NFC-Telefon als Geldbörse:Mal eben schnell mit dem Handy zahlen

NFC-Smartphone

Bezahlen mit dem Smartphone mittels der NFC-Methode.

(Foto: picture alliance / dpa)

Egal ob beim Bäcker oder im Schuhladen - Kunden sollen einfach ihre Smartphones über Lesegeräte an Kassen halten, dann wird abgebucht. Die Telekomkonzerne liefern dafür 2013 endlich die nötige Technik. Klingt bequem, doch die große Frage ist: Wollen die Deutschen so etwas überhaupt?

Von Björn Finke

Polen ist Deutschland voraus. Was in diesem Einkaufszentrum am Rande Warschaus geschieht, wäre hierzulande nicht möglich. Dabei ist der Ort an sich nicht ungewöhnlich: mehrere Stockwerke, günstige Modegeschäfte, ein paar Cafés, viel Glas und Stahl und Beton. Ein Einkaufszentrum von der Stange eben, so wie sie überall in Europa aussehen. Ungewöhnlich ist vielmehr, dass Kunden hier fast überall statt der Brieftasche auch ihr Handy zücken können. Egal, ob es der Cappuccino zum Mitnehmen oder der neue Armreif sein soll, die meisten Geschäfte haben Lesegeräte, die kontaktloses Bezahlen per Funkchip ermöglichen.

Near Field Communication, kurz: NFC, heißt die Methode. Und viele kennen sie aus dem Büro, von Zugangs- oder Kantinenkarten, die man nur über ein Lesegerät hält. Aber bezahlen im Laden? In Deutschland können lediglich ein Prozent der Kassenterminals Funksignale empfangen, in Polen hingegen zwischen 30 und 40 Prozent. Die Funkchips sind dort in vielen Kreditkarten eingearbeitet; die Polen müssen sie also nicht durch Geräte ziehen, sondern bloß an die Kasse halten. Und geht es nach der Deutschen Telekom, sollen unsere Nachbarn die Karten am besten gar nicht mehr herauskramen, sondern lieber per Smartphone zahlen.

Denn immer mehr internetfähige Handys haben auch NFC-Chips eingebaut - damit kann das Telefon zur funkenden Geldbörse werden. Im Herbst startete PTC, die polnische Tochter der Telekom, deshalb einen Bezahldienst fürs Handy. Mywallet, also: meine Geldbörse, heißt die App fürs Smartphone, und die Nutzer können darin die Daten ihrer Bank- und Kreditkarte hinterlegen. Weil in Polen so viele Kassen NFC akzeptieren, hat der Bonner Konzern seine Handy-Brieftasche dort zuerst eingeführt. In diesem Jahr sollen fünf andere europäische Staaten folgen - im Frühsommer Deutschland.

"Das ist eine unserer wichtigsten Innovationen", sagt Claudia Nemat, die im Telekom-Konzernvorstand für Technik und das Europageschäft zuständig ist. Das Unternehmen sucht neue Einnahmequellen rund um Internet- und Handy-Anwendungen, da im alten Kerngeschäft mit Gesprächsminuten der Umsatz wegbröckelt.

Immer mehr Geschäfte verwenden die NFC-Technik

Und der Bonner Konzern ist nicht allein mit der Idee. Die Rivalen Vodafone und E-Plus möchten ebenfalls im Laufe des Jahres eine Handy-Brieftasche auf den hiesigen Markt bringen - genau wie der spanische Telefónica-Konzern, in Deutschland besser bekannt unter der Marke O2. René Schuster, Chef von Telefónica Deutschland, kündigte kürzlich einen Probelauf für Mitte Februar an. "Brieftasche und Bargeld kennen Kinder bald nur noch aus Geschichtsbüchern", behauptet er.

Die Mobilfunker werden das aber nicht unter sich ausmachen: Der Internetkonzern Google, Schöpfer des beliebtesten Handy-Betriebssystems Android, will mitmischen. In den USA können Besitzer von NFC-Smartphones bereits mit der App Google Wallet Beträge begleichen. Und Google will seinen digitalen Geldbeutel auch außerhalb der Vereinigten Staaten einführen.

Nachdem Manager seit Jahren versichern, der Durchbruch der Handy-Geldbörse stehe kurz bevor, könnte 2013 also tatsächlich das Jahr werden, in dem die Deutschen anfangen, mit dem Smartphone zu bezahlen.

Zumal immer mehr Geschäfte NFC-Lesegeräte installiert haben. Die Parfümeriekette Douglas und die Tankstellenkette Aral rüsteten bundesweit ihre Kassen um, andere dürften folgen. "Kassenterminals, die jetzt gefertigt werden, haben mehrheitlich NFC-Technik eingebaut", sagt Ulrich Binnebößel, Fachmann für Zahlungssysteme beim Handelsverband HDE. Allein schon weil Läden die Geräte üblicherweise alle paar Jahre austauschten, würde sich NFC also verbreiten. Marktforscher zumindest geben sich äußerst zuversichtlich: Juniper Research etwa glaubt, dass 2017 weltweit über 180 Milliarden Dollar per Funkchip im Handy berappt werden, siebenmal mehr als 2012.

Unternehmen wollen Deutsche an die Technik gewöhnen

Die Frage ist nur: Interessiert die Deutschen, was Marktforscher und Telekomkonzerne zum globalen Trend ausrufen?

Schließlich ist man in Gelddingen hierzulande ausgesprochen konservativ, vielen gilt selbst die Kreditkarte als neumodischer Unfug. Sie setzen auf Bargeld. Bezahlen per Funk könnte es schwer haben - genau wie all die anderen hübschen Ideen, mit denen Unternehmer Smartphones und Tablets zu Brieftaschen machen wollen. Dabei geht es um Technologien, die vom massenhaften Einsatz oft noch weiter entfernt sind. Doch auch die Erfahrungen, die bisher mit Funkchips gemacht wurden, sind eher ernüchternd. Denn NFC-Chips im Handy mögen neu sein - auf Kredit- und Bankkarten ist die Technik bereits länger erprobt.

So starteten Banken und Sparkassen im vergangenen April in Niedersachsen das Projekt Girogo: Sie gaben 1,2 Millionen Bankkarten mit Funkchips heraus, die gut 1000 Geschäfte akzeptieren. Kunden müssen - ähnlich wie bei der Geldkarten-Funktion - auf den Chip vorher Guthaben laden, dann können sie Beträge bis 20 Euro kontaktlos und ohne Geheimnummer zahlen. Klingt bequem, aber die Bürger nutzen es kaum. Mastercard führte unter dem Namen Paypass, Visa unter Paywave Kreditkarten ein, mit denen ebenfalls kontaktlos und ohne PIN Kleinbeträge beglichen werden können. Vorige Woche veröffentlichte Visa Nutzerzahlen: Sie enttäuschten.

Banken wollen an Gebühren verdienen

Die Deutsche Telekom will im Frühjahr zusammen mit Mastercard eine eigene Kreditkarte und einen NFC-Chip zum Aufkleben auf das Handy herausgeben: ein erster Schritt, um die Bürger an das Bezahlen per Mobiltelefon zu gewöhnen. In der Branche heißt es, die Telekom werde für die Karte keine Jahresgebühr, sondern nur einmalig um die zehn Euro verlangen. Das wäre günstig. Das Telefon selbst muss dabei die Near Field Communication nicht beherrschen. Der Nutzer hält einfach das Handy mit dem aufgeklebten Chip über die Kasse, und schon werden Kleinbeträge über das Kreditkartenkonto abgebucht. Bei höheren Summen ist eine Geheimzahl nötig. Auf dem Smartphone kann der Kunde eine App installieren, die dann dank Internet-Verbindung sofort anzeigt, wie sein neuer Kontostand ist.

Vodafone will ein ähnliches Angebot im Mai mit Visa einführen. E-Plus brachte bereits im August, O2 im Oktober NFC-Aufkleber unters Volk. Nutzerzahlen nennt O2 keine, das Interesse sei aber "sehr groß", versichert ein Sprecher. Wie schön.

Die Telekom will dann im Frühsommer die richtige Mywallet-App in Deutschland starten, die darauf angewiesen ist, dass das Handy selbst über NFC funken kann. Etwa fünf Smartphone-Modelle von verschiedenen Herstellern seien bis dahin für das gefahrlose Bezahlen per Chip zertifiziert, schätzen Beobachter. Die App soll dem Vernehmen nach für den Kunden umsonst sein. Geld würde der Konzern damit verdienen, dass Banken eine Gebühr dafür überweisen, dass die virtuelle Brieftasche ihre Karten aufnimmt. Die Banken wiederum hoffen darauf, dass dank NFC weniger bar bezahlt wird - und sie damit öfter Gebühren einstreichen.

Händler und Restaurants profitieren

Die Telekom setzt aber nicht nur auf die Finanzbranche. Auch Herausgeber von Kunden- und Treueprogramm-Karten sollen sich für Mywallet erwärmen; Verkehrsbetriebe oder Konzertveranstalter sollen so ihre Tickets auf dem Handy der Käufer speichern, Golfklubs die Nutzung ihrer Anlagen abrechnen. Heutzutage haben Menschen dicke Portemonnaies voller Bank-, Mitglieds- und Kundenkarten. Einen Großteil davon könnten virtuelle Karten in der Telekom-Brieftasche ersetzen. Dann müssten Kunden im Supermarkt nicht mehr erst die Bank- und dann die Treuepunkte-Karte herauskramen. "Alle Karten in der Mywallet-App kommunizieren miteinander: die Golfkarte mit der Kreditkarte und der Treuekarte", sagt Peter Vesco, der das Bezahlsystemgeschäft der Bonner leitet.

Der Manager weiß um die Liebe der Deutschen zum Bargeld. Er bemüht sich nach Kräften, Mywallet als das bessere Bargeld darzustellen: "Leute zahlen gern bar, weil sie in der Brieftasche sehen, wie viel sie noch haben. Die App zeigt dafür den Kontostand an." Im Vergleich zu Plastikkarten wiederum sei NFC sicherer: "Sie geben im Restaurant keine Kreditkarte mehr aus der Hand. Und verlieren Sie heute Ihr Portemonnaie, müssen Sie zehn Karten mit zehn Anrufen sperren."

Wer sein Handy mit der Brieftaschen-Funktion liegen lässt, könne mit nur einem Anruf die komplette App sperren. Ist das Gerät wieder da, reicht ein weiteres Telefonat zum Freischalten. Im vergangenen Jahr fanden Hacker allerdings Sicherheitslücken bei Google Wallet, der Internetkonzern besserte nach. Keine gute Werbung, doch Vesco verspricht, die Anwendung der Telekom werde diese Probleme nicht haben.

Bleibt die Möglichkeit, dass all die Banken, Treueprogramm-Organisatoren und Verkehrsbetriebe lieber ihre eigenen NFC-Apps programmieren. Dann müssten sie nicht Mywallet der Telekom oder die Brieftaschen von Telefónica, Vodafone oder E-Plus nutzen - und sparten sich die Gebühren.

Die entscheidende Frage: "Will der Kunde das?"

Vesco hält dieses Risiko für gering, die großen Telekomkonzerne seien die natürlichen Anbieter für solche Apps: Die Unternehmen hätten das Wissen, wie so etwas Sensibles wie Bezahlen sicher mit der Technik eines Handys funktioniert. Dazu komme der Kundenstamm; so verfüge die Deutsche Telekom über 100 Millionen Handy-Kunden in Europa und mache über die Großkundensparte T-Systems ohnehin Geschäfte mit Banken und Handelsketten.

Für Händler und Restaurantbetreiber hat das Bezahlen per Handy keine zusätzlichen Abgaben zur Folge. Sie berappen nur die üblichen Gebühren, die anfallen, wenn Kunden ihre Karten einsetzen. Ob NFC schnell und im großen Stil an den Kassen akzeptiert werde, hänge vor allem von den Bürgern ab, sagt Handelsfachmann Binnebößel: "In Deutschland herrscht scharfer Wettbewerb. Was der Kunde will, führt der Händler ein." Für ihn sei die entscheidende Frage: "Will der Kunde das?"

Die Antwort darauf wüsste auch Telekom-Manager Vesco gerne. Ende des Jahres werden alle etwas schlauer sein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: