US-Präsident Obama hat angekündigt, die Exporte um 15 Prozent pro Jahr zu erhöhen - wie soll das gehen, wenn der Dollar jetzt wieder stärker wird? Also wird es den nächsten Crash dort geben.

sueddeutsche.de: Wie fragil ist der Euro insgesamt?

Flassbeck: Der Euro müsste überhaupt nicht fragil sein. Der Euro könnte trotz dieser Krise eine sehr stabile und gute Währung sein, wenn unsere Politiker bereit wären, das Notwendige und Offensichtliche zur Kenntnis zu nehmen.

sueddeutsche.de: Ein verkappter Vorwurf, weil auch im Jahr 2010 jedes Land in der Eurozone nur an die eigenen Interessen denkt und munter den Protektionismus forciert?

Flassbeck: Das ist Merkantilismus. Wir retten uns aus allen Situationen mit einem Exportüberschuss - ohne daran zu denken, dass irgendwo auf der Welt jemand dann ein Exportdefizit haben muss.

sueddeutsche.de: Hätten die Banken an den Griechenland-Rettungskosten beteiligt werden müssen?

Flassbeck: Nein, von Bankenbeteiligungen halte ich nichts. Man kann nicht den Bock zum Gärtner machen, sprich: Man kann nicht die, die gegen Griechenland spekuliert haben, beteiligen. Das ist immer dieses Wischiwaschi in Deutschland: Wir machen jetzt mal freiwillige Lösungen der Wirtschaft. Man muss hier eine klarere Rollenverteilung haben. Das ist jetzt eindeutig eine europa-staatliche Aufgabe.

sueddeutsche.de: Die US-Investmentbank Lehman Brothers kollabierte, weil eine Ratingagentur den Daumen gesenkt hatte. Im Fall Griechenland war es nun das gleiche Schauspiel. Wie lässt sich das Monopol der Agenturen knacken?

Flassbeck: Das ist einfach. Ratingagenturen können vielleicht für Unternehmen eine Rolle spielen, aber bei Staaten haben die nichts zu suchen. Drei Hanseln, die in Harvard einen Abschluss gemacht haben, können kein Urteil über Griechenland fällen. Es ist lächerlich, dass wir solche Agenturen über Länder urteilen lassen. Das muss man sofort beenden. Jenseits dessen finde ich: Ratingagenturen gehören abgeschafft. Jeder, der ein Papier kauft, soll sich gefälligst selbst Gedanken darüber machen, wie riskant das ist und nicht auf den Stempel irgendeiner Agentur vertrauen - die ja wahrscheinlich bezahlt ist von dem, der das Papier emittiert hat.

sueddeutsche.de: Der Gedanke, Ratingagenturen abzuschaffen, ist vielleicht schick. Aber ist er auch realistisch?

Flassbeck: Was heißt realistisch? Man muss nur eine Regulierung zusammenbringen, die dafür sorgt, dass derjenige, der ein Papier in sein Portfolio nimmt, sich - das kostet natürlich - gefälligst Gedanken macht, was in diesem Papier drinsteckt. Dann würde es nicht passieren, dass Bankvorstände einfach den Kauf von Giftpapieren akzeptieren, weil dort AAA von irgendeiner Ratingagentur draufsteht. Das darf einfach nicht mehr passieren.

sueddeutsche.de: Momentan ist es doch so, dass Banken die Verantwortung auf die Ratingagenturen abwälzen - und die im Extremfall nicht haften müssen ...

Flassbeck: ... weil es so schön bequem ist. Die Ratingagentur gibt nur eine Meinungsäußerung ab - und damit sind alle fein raus. Der Staat ist am Ende der Dumme und muss geradestehen. Das Rating kann auch der Staat übernehmen. Wir lassen kein Medikament auf den Markt, ohne dass es eine staatliche Institution getestet hat. Man kann eine staatliche Institution schaffen, die zertifiziert. Das würden die Banken nicht mögen, aber es ist eine Möglichkeit.

sueddeutsche.de: Reicht eine deutsche Zertifizierungsstelle und ist nicht vielmehr ein internationaler Verbund nötig?

Flassbeck: Jedes Land könnte es für sich machen oder die Eurozone könnte es machen, das ist ziemlich egal.

sueddeutsche.de: Was muss Griechenland leisten, um wieder auf den grünen Zweig zu kommen?

Flassbeck: Mit dem Staat-Spar-Programm alleine geht es nicht, das ist nicht ausreichend. Nötig ist eine europäische Wachstumspolitik, man braucht eine Umkehr der Wettbewerbsverhältnisse und auch noch sehr lange Überbrückungshilfen. Nach ein, zwei Jahren wird man das Defizitziel zurücknehmen müssen - weil man sieht, dass Griechenland die unterstellte wirtschaftliche Entwicklung gar nicht erreichen kann. Und wenn die wirtschaftliche Entwicklung schlechter ist, kann man von einem Land nicht verlangen, noch mehr einzusparen.

sueddeutsche.de: Was bleibt all jenen übrig, die nicht so risikofreudig sind wie Heiner Flassbeck? Sollten sie statt in griechische Staatspapiere lieber in Olivenöl und Feta investieren?

Flassbeck: Das ist auch gut. Oder einfach mal Urlaub in Griechenland machen - es ist alles erwünscht, was dem Land hilft, sich weniger im Ausland zu verschulden.

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