Süddeutsche Zeitung

Neubürger:Schnuppertickets und Radlstadtplan

Das Projekt "Wohnen leitet Mobilität" liefert Ideen, wie man Autofahrer zum Umsteigen bewegen kann. Und gibt auch der Wohnungswirtschaft Tipps.

Von Marianne Körber

Wie bringt man Menschen in Städten dazu, auf das eigene Auto zu verzichten? Das ist eine der zentralen Fragen, die das von 2017 bis Ende 2019 laufende Projekt "Wohnen leitet Mobilität" beantworten will. Es wird realisiert vom ökologischen Verkehrsclub VCD, dem Öko-Institut und dem Deutschen Mieterbund. Das Projekt, das vom Bund gefördert wird, soll dazu beitragen, klima- und stadtverträgliche Mobilitätsangebote zu erarbeiten, und zwar gemeinsam mit Wohnungsunternehmen, Kommunen und Mobilitätsdienstleistern.

Also weniger Auto, mehr Bus und Fahrrad. Um die Stadtbewohner dafür zu begeistern, reichen Appelle und neue Angebote nicht aus - denn der Mensch ist ein Gewohnheitstier und verzichtet nur ungern auf Komfort. Um die "Mobilitätsroutinen der Mieterinnen und Mieter" zu durchbrechen, empfiehlt der VCD ein Zielgruppenmarketing, das bei Lebensumbrüchen ansetzt - zum Beispiel bei einem Jobwechsel oder Umzug. Studien zeigten, dass Menschen in solchen Situationen offen seien, sich neu zu organisieren.

Einige Städte nutzten bereits das Instrument des "Neubürgerpakets". Das soll Zugezogene nicht nur willkommen heißen, sondern auch zu einer Verlagerung des Autoverkehrs in den Umweltverbund führen. Die Neumünchner beispielsweise bekommen im Anschluss an eine Anmeldung im Bürgerbüro das Informationspaket "Meine neue Stadt" zugesandt. Es enthält Informationen rund um die Mobilität und die Möglichkeit, weitere Materialien kostenfrei zu bestellen, etwa den Radlstadtplan und ein Schnupperticket für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV).

Aber nicht nur Städte, auch Energieversorger und die Post können Zugezogene auf Mobilitätskonzepte hin ansprechen, so bei der Anmeldung für Strom, Gas und Wasser oder wenn ein Nachsendeauftrag beantragt wird. Neubürgerkampagnen sind zwar kostenintensiv, zeigen bei guter Planung und Durchführung aber positive Ergebnisse, heißt es beim VCD.

Individualisten meiden oft den öffentlichen Nahverkehr. Sie steigen lieber aufs Fahrrad um

Ein weiterer Lebensumbruch, der meist mit einem veränderten Mobilitätsverhalten einhergehe, sei die Geburt eines Kindes. Werdende Eltern ließen sich zum Beispiel bei Geburtsvorbereitungskursen, in Hebammen- und Frauenarztpraxen ansprechen, meinen die Experten.

In München könnten junge Eltern für einige Tage kostenlos ein Kindertransportrad oder einen Kinderfahrradanhänger leihen, ein ÖPNV-Monatsticket für 29 Euro bekommen oder einen Carsharing-Wagen für ein Jahr ohne Anmelde- oder Grundgebühr nutzen. In Leipzig bekämen Babys ein Jahresticket für den ÖPNV und dürften ein Elternteil kostenlos mitnehmen. Auto fahrende junge Eltern könnten über Kitas und Schulen mit Projekten wie "Zu Fuß zur Schule" kontaktiert werden, empfiehlt der VCD. Mobilitätsbildung bei Kindern führe übrigens zu einem veränderten Verhalten der Eltern - Erziehung funktioniert auch umgekehrt.

In Bussen und Bahnen werde oft für umweltfreundliche Verkehrsmittel geworben, doch das erreiche gerade die Menschen nicht, die mit dem eigenen Pkw zur Arbeit fahren. Autofahrer seien mehrheitlich Individualisten, vermuten die Experten. Wer gern Fahrstrecke und -zeit selbst bestimme, steige lieber auf das Fahrrad um als auf den öffentlichen Personennahverkehr.

Über klassische Werbung seien Autofahrer am besten während der Fahrt zu erreichen, zum Beispiel durch Reklame an Bussen oder über den Hörfunk.

Wohnungsfirmen könnten viel für die Mieter tun. Zum Beispiel einen Ausweis ausstellen

Ein Blick ins Ausland zeige, dass auch Haustürwerbung positive Auswirkungen habe. Das in Großbritannien von Sustrans durchgeführte Programm "Personalised Travel Planning" (PTP) könne gute Resultate vorzeigen: Wurden Menschen zu Hause beraten, nutzten anschließend mehr das Fahrrad, um zur Arbeit zu kommen - nicht nur für ein paar Tage, sondern langfristig.

Und was können Wohnungsunternehmen für das Klima tun? Bisher liegt der Fokus im Bereich der energetischen Gebäudesanierung, künftig sollte auch die Förderung der nachhaltigen Mobilität am Wohnort selbstverständlich werden, so die Fachleute. So wie es heute für jede Wohnung einen Energieausweis gebe, könnten Vermieter beispielsweise einen Mobilitätsausweis für ihre Wohnungen erstellen. Der könnte etwa über Fahrangebote Auskunft geben, über E-Räder zum Mieten oder über Parkplätze und Aufenthaltsflächen - vielleicht sogar Gradmesser sein für Lebensqualität im Wohnumfeld.

Eine Möglichkeit, den ÖPNV für Mieter attraktiver zu machen, seien Mietertickets - also vergünstigte ÖPNV-Tickets, bei denen die Wohnungsunternehmen als Vermittler auftreten, die Tickets mit Großkundenrabatt vom Verkehrsdienstleister erwerben und diese an ihre Mieter weitergeben. Auch könnten Wohnungsunternehmen "Mobilitätsstationen" am Wohnort einrichten, wie beispielsweise im Domagkpark in München. In dem autoreduzierten Neubauviertel stünden den Mietern vergünstigte E-Autos, E-Fahrräder, Lastenräder und E-Roller zur geteilten Nutzung zur Verfügung.

Und sonst? Vielen Mietern seien die ÖPNV-Angebote in ihrem Umfeld nur unzureichend bekannt. Vermieter könnten Fahrplanwechsel nutzen, um auf Fahrmöglichkeiten hinzuweisen. Informiert werden könne über eine Mieterzeitung oder über Aushänge am Schwarzen Brett. Sinnvoll sei auch ein Concierge-Service, der wichtige Dienstleistungen an einem Standort vereine - den Hausmeister- und Reparaturservice, die Ausleihe von Lastenrädern, dazu eine Paketannahmestelle, damit nicht jeder Haushalt einzeln angefahren werden muss. (Informationen zum Projekt unter https://www.vcd.org/themen/wohnen-und-mobilitaet/) .

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Quelle:
SZ vom 10.08.2018
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