Neuer Markt:Ein paar Ideen haben überlebt

Den Börsen-Crash am Neuen Markt überstanden nur wenige Technikfirmen - doch einige Geschäftsmodelle sind erfolgreicher als je zuvor.

Thorsten Riedl

Im Internet ist die Verzweiflung vieler Verlierer archiviert. ''Gigabell vom Handel ausgesetzt!!!'', schreibt ein Nutzer namens bestbroker in einem Finanzforum am 30. Oktober 2000 genau um 10 Uhr 41 ins Netz. Später am Tag fragt ein anderer Diskussionsteilnehmer: ''Wann kann ich Gigabell wieder handeln?'' Er bekommt keine Antwort mehr. Das Unternehmen ist pleite.

Neuer Markt: Einige gut beschirmte Unternehmen konnten den Börsencrash am Neuen Markt überleben.

Einige gut beschirmte Unternehmen konnten den Börsencrash am Neuen Markt überleben.

(Foto: Foto: AP)

Im August 1999 notierte Gigabell zum ersten Mal am Neuen Markt der Frankfurter Börse. Etwas mehr als ein Jahr später, Ende Oktober 2000, musste der Internetdienstleister Insolvenz anmelden. Der Gründer, ein ehemaliger Schlagersänger, hatte sich mit seiner Geschäftsstrategie komplett verrechnet. Gigabell war die erste Pleite am Neuen Markt. Ihr folgten eine Reihe weiterer, darunter viele Technologiefirmen. Den Kehraus in der Branche haben nur wenige überlebt.

Überzogene Erwartungen

Unternehmensgeschichten wie die von Gigabell prägen die Erinnerung an die Technologiewerte am Neuen Markt. Überzogene Geschäftserwartungen, mangelnde Branchenkenntnis und ein ungezügelter Expansionsdrang: ''Viele Firmen hätten es auch in besseren Zeiten nicht weiter gebracht'', erklärt Dennis Etzel, Analyst für Technologieaktien bei der Commerzbank.

Der Überschwang um Technologiewerte nahm seinen Anfang 1995 in den USA. Damals ging Netscape an die Börse, eine Softwarefirma, die ein Navigationsprogramm für das Internet erstellt hatte. Der Kurs von Netscape verdoppelte sich am ersten Handelstag.

Boom der Branche

Es folgten noch heute bekannte Unternehmen wie das Internetkaufhaus Amazon, der Online-Auktionator Ebay und zahllose kleine Firmen. Das Internet gab es zu dieser Zeit zwar schon mehr als 25 Jahre, der Durchbruch gelang dem jungen Medium jedoch erst Anfang der neunziger Jahre, als mit dem World Wide Web das Netz über eine graphische Oberfläche einfach für jedermann zu nutzen war. Die Erwartungen an das weltweite Computernetz waren damals enorm - und standen in keiner Verbindung mehr zur Realität.

Beispiel Kabel New Media: Eine aggressive Expansionspolitik hatte den Internetdienstleister zu einem der Größten in der Branche werden lassen. In den Glanzzeiten hatte er 1000 Mitarbeiter. Zuletzt allerdings erwirtschaftete Peter Kabel, der Chef der jungen Firma, einen Jahresfehlbetrag, der fast so hoch lag wie der Umsatz. Im Juli 2001 folgte die Pleite.

Todeslisten

Als erstes Unternehmen am Neuen Markt wird Kabel New Media daher am 2. November 2001 von den Kurszetteln gestrichen. Zu dieser Zeit kursieren schon sogenannte Todeslisten von Börsenexperten. Sie enthalten potentielle Pleitekandidaten. Aus der Euphorie an den Kapitalmärkten ist Panik geworden.

Ein paar Ideen haben überlebt

Die Mehrzahl der deutschen Technologiefirmen überlebt das große Aufräumen an der Börse nicht. Namen wie Popnet Internet, MB Software, Brokat Technologies, Mediantis oder Infomatec sind Geschichte. Der Softwarehersteller Intershop schreibt seit Jahren Verluste.

Die Besten überleben

Doch es gibt auch die positiven Beispiele: Firmen, denen es trotz des Platzens der Neuer-Markt-Blase und des wirtschaftlichen Abschwungs um die Jahrtausendwende, beschleunigt durch die Terroranschläge vom 11. September 2001, gelungen ist, auf den Beinen zu bleiben. Die Internetanbieter United Internet, Freenet und QSC oder das Softwarehaus IDS Scheer gibt es noch heute, mit wechselndem Geschäftserfolg, teilweise mit mehr als zu den Hochzeiten der Börseneuphorie.

Kontron beispielsweise, ein Hersteller von Computersystemen für die Industrie, musste Anfang 2001 einen Geschäftseinbruch verkraften, der bis Anfang 2003 anhielt. Erst danach ging es wieder aufwärts. Die Durststrecke hat sich inzwischen ausgezahlt: Kontron verbuchte im vergangenen Jahr ein Umsatzplus von 30 Prozent auf 400 Millionen Euro. ,,Das Unternehmen steht besser da als je zuvor'', sagt Technikanalyst Etzel.

Flexibilität ist gefragt

Auch wenn der Aufschwung für viele Firmen zu spät gekommen ist: manche Ideen haben überlebt. So ist Fortunecity.com 1997 angetreten, eine weltumspannende Gemeinschaft im Internet zu errichten. Jeder sollte auf seiner eigenen Seite im Netz etwas von sich erzählen.

Inzwischen ist das Unternehmen davon abgerückt - dabei ähnelt das Geschäftsmodell verblüffend dem von Myspace.com, einem Online-Poesiealbum für Teenager. Dem Medienkonzern News Corp. war diese Idee im Sommer 2005 knapp 600 Millionen Dollar wert.

Der neueste Trend

Web 2.0 nennt sich die Euphorie um Internetunternehmen dieses Mal. Geschäftsideen im Netz, bei denen die Nutzer die Inhalte gestalten, wie bei Myspace oder dem Videoportal Youtube.com, übernommen von der Internetsuchmaschine Google für 1,65 Milliarden Dollar, sind gefragt.

Die Börse bleibt dieses Mal von der Hysterie weitgehend verschont. Die meist kleinen Web 2.0-Firmen holen sich ihr Kapital in der Regel nicht von der Börse. Lieber lassen sie sich von den Internetkonzernen Google, AOL, Yahoo und Microsoft kaufen - und die verdienen gerade gutes Geld, sei es mit Werbung im Netz oder mit Computerprogrammen wie Microsoft.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: