Niedrige Zinsen für Sparer:Die deutsche Tugend rächt sich

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US-Banken drohen mit Negativzinsen, auch in Europa ist so etwas denkbar. Die Zinsmisere macht viele wütend, sie klagen über die "Enteignung" der Sparer. Das ist abwegig. Es gibt kein Recht auf einen positiven Zins. Und die Deutschen müssen schließlich nicht tatenlos zusehen, wie ihre Sparbücher an Wert verlieren.

Ein Kommentar von Nikolaus Piper

Für Sparer sind die Zeiten hart. Schon lange gleichen die Zinsen eines einfachen Sparbuchs nicht mehr die Inflation aus. Und es gibt neue schlechte Nachrichten. Nach unbestätigten Gerüchten erwägen amerikanische Banken, Kundeneinlagen negativ zu verzinsen - also eine Strafgebühr von jedem zu verlangen, der sein Geld auf dem Konto lässt. Auch in Europa ist so etwas denkbar. Die Europäische Zentralbank (EZB) diskutierte bereits, ob sie nicht von Banken Negativzinsen verlangen sollte, um diese dazu zu verleiten, mehr Kredite zu vergeben. Noch ist nichts beschlossen, aber sollte es dazu kommen, werden die Institute versuchen, ihre höheren Kosten bei den Kunden wieder hereinzuholen.

Die Zinsmisere hat in Deutschland Wut ausgelöst. Besonders seit die EZB vor zwei Wochen ihren Leitzins auf historische 0,25 Prozent gesenkt hat, klagen Berufene und Unberufene über die "Enteignung" der Sparer. Die Deutschen, so eine populäre Deutung der Ereignisse, seien die Dummen. Sie hätten ihr Geld zusammengehalten und müssen nun zusehen, wie die EZB zu ihren Lasten Südeuropa mit billigem Geld überschütte.

Es wäre allerdings an der Zeit, rhetorisch ein wenig abzurüsten. Ja, die niedrigen Zinsen schaden den Sparern, sie schaden den Lebensversicherungen, aber sie haben nichts mit Enteignung zu tun. Wer mit diesem Begriff argumentiert, der unterstellt, dass es so etwas wie ein Recht auf einen positiven Realzins gibt, also auf einen Zins, der über der Inflation liegt. Aber so ein Recht kann es nicht geben, der Zins ist ein Ergebnis der Wirtschaftslage und des Marktes. Es gehört nicht zum Mandat der EZB - oder irgendeiner anderen Zentralbank -, die Verzinsung von Sparbüchern zu garantieren.

Schweiz experimentierte mit Negativzinsen

Die EZB ist per Gesetz der Preisstabilität verpflichtet, und nichts anderem. Diese Stabilität kann auch dadurch verletzt werden, dass das Preisniveau sinkt und die Wirtschaft in die Deflation sinkt. Vor genau so einer Deflation hat EZB-Präsident Mario Draghi Angst, deshalb setzte er die jüngste Zinssenkung durch. Das zeigt, wie abwegig der Begriff von der "Enteignung" der Sparer durch die EZB ist: Würde die Zentralbank eine Deflation tatsächlich zulassen, wäre die Folge eine neue Rezession mit sinkenden Einkommen und Arbeitsplatzverlusten. Die Sparer würden dann in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer "enteignet".

Auch früher schon wurden gelegentlich Sparer gebeutelt, um die Wirtschaft zu retten. Die Schweiz experimentierte in den Siebzigerjahren mit Negativzinsen. Damals bedrohte ein massiver Zustrom von Kapital die Wettbewerbsfähigkeit des Landes. Die Regierung in Bern erließ daraufhin kurzerhand eine Strafgebühr von zehn Prozent auf alle Einlagen von Ausländern. Die drakonische Maßnahme wirkte, die Ausländer zogen wieder ab.

Eine ganz andere Frage ist es, ob die Politik Draghis und seines amerikanischen Kollegen Ben Bernanke wirklich wirkt. Darüber kann man in der Tat streiten. Die Zentralbanken drucken Geld in nie gekanntem Ausmaß, um die Weltwirtschaft aus der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg zu führen. Dabei bewegen sie sich auf unerforschtem Territorium. Die US-Fed zum Beispiel testet derzeit unter Schmerzen, wie sie sich langsam und ohne Schaden anzurichten von der Politik des Gelddruckens verabschieden kann. Das Ergebnis des Tests ist offen.

Deutsche Tradition rächt sich

Nach heutigem Stand allerdings sprechen die Indizien für Draghi und Bernanke. Die Euro-Krise ist eingedämmt, die USA erleben einen schwachen, aber stabilen Aufschwung - und das, obwohl die Politik auf beiden Seiten des Atlantiks die Erholung der Weltwirtschaft eher gebremst als gefördert hat. Für den Vorgang hat der Ökonom John Maynard Keynes einen schönen Begriff geprägt: Die Zentralbanker wollen die Weltwirtschaft aus der "Liquiditätsfalle" herausziehen.

In diese Falle ist sie geraten, weil sich nach der Finanzkrise viele Anleger scheuten, ihr Geld in neuen Investitionen zu riskieren. Um dieses Verhalten zu ändern, versuchen Draghi und Bernanke, Liquidität - also Geld auf Girokonten oder Sparbüchern herumliegen zu haben - so unattraktiv wie möglich zu machen. Und das trifft eben auch Kleinsparer.

Ein wenig rächt sich jetzt die deutsche Tradition, nach der Sparen eine Tugend, Investieren aber anrüchig ist. Fast 50 Prozent aller Amerikaner besitzen Aktien, aber nur 15 Prozent aller Deutschen. Wer zu Jahresbeginn in den Deutschen Aktien-Index investiert hat, der konnte bis heute sein Vermögen um 20 Prozent mehren. Das ist keine Aufforderung, jetzt groß in den Aktienmarkt einzusteigen. Aber es zeigt, dass es Alternativen gibt. Die Deutschen müssen nicht tatenlos zusehen, wie ihre Sparbücher an Wert verlieren.

© SZ vom 27.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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