"Occupy"-Proteste in Frankfurt:Campingplatz mit Zentralbank-Blick

Vor der Europäischen Zentralbank, mitten im Frankfurter Bankenviertel, haben die Demonstranten der "Occupy"-Bewegung ihre Zelte aufgeschlagen. Sie protestieren gegen die Macht des Kapitals - und bekommen viel Unterstützung aus der Bevölkerung. Ab und zu kommen Banker vorbei und schütteln den Kopf, nur wenige lassen sich auf ein Gespräch ein.

Harald Freiberger

Mittagspause vor der Europäischen Zentralbank. Zwei junge Männer stehen vor den Zelten, beide in schwarzen Schuhen und dunklen Anzügen, einer mit Bugatti-Mantel, der andere mit dunkelgrüner Steppjacke. Sie machen sich über die Szene lustig. "Wenn man die ganzen Schaulustigen abzieht, bleiben vielleicht noch fünf übrig", sagt der mit der Steppjacke und lacht. "Ich versteh' ja nicht, warum sie vor der Europäischen Zentralbank campieren, vor der Deutschen Bank würd' ich's noch verstehen", meint der im Bugatti-Mantel.

Demonstration gegen die Macht der Finanzmaerkte

Zelten vor der EZB: Demonstranten in Frankfurt am Main.

(Foto: dapd)

Von links nähert sich ein anderer junger Mann in abgetragenen Schuhen, Jeans und Jeansjacke mit Lammfell. "Arbeiten Sie vielleicht in den Türmen da?", fragt er die beiden. "Jaaa", kommt es zögerlich von dem mit der dunkelgrünen Steppjacke. "Und, wie finden Sie's hier?" "Ehrlich gesagt, etwas zu radikal?" "Wieso?" "Wenn ich mir das Plakat da anschaue: ,You play, we pay', das ist mir zu plakativ." "Aber man muss Botschaften doch verkürzen. Wenn Sie reingehen, sehen Sie, dass da viel mehr dahintersteckt." "Komm', schauen wir kurz rein", sagt der im Mantel zu dem in der Steppjacke, weniger aus Interesse, mehr um den anderen loszuwerden.

Vor der EZB prallen in diesen Tagen die Welten aufeinander. Seit der Demonstration am Samstag stehen die Zelte am Willy-Brandt-Platz und in der Taunusanlage. 50 Zelte sind es inzwischen, in allen Farben, vom Ein-Mann-Zelt bis zum 20-Mann-Zelt. Etwa 150 Camper haben die letzten Nächte darin verbracht. Sie haben die Genehmigung beim Ordnungsamt gerade von diesem Mittwoch bis Samstag nächster Woche verlängern lassen. "Und auch danach wird es weitergehen", sagt Wolfram Siener von Occupy Frankfurt, dem Veranstalter. Der Protest soll zur Daueraktion werden, "wir hören erst auf, wenn die Letzten ihr Zelt abbauen". Ob die Jahreszeit nicht ungünstig ist jetzt, wo der Winter beginnt? "Das machen wir durch menschliche Wärme wett", sagt Siener, der durch viele Interviews und Fernsehauftritte zum Gesicht von Occupy Frankfurt geworden ist. Was ihm gar nicht recht ist. "Ich schicke die Reporter inzwischen zu den anderen hin, ich bin nur einer unter vielen, der einem Gefühl Ausdruck gibt."

Eine andere ist Claudia, 25, der Nachname tue nichts zur Sache. "Eine Personifizierung finde ich nicht hilfreich", sagt sie, schließlich gehe es nicht um sie, sondern um die ganze Bewegung, die ihr "eine Herzensangelegenheit" sei. Bis nachts um vier habe sie diskutiert, "es gibt viele kluge Leute hier". Sie studiert Kulturanthropologie und trägt Piercings in Lippe und Nase. Es gehe nicht nur um Geld und Banken, sondern im Grunde um philosophische Fragen. "Wie wollen wir leben, wie viel Zeit nehmen wir uns für Liebe?" Man werde oft als Spinner oder Phantast angeschaut, wenn man solche Fragen stelle, dabei litten immer mehr Menschen unter dem System, Burn-out sei das Wort der Stunde. "Wollen wir glücklich sein oder eine funktionierende Marktwirtschaft?", fragt Claudia.

Ein junger Mann zieht seinen Rollkoffer durch das Gelände, er trägt einen dunkelblauen Nadelstreifenanzug, Krawatte, blaues Hemd mit weißem Kragen und eingestickten Initialen auf der Brusttasche. "Ich habe mich über die Aktion noch nicht informiert", sagt er, aber er finde die Gegensätze in der Stadt sehr interessant. Er studiert Jura und komme gerade aus einem Hochhaus, wo er als Funktionär der Jurastudentenvereinigung Elsa in einer Kanzlei zu tun gehabt habe, "und hier wärmen sich die Menschen an den Tonnen". Er meint die Tonnen, in denen die Aktivisten Holz verbrennen. Der Rauch wabert über die Taunusanlage, es ist der Geruch des Zeltlagers. In einer Ecke stehen Stapel mit Holzscheiten, die haben die Frankfurter gebracht.

"Diese Bank ist besetzt" - steht auf einer Parkbank

Es ist phänomenal, wie uns die Bevölkerung unterstützt", sagt Mathias, 34, der in der Feldküche arbeitet. Spüle und Ofen hat einer der Teilnehmer mit dem Leiterwagen in der S-Bahn aus der Nähe von Darmstadt hergebracht. "Wir mussten heute früh nur ein paar Liter Milch kaufen, alles andere sind Spenden", sagt Mathias. Das Frühstücksbuffet sieht aus wie in einem besseren Hotel, nur das Geschirr ist nicht so edel. Es gibt Bienenstich, Müsli, Käse, Wurst, geschnittenes Obst, Brot und frische Brezeln.

Im Hintergrund hängen Wäscheleinen, die von Laterne zu Laterne gespannt sind. Darauf haben die Camper mit bunten Wäscheklammern Zeitungsartikel über ihren Protest gehängt und selbst beschriebene Zettel. "Mitgefühl statt Gier" heißt es auf einem - "wäre die Welt eine Bank, hättet ihr sie längst gerettet" auf einem anderen.

"Diese Bank ist besetzt", steht auf einer Parkbank, auf der Stefan, 42, sitzt. Er muss aufpassen, dass ihn keine Fernsehkamera filmt, weil eigentlich ist er inkognito hier. Er arbeitet bei einem großen amerikanischen Konzern in Frankfurt, normal trägt auch er Anzug und Krawatte. Seit Samstag campiert er hier, das signalisiert auch die Länge seiner Bartstoppeln. Er trägt feste Arbeitsschuhe, Kapuzenpulli und Cordjacke. "Meine Arbeitskollegen müssen nicht unbedingt wissen, dass ich hier bin", sagt er, "da wird man belächelt." Aber es sei ihm wichtig, das Gefühl nach außen zu tragen, dass es so nicht weitergehen könne. Er will nicht gleich den ganzen Kapitalismus abschaffen, "manche Forderungen hier sind mir zu radikal und zu diffus", aber die Auswüchse, die müssten gestoppt werden.

Ein junger Mann im Anzug fotografiert belustigt ein gemaltes Bild mit den Bankentürmen, auf dem "Fuck capitalism" steht. Der Wind hat ihm die lilafarbene Krawatte über die Schulter geweht. Er heißt Pieter van Doorn und spricht Englisch mit holländischem Akzent. Er ist Berater und arbeitet für einige Monate in einem Risk-Management-Projekt bei einer Bank, bei welcher kann er nicht sagen. "Ich weiß nicht genau, gegen was sie demonstrieren", sagt er. Es gehe gegen die Banken, wird er aufgeklärt. "Das verstehe ich nicht, schließlich braucht doch jeder eine Bank, jeder hat ein Konto", meint er. Es gehe eher gegen die zockenden Banken. "Da sind sie vielleicht etwas spät dran", sagt er.

Um halb eins machen sich einige der Aktivisten auf zur Taunusstraße. Sie stellen sich auf den Gehsteig mit einer Holztafel, auf der steht: "Herzliche Einladung zum Mittagstisch". Eine junge Frau mit Umhängetasche, in roten Pluderhosen und wollenen Gamaschen spricht vorbeigehende Banker in ihren Anzügen an und lädt sie zum Dialog ein. Die meisten lächeln höflich, schütteln den Kopf und gehen weiter. Nur einer bleibt kurz stehen und sagt: "Vielen Dank, ich hab' schon gegessen."

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