Süddeutsche Zeitung

Nervöse Märkte:Milliarden per Knopfdruck

Börsen im Stress: Der Dax schwankt stark, die belasteten Finanztitel reagieren uneinheitlich. Notenbanken weltweit pumpen Milliarden in die Märkte.

Die Notenbanken stemmen sich mit Milliarden-Geldspritzen gegen die Finanzkrise: Die weltweit führenden Notenbanken gehen in einer gemeinsamen Aktion gegen die anhaltende Krise an den internationalen Finanzmärkten vor. Ziel der abgestimmten Maßnahmen sei der Markt für kurzfristige liquide Mittel in US-Dollar, teilten die Notenbanken am Donnerstag mit.

Durch zusätzliche Liquiditätsspritzen in der US-Währung soll die Liquidität an den internationalen Finanzmärkten verbessert werden. Beteiligt an der Aktion sind die US-Notenbank, die Europäische Zentralbank (EZB), die britische Notenbank (BoE) sowie die Zentralbanken Japans (BoJ), Kanadas (BoC) und der Schweiz (SNB). Die Notenbanken stünden weiter in engem Kontakt.

Gemeinsam gegen das Misstrauen

Als zentrale Maßnahme erhöht die US-Notenbank ihre Währungsvereinbarung (Swap) mit den anderen beteiligten Notenbanken um insgesamt 180 Milliarden Dollar. Die entsprechenden Mittel werden den beteiligten Zentralbanken übergangsweise zur Verfügung gestellt.

Die Beträge für die EZB und die SNB wurden demnach um insgesamt 70 Milliarden Dollar aufgestockt. Darüber hinaus wurde mit den Notenbanken Großbritanniens, Japans und Kanadas erstmalig eine Swap-Vereinbarung über insgesamt 110 Milliarden Dollar getroffen. Alle Währungsvereinbarungen laufen bis zum 30. Januar 2009.

Hintergrund der neuerlichen Aktion ist die verschärfte Krise im US-Bankensektor. Wegen des hohen Misstrauens der Banken untereinander stehen die Geld- oder Interbankenmärkte, an denen sich die Institute gegenseitig kurzfristige Gelder ausleihen, unter erheblichem Druck. Bereits in den vergangenen Tagen hatten die Notenbanken erhebliche liquide Mittel in die Geldmärkte gelenkt.

Die Aktion der Notenbanken ermöglichte den deutschen Aktien am Donnerstag einen verhältnismäßig freundlichen Start. Am späten Vormittag erholte sich der Dax zuletzt um 0,97 Prozent auf 5917,65 Punkte - bei 5818 Zählern hatte der Leitindex zuvor ein neues Zweijahrestief markiert.

Der MDax gewann knapp 0,40 Prozent, der TecDax stand dagegen 0,09 Prozent tiefer.

"Der Handel bleibt von hoher Unsicherheit und Nervosität geprägt und der Verlauf ist unberechenbar", sagte Frank Schneider von Alpha Wertpapierhandel. Es seien einige Lösungen für die in Schieflage geratenen Banken im Gespräch und dies könnte zumindest kurzzeitig Besserung bringen.

Die Richtung am Aktienmarkt werde aber derzeit besonders stark von der Entwicklung der Nachrichtenlage bestimmt und daher schwer prognostizierbar. Der grundlegende Trend bleibe abwärts gerichtet.

Kapitalmarktexperte Robert Halver von der Baader Bank sieht die Notenbanken im Zugzwang: "Die Notenbanken müssen Liquidität aus allen Ritzen fließen lassen, um einen Domino-Effekt im Finanzsektor aufzuhalten. Am Morgen wurde daher der Geldhahn auch schon aufgedreht." Investoren hofften derzeit auf ein solch positives Signal, damit sich der Markt stabilisieren kann.

Händler führten das Auf und Ab auch auf große Schwankungen einiger Finanzwerte zurück. So waren die schwer gewichteten Allianz-Aktien in der Spitze um mehr als acht Prozent, Commerzbank um mehr als sechs Prozent gefallen. Die beiden Institute hatten sich vor kurzem auf den Verkauf der Dresdner Bank von der Allianz an die Commerzbank geeinigt.

An den asiatischen Börsenplätzen fielen die Kurse am Donnerstag erneut um zum Teil mehr als vier Prozent. In Tokio gab der Nikkei-Index um 3,2 Prozent auf 11.375,57 nach. Der Hang-Seng-Index in Hongkong brach um 847,54 Punkte oder 4,9 Prozent ein und notierte bei 16.805. Auch die Märkte in Südkorea und Australien meldeten deutliche Verluste. Am Vortag hatte bereits in New York der Dow-Jones-Index angesichts der Nervosität in Folge des Zusammenbruchs der US-Bank Lehman Brothers fast 450 Punkte abgegeben.

Bankenszene im Umbruch

In den USA geht die Welle von Übernahmen und Zusammenschlüssen von Banken währenddessen im Eiltempo weiter. Wie die New York Times in ihrer Onlineausgabe berichtete, prüft die in Bedrängnis geratende US-Investmentbank Morgan Stanley eine Fusion mit einem anderen Finanzhaus. Als möglicher Partner wurde die US-Bank Wachovia genannt.

Parallel dazu stellte sich die größte US-Sparkasse Washington Mutual selbst zum Verkauf. Wachovia, die viertgrößte Bank der USA, habe Morgan Stanley gegenüber selbst Interesse an einem Zusammenschluss geäußert, berichtete die New York Times unter Berufung auf Insider.

Auch andere Banken hätten bereits angeklopft. Morgan Stanley hatte an der Börse zuletzt immer stärkere Kursverluste erlitten. Am Mittwoch war die Aktie erneut um 24 Prozent auf 21,75 Dollar abgestürzt.

Ähnliche Verluste hatten in den vergangenen Tagen bereits mehrere andere Finanzhäuser in die Pleite oder zum Verkauf gezwungen. So sind wegen der Kreditkrise von einst fünf unabhängigen US-Investmentbanken nur noch Morgan Stanley und Goldman Sachs übrig.

Lesen Sie weiter, warum Analysten skeptisch bleiben

Analysten und Investoren sind allerdings skeptisch, ob eine Verbindung von Morgan Stanley und Wachovia sinnvoll ist, da beide von der Finanzkrise mitgenommen sind. "Zweimal minus macht nicht plus", sagte ein Fondsmanager.

Auch bei Washington Mutual liefen bereits Verkaufsgespräche, berichtete die New York Times nach US-Börsenschluss unter Berufung auf Insider. Zu den möglichen Käufern zählten die britische Bank HSBC sowie die US-Häuser J.P. Morgan Chase und Wells Fargo, hieß es weiter.

Auch der US-Finanzkonzern Citigroup habe erstes Interesse an Washington Mutual (WaMu) angemeldet, berichtete das Wall Street Journal. Über einen Verkauf war bereits mehrfach spekuliert worden. WaMu hatte dies aber stets als nicht nötig zurückgewiesen.

Auch in Europa befindet sich die Bankenszene im Umbruch: Die britische Großbank Lloyds übernimmt den taumelnden Baufinanzierer HBOS für 12,2 Milliarden Euro. Der größte britische Baufinanzierer hatte sich zuvor Lloyds zum Kauf angeboten. Das Geschäft solle komplett per Aktientausch abgewickelt werden, sagte eine mit der Angelegenheit vertraute Person am Mittwochabend der Nachrichtenagentur Reuters. Am Donnerstagmorgen wurde der Deal bestätigt, im Laufe des Tages sollen weitere Details veröffentlicht werden.

Mit der Übernahme entsteht ein neuer Hypotheken-Gigant mit einem Börsenwert von rund 35 Milliarden Euro. Lloyds ist die fünftgrößte britische Bank und HBOS die Nummer sechs. Im Hypothekengeschäft belegen sie die Plätze vier und eins mit einem gemeinsamen Marktanteil von 28 Prozent.

Am Mittwoch hatten die HBOS-Papiere knapp 20 Prozent schwächer mit 186 Pence geschlossen, nachdem sie zeitweise bis auf 88 Pence abgesackt waren. Vor Jahresfrist waren sie noch knapp 1000 Pence wert. Spekulationen über Finanzierungsprobleme bei HBOS hatten den Aktienkurs in den vergangenen Tagen rasant abstürzen lassen. HBOS hatte deshalb versucht, bei der besser finanzierten Lloyds unterzukommen.

Nach jahrelangem Boom verlieren britische Immobilien seit Monaten an Wert. Viele Eigenheim-Besitzer haben Probleme, da sie der Bank inzwischen mehr Geld schulden, als ihre Immobilie wert ist. Die Baufinanzierer tragen eine Mitschuld an dem Dilemma, da sie wie in den USA freigiebig Hypotheken vergaben und oftmals kaum den Einsatz von Eigenkapital forderten.

Lesen Sie weiter: Krisengipfel in Berlin - Rechtfertigung für eine Millionenpanne.

In Berlin muss sich am Donnerstag der Vorstand der Staatsbank KfW für die Millionen-Panne rund um die Pleite der US-Bank Lehman Brothers rechtfertigen. Der mit vielen Spitzenpolitikern besetzte KfW-Verwaltungsrat will wissen, warum die KfW ausgerechnet am Tag der Lehman-Pleite für ein Währungsgeschäft noch 300 Millionen Euro nach New York überwies.

Die Förderbank, die Bund und Ländern gehört, spricht von einem technischen Fehler. Das Kontrollgremium soll zudem endgültig den Verkauf der KfW-Beteiligung IKB an den US-Finanzinvestor Lone Star absegnen. Die KfW musste die Düsseldorfer IKB mit Milliarden vor dem Untergang retten.

US-Präsident George W. Bush sagte wegen der Finanzkrise kurzfristig zwei Inlandsreisen ab. Der Präsident werde am Donnerstag in Washington bleiben, um mit seinen Beratern die "Herausforderungen an den Finanzmärkten" zu diskutieren, teilte Präsidentensprecher Tony Fratto mit. Die "Gesundheit unserer Finanzmärkte" sei wichtig für das Wirtschaftsleben, Bush wolle die Märkte "stabilisieren und stärken".

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