SZ-Serie Wohnen in: Rom:Römische Tafelrunden

Immobilien sind die liebste Geldanlage der Italiener. Wer es sich leisten kann, kauft seinen Kindern eine Wohnung - als Starthilfe.

Von Oliver Meiler

SZ-Serie Wohnen in: Rom: Skyline von Rom, im Hintergrund das Viktor-Emanuelsdenkmal. Die Stadt lockt immer mehr Touristen an, weshalb vermögende Italiener nicht mehr so gern im Zentrum wohnen.

Skyline von Rom, im Hintergrund das Viktor-Emanuelsdenkmal. Die Stadt lockt immer mehr Touristen an, weshalb vermögende Italiener nicht mehr so gern im Zentrum wohnen.

(Foto: Carmen Steiner/mauritius images)

Bei der Piazza Navona? Oder vielleicht beim Campo de' Fiori? Oder in den Gassen von Trastevere? Wer an Rom denkt, an seine Plätze und Kirchen, seine Brunnen und antiken Monumente, seine Platanen und Pinien, der denkt wohl, dass da jeder mittendrin wohnen möchte. In der ganzen Pracht, umgeben von Geschichte und Romantik.

Nun, die Römer selbst leben eher nicht so gerne im alten Rom. Natürlich gibt es welche, die da wohnen, auch prominente. Theaterdirektoren, Minister, Fernsehmoderatoren, Schauspieler, Parlamentarier aus allen Ecken des Landes. Als der Fußballer Daniele De Rossi eine Wohnung gleich gegenüber des Castel Sant' Angelo kaufte, war das eine Sensation. Die Einwohnerzahl im alten Kern der Stadt geht stetig zurück.

Das liegt nicht nur an den Preisen. Das Zentrum ist unpraktisch, es gibt da kaum Parkplätze, natürlich schon gar keine unterirdischen: Wer hier gräbt, stößt immer auf Antike. Das ist zwar schön, aber wenn mal die Archäologen mit ihren Pinselchen aufmarschieren, erstarrt alles für Jahre. Darum gräbt keiner. In den alten Mauern des "Centro storico" ist es im Sommer auch ein paar Grad wärmer, außer auf den sieben Hügeln. Und dann sind da noch die Touristen, Schwärme davon, jedes Jahr sind es noch mehr. Neuerdings fahren sie mit Segways durch die Gassen, ziemlich wacklig. Sie führen sich auf, als gehöre die Stadt ihnen.

Durch das starke Wachstum des Tourismus sind auch die Immobilienpreise gestiegen, nicht nur die der Wohnungen: Die werden immer öfter in B&Bs - Bed & Breakfast - und Airbnb umfunktioniert. Auch die Mietpreise der Laden- und Restaurantlokale steigen dramatisch. Und so schließen viele alte, kleine Geschäfte, die sich das nicht mehr leisten können: Schreiner, Mechaniker, Früchtehändler, "Tavole calde" - so nennt man unprätentiöse, aber oftmals gute italienische Imbisse. Sie verschwinden, und mit ihnen ein Stück Identität und Alltagskultur im Viertel. An ihrer Stelle gibt es jetzt alle paar Dutzend Meter eine Gelateria, eine Eisdiele, oder einen Souvenirladen. Alles für Touristen, wer möchte da noch leben?

Piazza Campo De Fiori Rom Italien Piazza Campo De Fiori Rom Italien

Blauer Himmel über dem Campo De Fiori und seinen traditionellen Gebäuden. Der Platz liegt im historischen Stadtviertel Parione.

(Foto: Schöning/Imago)

Die einigermaßen vermögenden Römer wohnen deshalb viel lieber in den zentrumsnahen Vierteln, in Monteverde zum Beispiel, in Prati, im Quartiere Trieste, wo die Straßen breiter und die Touristen etwas weniger sind. Zur Miete wohnt in Italien nur, wer sich keine Wohnung leisten kann oder keine von seinen Eltern vermacht bekam. Immobilien sind die liebste Anlage der Italiener. Bei den Betuchteren gehört es zum guten Ton, den Kindern eine Wohnung zu kaufen. Meistens im selben Viertel, damit sie in der Nähe bleiben. Für die Kinder ist das eine Starthilfe. Und die haben viele bitter nötig, weil die Löhne, die hier am Anfang einer Karriere bezahlt werden, jungen Menschen selten zur Autonomie verhelfen.

Das Eigenheim ist sakrosankt, der Mietmarkt entsprechend dürftig. In der Porta Portese, der römischen Anzeigenzeitung für alles, was einer gerne kaufen oder verkaufen möchte, ist die Sektion für Mietwohnungen immer viel kleiner als jene der Kaufwohnungen. Ein Teil davon, jener mit den hohen Fantasiepreisen, ist für die Expats gedacht: Botschaftsangestellte etwa, und davon gibt es eine ganze Menge, entsenden doch viele Staaten Leute für die Vertretung in Italien und solche für den Heiligen Stuhl, dazu Angestellte der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, Sehnsüchtige jeder Provenienz.

Besichtigungstermine sind immer ein Erlebnis, aber nicht immer ein erfreuliche

Besichtigungstermine sind immer Erlebnisse, nicht ausschließlich im erfreulichen Sinne. Die Wohnungen sind dann meistens ungeputzt. Es kann auch mal vorkommen, dass ungewaschenes Geschirr im Spülbecken steht, und man möchte lieber nicht wissen, wie lange schon. Oder es passiert einem, dass auch bei der Schlüsselübergabe noch Möbel des Vorgängers herumstehen und die Schränke voll sind, in den Zimmern und in der Küche.

Ein Erfahrungsbericht: Der Umzugswagen stand schon unten. Der Besitzer, ein Adliger mit zwei Hunden, organisierte dann schnell ein halbes Dutzend Freunde, die den ganzen Kram durchs Treppenhaus wegbrachten, inklusive eines schrecklichen Kronleuchters, während die Umzugsleute die Kartons mit einem Warenlift die Fassade hochzogen, zum Fenster im Elternzimmer. Die einen rein, die anderen raus, es hat gerade so geklappt.

Den Römern sind nur die eigenen vier Wände wichtig, buchstäblich. Wie das Haus von außen aussieht, kümmert nur wenige. Auch das Treppenhaus muss nicht immer perfekt sein. Ganz zu schweigen von der Straße: Oft sind in den besten Wohngegenden die Straßen und Gehsteige besonders schmutzig, die Müllcontainer überborden. Das hat natürlich damit zu tun, dass die städtische Müllabfuhr in einem beklagenswerten Zustand ist, aber nicht nur. Im großen Lamento der Römer über Dreck und Dekadenz wird gern vergessen, dass sie selbst ziemlich wenig dafür tun, dass es besser wird. Es gibt lobenswerte Vereinigungen und Initiativen, aber insgesamt mangelt es dramatisch am Sinn fürs Kollektive.

Wer es sich leisten kann, der wohnt in einem Haus mit einem "Portiere", einem Hausmeister. Es gibt sie noch immer in vielen Palazzi. Sie putzen nicht nur den Hauseingang und schauen, dass niemand reinkommt, der nicht hineingehört. Portieri sind im besten Fall die Seele eines Hauses. Sie wissen alles, auch den Klatsch, schlichten Fehden unter Bewohnern, nehmen die Pakete entgegen oder gießen die Pflanzen, wenn man nicht zu Hause ist. Wichtig ist den Römern auch ein Aufzug im Haus. Wohnungen in Häusern ohne Aufzug gehen für gewöhnlich viel billiger weg. Wenn eine Wohnung in einem hohen Stockwerk mit viel Licht und sogar noch etwas Aussicht scheinbar unter Preis annonciert ist, bedeutet das meist: kein Aufzug.

Nach einer Weile wird man Experte im Lesen von Inseraten. Weil die Italiener, alle, gerne in der erweiterten Familie essen, an lang gezogenen "tavolate", wie Tafelrunden genannt werden, soll der gemeinsame Bereich in einer Wohnung möglichst groß sein. In den Annoncen heißt es dann "salone doppio", "salone triplo" oder gar "salone quadruplo", was natürlich nicht bedeutet, dass es in der Wohnung zwei, drei oder gar vier Wohnzimmer gibt, sondern dass dieser eine Salon zwei, drei oder vier Mal so groß ist wie ein üblicher.

Präziser wäre es, wenn die Größe in Quadratmetern angegeben wäre, zumal das Übliche ja kein universeller Standard ist, nicht einmal in Italien. Doch das klänge dann wohl nach weniger. Wichtig ist auch, dass Schlaf- und Wohnbereich getrennt sind, wenn möglich mit Zwischentüren und Pufferzonen. Weil in italienischen Wohnungen die Küche zentral ist, sollen die wunderbaren Ausdünstungen und Gerüche, die ihr entweichen, die Gemächer nicht erreichen. Küchen sollten groß bemessen sein, auch gerne mal größer als das Schlafzimmer.

Die Wohnungen sind Familienschreine. Jedes Stück hat seinen Platz

Ginge man von den schönen Katalogen italienischer Möbelfirmen aus, könnte man der Vermutung verfallen, dass die Italiener inmitten modernen Designs wohnten, hell und minimalistisch. Doch diese pauschale Vermutung ist weit gefehlt, das Gegenteil ist wahr: Die Italiener mögen dunkle, polierte Möbel, Antiquitäten, schwere Teppiche und Vorhänge, einen großen Fernseher an sehr prominenter Stelle, viele Bilder an den Wänden. Die Wohnungen sind Familienschreine, jedes Stück hat seinen Platz. Die jüngere Generation ist etwas moderner, dank des bekannten schwedischen Ausstattungshauses. Aber die teuren Möbel und Küchen aus den italienischen Designkatalogen sind wohl vor allem für den Export gemacht.

Terrassen und Balkone sind zwar beliebt, gerade wenn man von ihnen über die Dächer Roms sieht, doch nur wenn sie einem alleine gehören. Gemeinschaftsterrassen, sogenannte "terrazze condominiali", stehen meist leer. Da geht niemand rauf, da und dort hängen noch die Wäscheleinen aus einer Zeit, als man die Wäsche noch aufs Dach zum Trocknen brachte. Es gibt auch ganz wunderbare Gemeinschaftsterrassen, solche mit Sicht auf die Kuppel von San Pietro, die man von weit her sieht, weil ja in dieser Stadt nichts höher sein darf als die Zentralkirche der Katholiken. Im Abendlicht ist sie kurz orange eingehüllt, mächtig und sanft. Allein dafür würde es sich lohnen. Die Romantik Roms aber, sie ist den Römern viel weniger wichtig als den vielen Sehnsüchtigen aus dem Norden.

Die SZ berichtet in einer neuen Serie in loser Folge über das Thema Wohnen in wichtigen Metropolen der Welt.

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